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Nach Mubarak: Wer ist das neue Ägypten?

Eine Nacht lang haben die Ägypter durchgefeiert. Nach dem Rückzug von Präsident Mubarak müssen sie nun den Neuanfang wagen. Neue Köpfe sind gefragt.

Wael Ghonim, Aushängeschild der Facebook-Aktivisten

„Glückwunsch, Ägypten – der Gangster hat seinen Palast verlassen“ twitterte Wael Ghonim an seine virtuelle Fangemeinde. Eher durch Zufall war der Marketingchef von Google in Dubai zur zentralen Figur des Cyber-Aufstands am Nil geworden. „Wir sind alle Khaled Said“ nannte sich die Facebook-Seite, die er im Sommer letzten Jahres online stellte – als Protest gegen den Tod eines Bloggers in Alexandria, den zwei Zivilpolizisten auf offener Straße tot geprügelt hatten. Kurze Zeit später hatte der Link bereits über 200.000 Mitglieder, heute ist es fast eine halbe Million. Nach dem Umsturz in Tunesien erschien hier der erste Aufruf zum „Tag es Zorns“ am 25. Januar, mit denen die Revolution in Ägypten ins Rollen kam und die am Freitagabend kurz nach 17 Uhr mit dem Sturz Mubaraks endeten. Erst vor fünf Tagen, am Montagabend, war der 30-Jährige in Kairo aus den Fängen der gefürchteten Staatssicherheit wieder aufgetaucht, die ihn zwölf Tage lang gefesselt und verhört hatte.

Noch in der Nacht gab er in der populären Al-Ashera Massan-Talkshow auf dem Privatsender „Dream 2“ ein Interview, das Millionen Zuschauer in Ägypten gebannt mitverfolgten, unter den Demonstranten neuen Elan auslöste und den Hunderttausenden jungen Aktivisten ein Gesicht gab. „Ich bin kein Held, ich habe nur meine Tastatur benutzt“, gab sich Wael Ghonim bei seinem Fernsehauftritt bescheiden. Für die jungen ägyptischen Cyber-Aktivisten am Nil jedoch ist Wael Ghonim ihr Vorbild und Aushängeschild. Eine neue Facebook-Seite, die ihn als politischen Sprecher der Jugend auf dem Tahrir-Platz autorisiert, hatte innerhalb von 24 Stunden bereits 250.000 Anhänger. Politische Ambitionen habe er nicht, antwortete der Vater zweier Kinder, der mit einer Amerikanerin verheiratet ist, inzwischen per Twitter an seine Fans. „Ich verspreche allen Ägyptern, ich werde wieder in mein normales Alltagsleben zurückkehren.”

Mohammed Hussein Tantawi, Verteidigungsminister und Vorsitzender des Obersten Rates der Streitkräfte

Seit Freitagabend hat das Militär die Macht am Nil. Die Geschicke des Landes lenkt der Oberste Rat der Streitkräfte. An seiner Spitze steht Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, zeitlebens ein kompromissloser Gefolgsmann des gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak. Vor der dramatischen Endphase der Revolution am Donnerstag und Freitag war das geheimnisumwitterte Gremium bisher nur zweimal im ägyptischen Fernsehen zu sehen gewesen – 1967 und 1973 während der Kriege mit Israel.

„Das Militär und wir sind eins“, hatten die Demonstranten tagelang skandiert, seit die Armeeführung durch einen Sprecher verkünden ließ, die Anliegen des „großen ägyptischen Volkes“ seien legitim und man werde nicht auf die Demonstranten schießen. Kurz vor seinem weichen Putsch am Freitag legte sich das Militär dann im „Kommunique Nummer 2“ öffentlich fest, für einen demokratischen Übergang sorgen. Die Armee versprach einen gewaltfreien Übergang der Macht, Änderungen der Verfassung, freie Wahlen sowie Aufhebung des Ausnahmezustands, „wenn die gegenwärtige Krise überwunden ist“. Und „ehrenhafte“ Demonstranten würden nicht vor Gericht gestellt.

Seit dem Sturz der Monarchie 1952 ist Ägyptens Armee das Rückgrat der Macht. Alle Präsidenten kamen bisher aus ihren Rängen. Auch wenn sich die Streitkräfte stets diskret und verschwiegen geben, sie sind keineswegs ein monolithischer Block. Unter den Offizieren der mittleren Ränge gärt es seit langem. „Mubaraks Pudel“ nennen sie in ihren Kasinos verächtlich Armeechef und Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, wie ein geheimes Wikileaks-Protokoll aus dem Jahr 2008 berichtet. Tantawi sei inkompetent, in der Truppe herrsche eine „Kultur des Kadavergehorsams“ und die Armee befinde sich unter seiner Führung im Niedergang, lautete die Kritik.

