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Petrus, der Fels: Die Bronzestatue vom ersten Bischof Roms im Petersdom. Foto: imago

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Wie Benedikts Rücktritt sich auf sein Amt auswirken kann: Werden künftige Päpste zum Abgang gedrängt?

Der erste freiwillige Pontifex-Abtritt seit 700 Jahren lässt die uralte Leitungs-Institution der Katholischen Kirche funktional und fast modern erscheinen. Doch das Amtsverständnis bleibt in der Tradition.

Berlin - „Ich trete hiermit aus freiem Willen vom Pontifikat zurück. Rechtmäßige Gründe bewegen mich dazu ebenso wie Gewissensgründe. Aus notwendiger Demut, zur moralischen Vervollkommnung, aber auch aus der Schwäche meines Körpers und der Unfähigkeit zum Lehramt, überhaupt wegen der Schwäche meiner gesamten Person, verzichte ich ausdrücklich auf den Thron, die Würde, das Amt und die Ehre des Papstes.“ Diese bis Montag einzigartige freiwillige Rücktrittserklärung, mit der sich am 13. Dezember 1294 der als „Engelspapst“ gerühmte Cölestin V. seinen Kardinälen erklärte, hat in der Folge die Weiterentwicklung des römischen Primats zur dominierenden Zentralgewalt der katholischen Kirche keineswegs verhindert: Obwohl Anno dazumal der 80-jährige Mönch Pietro del Murrone, wie sein privater Name lautete, bald nachdem er den roten Papstmantel abgelegt, den „Ring des Fischers“ abgestreift und seine Kutte wieder angezogen hatte, von seinem größenwahnsinnigen Nachfolger eingekerkert worden war. Ein solches Schicksal dürfte dem Pensionär Benedikt XVI. erspart bleiben. Gleichwohl vermuten Interpreten seiner Ankündigung, der Rückzug beinhalte das Potenzial, die Theologie oder die Ausübung des sogenannten Petrusamtes epochal zu verändern.

Papst Ratzingers rationaler Umgang mit dem eigenen Abtreten ist tatsächlich geeignet, das Image seines Amtes zu entmythologisieren: Er könnte den schwärmerischen Personenkult der frommen Fans ebenso entzaubern wie jene medialen Superstar-Kampagnen, die ohne götternahe Megapromis kaum funktionieren. Doch ändert sich durch gelegentliche Ernüchterung noch nichts an der Verfassung des Petrusamts. Dass der Papst qua Berufung eine Art Dalai Lama wäre, also mit Leib und Seele bis zum letzten Atemzug die Inkarnation des Göttlichen, ist nun mal nicht katholische Tradition.

Trotzdem unterscheidet sich katholisches Amtsverständnis vom Funktionärswesen einer modernen Gesellschaft. Ein Kanzler, der das ihm befristet übertragene Amt abgibt, ist trotz seiner Versorgungsbezüge kein echter Kanzler mehr: Er kann, selbst wenn’s unfein wäre, für den Energiekonzern eines Diktators anschaffen, verfügt aber nur noch über seine Nase, seine Beziehungen. Ein Priester oder Bischof bleibt, so behauptet die Kirche, durch sakramentale, das heißt göttlich zeichenhafte Prägung Priester oder Bischof. Falls er dieses Amt nicht mehr ausüben will oder darf, verliert er nicht seine ureigene („magische“ würden Nicht-Gläubige das nennen) Markierung, Beauftragung, Berufung. Eine solche Sichtweise, die das „Ewige“ konstant und geheimnisvoll in der Biografie verankert wähnt, kollidiert mit Erfahrungen unserer Moderne: mit Lebensentwürfen multipler Identität, mit der Realität von Lebensbrüchen. Wäre es denn denkbar, dass sich solche Gegensätze durch Ratzingers Schritt vermindern? Dass ein Papst, der sein Amt ablegt wie eine Lebensphase, den Überbau der katholischen Amtsidee zum Schrumpfen bringt – um dem weit funktionaleren Ordinationsbegriff der Protestanten und dem Delegiertenwesen säkularer Demokratien entgegenzukommen?

Weder das theologische Werk des Bischofs Ratzinger noch sein Auftritt am Montag geben zu einer solchen Wunschdeutung Anlass. „Ich bin mir bewusst, dass dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und Gebet,“ hat Benedikt XVI. gesagt: „Was mich betrifft, so möchte ich auch in Zukunft der Heiligen Kirche Gottes mit ganzem Herzen durch ein Leben im Gebet dienen.“ Wer solche Sätze zusammenblendet mit der Information, der alte Mann werde sich erst (wohl während des Konklaves) in Castelgandolfo aufhalten und danach im Vatikan ein Kloster beziehen, könnte die Botschaft so formulieren: Ich mische mich nicht ein, suche keinen neuen Job, setze den übernommenen Dienst durch Gebete und gläubige Bewältigung meiner altersbedingten Schmerzen fort.

Ein mystisches Programm? Zweifellos ist die katholische Kirche nicht nur ein historisches, soziologisches Phänomen, sondern, für viele Mitglieder, ein mystisches Projekt. Eigentlich ist ihr Chef der Jude Jesus, der sich – orientiert an den zwölf Stämmen des Bundesvolkes Israel – zwölf Apostel berief, die unter Führung des Stellvertreters Christi, Petrus, das neue Volk Gottes leiten. Das wäre das Konzept: Sie tun es angeblich bis heute, der Papst ist so nicht Gottes Stellvertreter, sondern Vertreter des Petrus, die Bischöfe Nachfolger anderer Apostel. Was für Rationalisten spinnert klingt, könnte man auch entlastend verstehen. Das Konzept heißt Kollegialität: An dieser Wiederentdeckung des Zweiten Vatikanischen Konzils war Joseph Ratzinger beteiligt! Es ist das größte Manko seines Pontifikats, dass er als Einzelkämpfer nicht fähig war, die Kernaussagen des Konzils zum Miteinander von Papst und Bischöfen selber umzusetzen, in denen es um das dialogische Wesen der Kirche geht.

2010 hat Benedikt das Grab Cölestins V. besucht, spätestens seitdem wohl über Rücktritt sinniert. Sein Bruder soll informiert gewesen sein, mit seinem Beichtvater hat er sicher darüber gesprochen. Fielen die Kardinals-Kollegen aus allen Wolken? Kommende Päpste werden, sobald sie unbequem und gebrechlich scheinen, im Blick auf Benedikt und Cölestin zum Abgang gedrängt werden: Das könnte eine zwiespältige Folge der gestrigen Ereignisse sein. Ein Papst, der auch solche Fragen als Primus inter Pares kollegial entscheidet, vermittelt mehr vom Wesen seiner Kirche als der erleuchtete Solist. Kein Dogma verpflichtet zum Alleingang. Ohne gute Kollegen freilich geht das nicht.

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