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Demonstranten tragen Masken der G-7-Teilnehmer.

© AFP/Bertrand Guay

Angeschlagen in Biarritz: Wieso der G7-Gipfel in der Krise steckt

Die G7-Treffen haben ihre Strahlkraft eingebüßt. Beim aktuellen Gipfel treffen sich Populisten – und Staatenlenker, die mehr oder weniger geschwächt sind.

An diesem Samstag empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an der Atlantikküste die übrigen sechs Staats- und Regierungschefs der G7-Industriestaaten. Die G7-Treffen, die in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts als traute Kamingespräche der Staatenlenker erfunden worden waren, haben in den letzten Jahren ihre Strahlkraft immer mehr eingebüßt.

Seit der Amtsübernahme des US-Präsidenten Donald Trump fällt es dem Gremium zunehmend schwer, wegweisende Entscheidungen zu Stande zu bringen. Eine konstruktive Rolle ist auch von dem britischen Regierungschef Boris Johnson nicht zu erwarten, der beim aktuellen Treffen in Biarritz zum ersten Mal dabei ist. Erschwerend kommt hinzu, dass sämtliche Gipfelteilnehmer mit mehr oder minder gravierenden innenpolitischen Problemen zu kämpfen haben. Eine Übersicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© picture alliance/dpa

Angela Merkel

Unter den Staats- und Regierungschefs der G7 hat niemand eine längere Regierungserfahrung als Angela Merkel, die seit 2005 im Amt ist. Bei ihrem ersten G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg - Russland war seinerzeit bei den Gipfeln noch dabei - galt die Kanzlerin noch als Debütantin. Ein Jahr später, bei der Zusammenkunft der Industrienationen in Heiligendamm, wirkte sie in der Mitte des bekannten Strandkorb-Familienfotos schon wie eine routinierte Außenpolitikerin. Der US-Präsident hieß damals noch George W. Bush, der britische Premierminister Tony Blair.

Allerdings ändern weder ihre Erfahrung noch ihr erklärter Wille, bis 2021 in ihrem Amt weiterzumachen, etwas daran, dass auch ihre Kanzlerschaft inzwischen auf einem unsicheren Grund steht. Der Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg in gut einer Woche, der Ausgang der Vorsitzenden-Kür bei der SPD – all das hat Einfluss auf die Statik der großen Koalition.

Möglicherweise steigert die schwierige innenpolitische Lage aber noch den Ehrgeiz der Kanzlerin, in Biarritz etwas zu bewegen. Am Freitag hieß es aus Regierungskreisen in Berlin, dass Merkel gemeinsam mit Macron an einer internationalen Partnerschaft arbeitet, mit der die Staaten der Sahelzone bei der Terrorbekämpfung unterstützt werden sollen. Es gehe dabei um „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Armee und die Polizei in den betroffenen Ländern, hieß es weiter. Ein Truppeneinsatz sei aber nicht geplant. Seit über einem Jahr hat der Einfluss von Terrormilizen in den Sahel-Staaten Mali, Burkina Faso und Niger erheblich zugenommen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

© imago images / PanoramiC

Emmanuel Macron

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will den Gipfel nutzen, um sich als weltpolitischer Macher zu profilieren. Damit der übliche Streit zwischen den Delegationen über die Gipfelerklärung gar nicht<ET>erst das Treffen von Biarritz überschattet, will Macron auf ein allgemeines Abschlusskommuniqué verzichten. Zielführende Diskussionen statt kleinlicher Zwist um diplomatische Formulierungen – so lautet das Motto das französischen Präsidenten. Er möchte unter anderem ausloten, wie tief die Differenzen zwischen den Europäern und den USA beim Streit um das Atomabkommen mit dem Iran gehen.

Darüber hinaus soll der Gipfel eine Gelegenheit bieten, im Kreis der sieben Industriestaaten informell über den Krieg in Syrien, die Zusammenarbeit mit Afrika, die aktuellen Handelskriege und den Klimaschutz zu sprechen. Und nicht zuletzt will er dafür werben, dass die im vergangenen Juli in Frankreich eingeführte Digitalsteuer demnächst auf der Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Tragen kommt.

Macron kann in Biarritz vergleichsweise selbstbewusst auftreten, denn in der französischen Innenpolitik steht er derzeit nicht schlecht da. Seine persönlichen Umfragewerte haben sich wieder verbessert. Der Hausherr im Elysée-Palast setzt alles daran, dass dies bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 auch so bleibt. Dann will der Gründer der Bewegung „En Marche“ noch einmal antreten.

