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Politik: Wie es euch nicht gefällt

SPD-SONDERPARTEITAG

Von Tissy Bruns

Kämpfen kann er, der SPD–Vorsitzende und deshalb weiß die SPD, was sie an ihm hat. Dann und wann, nicht sehr oft, gibt sie das sogar in aller Öffentlichkeit zu. Durch Beifall an den entscheidenden Stellen und die richtigen Beschlüsse. Gestern war so ein Tag. Jawohl, Gerhard Schröder soll vom Parteitag als Reformer nach Evian zum Gipfel fahren. Und aller Welt zeigen, dass die SPD es doch noch kann: verändern, sich selbst und den deutschen Sozialstaat.

Schröder hat seine Partei hinter sich und seine ReformAgenda gebracht. Obwohl sich seit Wochen abgezeichnet hat, dass die Front der Kritiker laut, aber auf dem Parteitag nicht mehrheitsfähig sein würde, verdient dieser Parteitag ein großes Etikett. Die SPD ist zu dem Mentalitätswandel bereit, vor dem das ganze Land steht und zu dem es sich noch längst nicht durchgerungen hat. Diese Parteitags-Mehrheit ist nicht durch Formelkompromisse erkauft. Schröders Auftritte vor den Delegierten haben sich sogar durch eine erstaunliche Zurückhaltung im Verbreiten von Illusionen ausgezeichnet. Die SPD hat eine Richtung.

Schröder hat in den letzten Wochen beide Mittel wirken lassen, um die SPD auf seinen unbequemen Reformweg zu bringen, Machtworte und Argumente. Die Einsicht, dass die SPD sich dem Kanzler fügen muss, wenn sie weiter regieren will, hat die Delegierten im Vorfeld weich gekocht. Der Parteitag selbst hat aber auch ein erstaunliches Maß an Überzeugung und viele Überzeugte gezeigt. Der Kurs, zu dem Schröder selbst sich erst nach verheerenden Wahlniederlagen durchringen musste, hat eine schnelle Karriere in der SPD gemacht. Sechzehn Oppositionsjahre und vier Regierungsjahre hat die SPD die Augen zugedrückt, wenn es um den Zustand der deutschen Arbeits- und Sozialordnung ging. Nach Schröders zweitem Wahlsieg haben zehn schreckliche Monate gereicht, um sie nachhaltig zu belehren, dass die SPD den Sozialstaat reformieren muss – oder mit ihm untergeht.

Schröder, die SPD und Deutschland erweisen sich in diesem Prozess als kongeniale Geisteskinder. Auf den Bundeskanzler, seine Partei und auf das Land muss erst die Drohung des Untergangs wirken, bevor aus der längst vorhandenen Einsicht, dass wir über unsere Verhältnisse leben, Taten folgen. Schröder muss man das große Verdienst zubilligen, dass er die Tür zu diesen Reformen jetzt so weit aufgestoßen hat, dass niemand mehr sie schließen kann. Seine Partei zieht mit.

Aber gleichbedeutend mit einer politischen Trendwende zugunsten der SPD und der rot-grünen Koalition ist dieser Parteitag trotzdem nicht. Denn der Delegierte hatte Recht, der gesagt hat, die Agenda sei der Anfang vom Anfang. Und schon dieser Anfang muss sich zwischen mächtigen Machtblöcken durchsetzen. Da sind die widerstrebenden Gewerkschaften. Da ist eine SPD-Minderheit, die eine schwache parlamentarische Mehrheit von SPD und Grünen immer wieder in neue Bedrängnis bringen kann. Eine Union, die in aller Ruhe auf das vorzeitige Zusammenknicken der Bundesregierung wartet. Wirtschaftsverbände, die Schröder gar nicht oft genug loben können, um ihn seiner Anhängerschaft verdächtig zu machen. Eine Bevölkerung, aus der wie auf Knopfdruck alle möglichen Teil-Interessen mobilisiert werden können: Eigenheim-Bauer, Pharma-Konzerne, Ärzte, Beamte.

Diese Machtblöcke sind immerhin greifbar. Anders als die Beharrungskraft einer alternden Bevölkerung, die der mächtigste Feind jeder Veränderung ist. Ein schweres Reformpaket für eine schwache Regierung. Die SPD hat wieder eine Richtung – die richtig ist und vielen nicht gefällt.

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