Geboren am 31. Oktober 1935, studierte er Militärwissenschaft, war dann Militärattache in Pakistan und später Kommandeur der Präsidentengarde. An den Kriegen 1956, 1967 und 1973 nahm als Infanterieoffizier er, wie auch sein langjähriger, von ihm rückhaltlos verehrter Chef Hosni Mubarak. Trotzdem steht der umstrittene 75-Jährige Feldmarschall jetzt an der Spitze der Junta, die in den nächsten Wochen und Monaten die Geschicke Ägyptens steuert. Mit ihm am Tisch sitzen auch der Oberkommandierende Sami Hafez Enan, Luftwaffenchef Reda Mahmoud Hafez Mohammed sowie Marinechef Mohab Mohammed Hussein Mamish

Mohammed Badi, Chef der Muslimbruderschaft

„Sagt dem Mursched, er soll sich mit uns zusammensetzen“, rief Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi der Menge zu, als er sich vor einer Woche Freitag als erstes Mitglied der Regierung auf dem Tahrir-Platz blicken ließ. Gemeint ist Mohammed Badie, der Chef der Islamistenorganisation. „Wir sind eingeladen und wir kommen“, ließ der Tierarzt und Hochschullehrer nach 48 Stunden Bedenkzeit durch seinem Sprecher erklären – und schickte letztes Wochenende zum ersten Mal seit fünf Jahrzehnten eine Delegation zu offiziellen Gesprächen in die Flure der Macht am Nil. Am Ende des Tages jedoch war die Ernüchterung groß, die Premiere verpatzt. Man könne keine ernsten Anstrengungen für Reformen erkennen, erklärten die Muslimbrüder. Die meisten ihrer politischen Forderungen seien überhaupt nicht beantwortet worden – und andere nur „in sehr oberflächlicher Weise“.

Seit Januar 2010 steht der 67-Jährige an der Spitze der Muslimbrüder, der siebte Generalsekretär in der Geschichte der 1928 in Ägypten gegründeten Organisation. Geboren in der Textilstadt Mahalla al-Kubra im Nildelta, gehörte der Fachmann für Ideologiefragen seit 1996 dem Zentralrat an. Als junger Mann von einem Militärtribunal zu 15 Jahren Haft verurteilt, wurde er 1974 von dem damaligen Präsident Anwar as-Sadat begnadigt.

Die Muslimbruderschaft ist die am besten organisierte islamistische Gruppierung im Land, auch wenn sie offiziell seit 1954 verboten ist. Ihre Zentren sind heute die Hafenstadt Alexandria, aber auch Städte in Mittel- und Oberägypten, wie Assiut und Qena. In allen Regionen unterhält sie Nachbarschaftsnetze, Sozialstationen und Kliniken, allein in Kairo sind es sieben Hospitäler. Wichtige Berufsverbände wie die der Anwälte, Ärzte und Apotheker sind von ihnen dominiert. Und dennoch agierte sie beim Aufstand des Volkes gegen Hosni Mubarak eher aus der Deckung heraus. Unter den Demonstranten gab es auffallend wenig Koranschwingende Bärtige, die „Islam ist die Lösung“ skandierten. Auch gab ihr Generalsekretariat intern die Losung aus, während der jetzt kommenden Phase einer Übergangsregierung nicht offiziell über eine Islamische Republik am Nil zu spekulieren, um die Menschen im Inland und die Regierungen im Ausland nicht zu alarmieren. Kritiker dagegen werfen der Muslimbruderschaft vor, ihre wahren Ziele zu verschleiern - eine islamistische Verfassung mit Bezug auf die Scharia, mindere Rechte für Frauen und Bruch mit Israel.

