zum Hauptinhalt

Politik: Wenn sie schritten Seit’ an Seit’

SCHRÖDER UND DER DGB

Von Alfons Frese

Basta, sprach der Kanzler, die Rentenreform ziehen wir so durch. Das war im November 2000 auf dem Kongress der ÖTV. Die Gewerkschafter waren geschockt über den rüden Ton ihres Gerd, immerhin auch ein Mitglied der ÖTV. Später gab der Gerd nach. Vor allem die Intervention von Klaus Zwickel per nächtlichem Telefonat führte schließlich zu einer Rentenreform, mit der auch die Gewerkschaften leben konnten.

Zwei Jahre sind seitdem vergangen, Schröder ist wiedergewählt worden und macht nun eine Politik, für die Kohl 1998 abgewählt wurde: Die Lockerung des Kündigungsschutzes und Änderungen bei der Absicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall sind sozusagen alte Hüte. Dass sich aber ein Sozialdemokrat diese Hüte aufsetzt, irritiert die Gewerkschafter. Und weil Schröder mit seinem Rücktritt spielt, ist die Partie sowieso schon so gut wie entschieden. Warum sollten sich also Zwickel, Bsirske, Sommer und Schmoldt noch mit dem Kanzler zusammensetzen?

Über die Kluft zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften kommen derzeit nur Einzelgänger wie der Gewerkschaftsrechte Schmoldt oder der SPDLinke Schreiner. Ursächlich für die Entfremdung ist eine unterschiedliche Einschätzung der Lage. Die SPD und ihr Vorsitzender erklären sich den Ansehensverlust der Sozialdemokraten mit der Ökonomie: Die Bürger nehmen dieser Regierung nicht ab, dass sie die Wirtschaft in Schwung und die Arbeitslosigkeit reduziert kriegt. Die Gewerkschaften dagegen erklären die Wahlniederlagen in Hessen und Niedersachsen mit dem Verlust von Kernkompetenz: Die SPD, profiliert als Partei des Sozialen, baut den Sozialstaat ab. Den Gewerkschaften kommt damit der natürliche Partner abhanden.

Ursprünglich progressiv, zählen die Gewerkschaften heute mit zu den konservativsten Kräften im Lande. Blockierer, Nein-Sager, Besitzstandswahrer – das Image ist so schlecht wie noch nie. Das hängt auch mit der Globalisierung zusammen. Seit Anfang der 90er geht es im Wesentlichen um eine Verbesserung der Bedingungen für das Kapital und eine Verschlechterung für die Arbeitnehmer. Da ist es nahe liegend, wenn sich Gewerkschafter gegen die Absenkung des Lohnniveaus wehren und über eine neue Umverteilung von unten nach oben klagen.

Aber das Lamentieren ersetzt keine Gegenkonzepte. Die Zwickels und Bsirskes haben in den letzten Jahren einfach versäumt zu definieren, was sie heutzutage unter sozialer Gerechtigkeit verstehen. Die eigentliche Klientel der IGMetall, von Verdi und der IG Chemie sind die abhängig Beschäftigten. Denen wird immer tiefer in die Tasche gegriffen, damit die Sozialabgaben finanziert werden können. Ist es gerecht, wenn eine Gewerkschaft eine Tariferhöhung um drei Prozentpunkte durchsetzt, davon aber mindestens die Hälfte bei den Sozialkassen und im Finanzamt landet? Und ist es unsozial, wenn die Bezieher oder Nutzer von Sozialleistungen auch einen Beitrag leisten müssen zur Rettung des gesamten Systems? Schröder wird das mit der Agenda 2010 erreichen – ob mit oder gegen die Gewerkschaften. Und die werden sich bald klar werden müssen, was sie künftig sein wollen: nur Tarifpartei oder auch Partner in der Sozialpolitik.

Mit Schlachten der Vergangenheit, wie gegenwärtig um die Arbeitszeit im Osten, kommen die Gewerkschaften nicht in der Zukunft an. Die Welt ist kompliziert geworden, die Wirtschaft differenziert und flexibel. Daraus ergibt sich ein großer Gestaltungsbedarf, zum Beispiel für Aus- und Weiterbildung, für lebenslanges Lernen, für die Sicherung der hohen Produktivität am Standort Deutschland. Mit schwachen Gewerkschaften wird das nicht einfacher.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false