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Völkerrecht: Wer hat Schuld am Kaukasus-Krieg?

Im Krieg Georgiens und Russlands scheint es kein Schwarz und Weiß zu geben: Durfte Georgien seine nach Unabhängigkeit strebende Provinz Südossetien mit Gewalt in die Schranken verweisen? War die Reaktion Russlands verhältnismäßig? Völkerrechtler Otto Luchterhandt gibt Auskunft.

Herr Luchterhandt, bevor über völkerrechtliche Fragen im Kaukasus-Krieg diskutiert werden kann, muss erst einmal ein wichtiger Sachverhalt klar sein: Wer hat wen in welchen Grenzen anerkannt?

Georgien wurde 1992 in seinen heutigen Grenzen von der internationalen Gemeinschaft anerkannt, also beispielsweise von Deutschland ebenso wie von den USA und auch von Russland. Diese Grenzen umfassen auch Abchasien und Südossetien.

Wenn Südossetien also ein international völkerrechtlich anerkannter Teil Georgiens ist, sich aber abspalten will: Welche Rechte hat Georgien?

Georgien hat das Recht, das separatistische Gebiet Südossetien - wie auch Abchasien - in den eigenen Staat zu reintegrieren und die Separatisten zu bekämpfen.

Dann ist der Angriff Georgiens auf Südossetien, der Ausgangspunkt des Krieges, völkerrechtlich also legitimiert?

Grundsätzlich ja. Allerdings bleibt die Frage, ob der Einsatz von Gewalt gegenüber Südossetien gerechtfertigt ist. Die Tatsache, dass nach internationaler Auffassung Südossetien ein innerer Bestandteil des Staates Georgiens ist, bedeutet nicht automatisch, dass Georgien berechtigt ist, mit Gewalt dieses separatistische Gebiet zurückzuholen.

Es gilt hier zwei Punkte besonders zu beachten: Erstens gibt es ein völkerrechtliches Abkommen von 1992 zwischen Russland und Georgien über die Prinzipien der Regelung des georgisch-ossetischen Konflikts. Dieses Abkommen gilt bis heute. Das Abkommen sieht eine Reihe von Bestimmungen und Maßnahmen vor, wie zum Beispiel die, dass es einen Waffenstillstand gibt und dieser Waffenstillstand beachtet wird. Georgien hat dieses Abkommen gebrochen und damit einen völkerrechtswidrigen Akt begangen. Zweitens ist die Wahl der Mittel Georgiens fragwürdig: Georgien hat undifferenziert und massiv Zchinwali und weitere Gebiete Südossetiens bombardiert und damit die Zivilbevölkerung getroffen. Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen wurden vernichtet. Die Wahl der Mittel war also überhaupt nicht verhältnismäßig. Georgien hat damit auch gegen das vierte Genfer Abkommen von 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verstoßen.

Wie ist der Gegenangriff der Russen, das Einmischen der Russen in den Konflikt völkerrechtlich zu bewerten?

Nachdem Georgien gegen das Völkerrecht verstoßen hat, insbesondere gegen das Abkommen zwischen Georgien und Russland über Südossetien und gegen die Genfer Konventionen, hatte Russland durchaus das Recht, dem etwas entgegen zu setzen und Georgiens Bruch durch Gegenmaßnahmen zurückzuweisen.

Aber Russland hat viel mehr gemacht: Russland hat Kerngebiete von Georgien bombardiert, insbesondere auch zivile Einrichtungen in der Stadt Gori. Russland hat militärische Anlagen in großen Teilen Georgiens bombardiert und ist auch mit Truppen in viele Gebiete einmarschiert. Diese Aktionen sind ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Völkerrecht gilt. Wenn Russland Georgiens Verstoß gegen das Völkerrecht zurückweisen will, dann muss es sich an enge völkerrechtliche Vorgaben bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Mittel halten und darf nicht einfach überall bombardieren, schon gar nicht die Zivilbevölkerung. Russland hat also wie auch Georgien gegen die Genfer Konventionen verstoßen.

Was wären verhältnismäßige Mittel gewesen?

Russland hätte in jedem Fall mit Waffengewalt, auch aus der Luft, gegen den georgischen Agressor vorgehen können, also gegen die georgischen Streitkräfte. Russland hätte die in Südossetien operierenden georgischen Streitkräfte durch den Einsatz von Bodentruppen hinauswerfen können. Auf dieses Vorgehen hätte sich Russland beschränken müssen.

Russland hat sich darauf berufen, in Südossetien eigene Staatsangehörige zu schützen. Tatsächlich sind viele Südosseten russische Staatsbürger. Wie ist dieser Umstand zu bewerten?

Es ist in der Tat richtig, dass Staatsangehörige ein Recht darauf haben, im Fall einer Gefährdung durch ihren Staat geschützt zu werden, auch im Ausland. Das ist völkerrechtlich anerkannt. Das Problem ist nur, dass 90 Prozent der Bürger Südossetiens den russischen Pass haben, weil Russland gegenüber Georgien eine Verletzung des Völkerrechts verübt hat:  Durch eine breite, flächendeckende Einbeziehung der südossetischen Bevölkerung in den eigenen russischen Staatsbürgerverbands hat Russland die Grenzen des Interventionsverbotes in den Staat Georgien überschritten.

Das heißt: Ein Staat darf zwar eine Staatangehörigkeit an Menschen vergeben und sie einbürgern. Aber dafür ist es notwendig, dass der Staat einen überzeugenden, legitimen Anknüpfungspunkt für die Einbürgerung hat. Das ist im Fall Südossetien zu bezweifeln. Zwar haben viele Südosseten Verwandtschaft im russischen Nordossetien, aber das rechtfertigt noch lange nicht, dass Russland flächendeckend die Bürger eines Verwaltungsbezirkes von Georgien zu russischen Staatsangehörigen macht. Das ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Georgiens, die völkerrechtlich nicht mehr gedeckt ist.

Wie müsste ein Fall aussehen, dass die Abspaltung einer Region wie Südossetien rechtens wäre?

Das gibt es durchaus. Es handelt sich um einen seltenen Fall, der in der Völkerrechtslehre intensiv diskutiert wird. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 24. Oktober 1970 eine Resolution angenommen über die friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten entsprechend den Grundsätzen und Zielen der Charta der Vereinten Nationen. Hier gibt es ein Prinzip zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Im Rahmen dieses Prinzips gibt es eine Formulierung, aus der man den Schluss ziehen kann, dass dann, wenn ein Teil eines Volkes in einem Staat von der Regierung so malträtiert wird, dass dieser Teil von der Regierung nicht mehr repräsentiert wird und ein weiteres Zusammenleben in diesem gemeinsamen Staats diesem malträtierten Teil der Bevölkerung auch nicht mehr zuzumuten ist, dass diese dann das Recht haben, aus dem Staat auszutreten.

Es ist umstritten, wann das der Fall ist. Für das Kosovo kann man das annehmen. Auch bei Abchasien kann man davon ausgehen, dass die Bevölkerung das Recht hätte, sich auf diesen Passus zu berufen. Im Falle Südossetiens ist dies aber zu bezweifeln. Die Verhältnisse liegen hier viel komplizierter, sodass man hier wohl sagen müsste, eine Autonomielösung im Rahmen Georgiens wäre das, was die Bevölkerung verlangen könnte.

Otto Luchterhandt ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt auch das Gebiet des Ostrechts.

Interview von Simone Bartsch

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