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Politik: Wer will da würfeln?

Von Peter Siebenmorgen

Bei den einen Hoffen, bei den anderen Bangen: Seit Gerhard Schröders Rücktritt vom SPDVorsitz glaubten viele, dies sei der Anfang vom Ende seines Reformkurses. Kein Schritt zurück, lautet seither seine Botschaft, und diese wird auch durch die Herausforderung des anschwellenden Straßengesangs in ostdeutschen Städten nicht leiser. Detailkorrekturen: Ja, mehr nicht! Seit Schröders Pressekonferenz dürfen auch die Ungläubigen ganz sicher sein: Kein Zurück, er will nicht. Er könnte auch nicht mehr. Denn dies ist seine letzte Chance, Glaubwürdigkeit unter den Bedingungen verlorenen Vertrauens zurückzugewinnen. Oder umgekehrt.

Dass der Kanzler auf Geradlinigkeit und Beharrlichkeit setzt, ist eine beruhigende Botschaft für jene, die seinen Kurs für richtig halten. Er selbst kommt aber in eine immer schwierigere Lage. Seine Partei ist nicht mal halben Herzens bei Hartz und hinter ihrem Kanzler. Die Umfragen – ein Desaster. Alles versprechen die anstehenden Wahlen, nur keine Linderung.

Gegen das Volk zu regieren, kann nicht gelingen, schallt es dem Kanzler entgegen. Die sozial-romantische Linke und das Traditionskorps der Gewerkschaften tönen so schon lange. Hinzu gesellen sich nun Heerscharen von Biedermännern, die, selbstverständlich, nichts weniger im Sinn haben als Brandstiftung. Am schlimmsten die FDP, der Schröders Reformen bekanntlich ja nur halbe Sachen sind, die aber lustig die Geister von Weimar beschwört. So entstehen Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen – ein Geschäft, an dem sich nun auch Teile der Union nach Kräften beteiligen. Kaum besser sind manche evangelische Ost-Kirchen, die ihr Hirtenamt darin begreifen, den Halt und Richtung suchenden Schafen nachzueilen, statt ihnen nach Maßgabe des Möglichen Aufklärung und Sicherheit zu vermitteln – worauf sich die Regierung einstweilen nicht versteht.

Zu allem Ungemach wird Gerhard Schröder jetzt auch noch durch Oskar Lafontaine zum Endkampf aufgefordert. Den vielen Kriegserklärungen an den Kanzler folgt nun die Tat. Sollten Lafontaines Funken bei der Leipziger Montagsdemonstration zünden, dann ist nicht mehr viel garantiert – am wenigsten die Einheit der Linken in Deutschlands politischer Mitte. Wieder könnte Leipzig zum Ausgangspunkt für einen Brückenschlag in Deutschland werden. Aus 1989 folgte die deutsche Einheit. Und was mag aus 2004 werden? Wenn es Lafontaine gelingt, die prekäre Mischung aus Angst, Volkszorn und dröhnender Uninformiertheit politisch zu bündeln und zu kanalisieren, dann kann dies die Geburt einer linkspopulistischen Kraft werden, die den letzten wirklichen großen Graben zwischen Ost und West – drüben PDS, hüben amorphe Altlinke in Gewerkschaften und SPD – überwindet. Die deutsche Sozialdemokratie wäre existenziell getroffen, ein Fatum für die Mitte und das Parteiensystem. Dann fehlte nur noch ein rechter Lafontaine, ein deutscher Haider – der Schlamassel wäre da.

Nicht mehr und nicht weniger steht auf dem Spiel. Ob es vereinzelte Webfehler im Hartz-Konzept gibt, wer für das Unvermögen zur politischen Kommunikation verantwortlich ist, wie dieses Defizit auszubügeln wäre, sind dann nur noch Fragen zweiter Ordnung. Es ist schon wahr: Gegen das Volk lässt sich nicht regieren. Das muss sich Schröder sagen lassen. Doch ein Kurswechsel folgt daraus nicht. Denn auch dieser Satz hat seine Gültigkeit: Die Weisheit der Masse hört dort auf, wo die Erde per Volksentscheid zum Würfel erklärt werden soll.

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