Die internen politischen Beratungen der Organisation, die wie eine Geheimloge agiert, sind völlig intransparent. Ideologisch scheint die ägyptische Muslimbruderschaft inzwischen in drei Fraktionen gespalten: Die konservativen Dogmatiker der alten Garde beherrschen das Generalsekretariat, haben die Kontrolle über die interne Organisation und die Verteilung der Finanzmittel. Vor allem bei dem Nachwuchs auf dem Land haben sie eine beträchtliche Gefolgschaft. Die Mehrheit der Mitglieder, darunter viele Abgeordnete, gehört aber dem Flügel der konservativen Pragmatiker an. Sie versuchen, ihre islamistischen Überzeugungen mit konkreter, praktischer Arbeit vor Ort zu verbinden. Die kleine, dritte Strömung besteht aus einer Handvoll Reformern, die für eine offenere Interpretation des Korans werben. Im Generalsekretariat sind sie kaum vertreten, an der Basis haben sie nur wenige Anhänger. Ob am Ende die Dogmatiker oder die Pragmatiker die Oberhand behalten, lässt sich im Augenblick schwer vorhersagen. „Wir wollen die Macht nicht monopolisieren“, ließ Mohammed Badi letzter Woche durch einen Sprecher verkünden. Auch wollen die Muslimbrüder bei den kommenden Präsidentschaftswahlen nicht mit einem eigenen Kandidaten antreten. „Wir wollen ein Klima von fairem Wettbewerb, das uns endlich erlaubt, regulär um die politische Macht zu kämpfen.“

Mohamed el Baradei, Friedensnobelpreisträger und möglicher Moderator des Übergangs

„Das ist der schönste Tag meines Lebens“, jubelte der Friedensnobelpreisträger am Abend der Revolution in der BBC. Vor zwei Wochen erst war Mohamed al-Baradei, mit Egypt Air aus Wien kommend, in seiner Heimat eingetroffen. Am nächsten Tag, dem ersten Freitag der Proteste, zeigten ihn die Fernsehbilder bereits pudelnass und mit Tränengas geröteten Augen auf dem Boden einer Moschee in Giza hockend. Einmal noch erschien der 68-Jährige gelernte Jurist danach bei den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Habt noch etwas Geduld, der Wandel wird in den nächsten Tagen kommen”, rief er der Menge zu.

Inzwischen wird der frühere Chef der Atomenergiebehörde IAEO als Moderator des demokratischen Neuanfangs gehandelt. So streuten seine Mitarbeiter in den letzten Tagen, Baradei arbeite an einer neuen Verfassung und einer Struktur für die Übergangsregierung. „Er ist der beste Mann, um den Machtübergang und Neuwahlen zu organisieren“, meint auch Mohammed Magdi, der von Anfang an dabei war. Baradei sei sehr gebildet, international respektiert und ein Mann, der sein Wort halte, sagt der junge Arzt. Doch nicht alle auf dem Tahrir-Platz und unter den Facebook-Aktivisten denken so. Gerade in den letzten Tagen häufen sich im Netz die negativen Kommentare über den langjährigen Spitzendiplomaten. „Baradei, wer hat dich gerufen“, skandierten einige schon bei dessen einmaliger nächtlicher Visite. Heute werfen sie ihm vor, sie am Ende im tagelangen Kampf gegen die Schläger des Regimes im Stich gelassen zu haben. „Wir haben die Revolution gemacht und nicht Baradei“, sagen sie.

Amr Mussa, ehemaliger Außenminister und möglicher Präsidentschaftskandidat

„Warum nicht, das ist meine Heimat“, antwortete er kürzlich auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, als Nachfolger von Hosni Mubarak für das Präsidentenamt zu kandidieren. Amr Mussa ist beim Volk beliebt. Der studierte Jurist ist kein Volkstribun. Aber die Menschen mögen seine direkte, ungeschminkte Sprache und seine scharfe Rhetorik gegenüber Israel. „Die arabische Seele ist gebrochen durch Armut, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsmisere”, schrieb er kurz nach dem Aufstand in Tunesien allen Potentaten der Arabischen Liga ins Stammbuch und sprach von einer „beispiellosen Frustration in der Region“.

Seit zehn Jahren steht er als Generalsekretär an der Spitze der Staatenorganisation, die meist durch chronischen Streit und Ineffizienz von sich Reden macht. Wenige Stunden nach Mubaraks Sturz kündigte Mussa an, seinen Posten demnächst zu räumen. „Wir wollen dich als Präsidenten“, begrüßte die Menge seine Wagenkolonne, als der Diplomat vor einer Woche erstmals auf dem Tahrir-Platz auftauchte. Im Facebook hat sich bereits eine Gruppe „Amr Mussa für das Präsidentenamt“ gebildet. Offenbar stört es die jungen Blogger nicht, dass der ehemalige ägyptische Außenminister mit seinen 74 Jahren nicht mehr unbedingt zur „Generation Facebook“ gehört. „Ich gratuliere dem ägyptischen Volk und der Armee für ihre historische Leistung“, freute sich der so Umworbene noch in der Nacht. Gleichzeitig mahnte er aber auch, das neue politische System Ägyptens müsse aufgebaut werden „auf einem nationalen Konsens“.

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