Vorher muss er aber halbwegs unfallfrei die geplante Rentenreform umsetzen. Am gesetzlichen Rentenalter, das bei 62 Jahren liegt, will zwar Macron dabei zwar nicht rütteln. Dennoch ist Widerstand in der Bevölkerung zu erwarten, denn für die Senioren in Frankreich soll es künftig schwieriger werden, ohne Abschläge in Rente zu gehen. Um den erwartbaren Protest der über 60-jährigen Wähler abzufedern, will Macron Bürgerbefragungen organisieren. Den Gelbwesten-Protest hat Macron mit dieser Methode bereits entschärfen können.

Der britische Premier Boris Johnson.
Der britische Premier Boris Johnson.

© REUTERS

Boris Johnson

Der britische Premier Boris Johnson tritt beim G-7-Treffen gewissermaßen als Partyschreck auf. Das dürfte bereits am Samstagnachmittag deutlich werden, wenn sich sich die europäischen Gipfelteilnehmer vor dem eigentlichen Beginn der Konferenz intern treffen wollen. Bei der Begegnung Johnsons mit Merkel, Macron, dem italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte und EU-Ratschef Donald Tusk dürfte auch das Thema zur Sprache kommen, welches den ganzen Gipfel überschatten könnte – der EU-Ausstieg Großbritanniens. Johnson hat sich vorgenommen, beim Treffen von Biarritz noch einmal kräftig die Trommel in Sachen Brexit zu rühren.

Beim Debüt des britischen Premierministers im Kreis der G-7-Staaten ist zu erwarten, dass er seine Forderung nach einer Streichung der Nordirland-Garantieklausel im EU-Austrittsvertrag wiederholen wird. Laut einem Bericht des „Daily Telegraph“ hat Johnson nach seinen Gesprächen mit Merkel und Macron in dieser Woche seinen Brexit-Minister Stephen Barclay damit beauftragt, die Suche nach alternativen Lösungen zum so genannten Backstop für Nordirland mit Hochdruck voranzutreiben. Allerdings haben ihm Merkel und – mit noch größerer Deutlichkeit – auch Macron in dieser Woche bereits verdeutlicht, dass eine grundlegende Neuverhandlung des Austrittsabkommens nicht zu machen ist.

Je näher die Brexit-Frist am 31. Oktober rückt, umso stärker wird allerdings in Großbritannien auch der Druck auf Johnson, seinen Durchmarsch in Richtung eines möglichen No-Deal-Brexit zu stoppen. Die Tory-Rebellen, die einen ungeordneten Ausstieg verhindern wollen, machen inzwischen mobil: Nach einem Bericht der „Times“ soll Ex-Finanzminister Philip Hammond bei den EU-Partnern sondieren, unter welchen Umständen eine vom Unterhaus erzwungene erneute Verschiebung der Brexit-Frist erfolgreich sein könnte.

[Mehr zum Thema: Großbritannien unter Boris Johnson – das Vereinigte Königreich droht ein gescheiterter Staat zu werden]

US-Präsident Donald Trump.
US-Präsident Donald Trump.

© AFP

Donald Trump

Auch US-Präsident Donald Trump könnte Macrons Plan gehörig durcheinanderbringen, beim Gipfel den Wert einer internationalen multilateralen Zusammenarbeit herauszustellen. Trump bedroht nicht nur weiterhin die Europäer mit der Einführung von Strafzöllen für Pkw-Importe. Darüber hinaus will er in Biarritz vor allem den Schulterschluss mit dem Brexit-Hardliner Johnson suchen. Der US-Präsident hat Johnsons No-Deal-Pläne bereits mit den Worten angefeuert, dass es nach dem Austritt aus der Gemeinschaft ein „fantastisches" Handelsabkommen mit den USA geben werde. Dahinter steckt Trumps Plan, nach Möglichkeit einen Keil zwischen die Europäer zu treiben. Denn trotz aller Beteuerungen Johnsons besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass auch nach einem geregelten Austritt die engen wirtschaftlichen Bande zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU erhalten bleiben.

Auch sonst spricht wenig dafür, dass Trump beim Gipfel seine Rolle als „Enfant terrible“ aufgeben wird. Im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen in den USA an. Um seine Wähler bei Laune zu halten, will sich der Staatschef im Zollstreit mit den Europäern, über den möglicherweise im Oktober entschieden wird, als möglichst harter Verhandlungspartner präsentieren.

Allerdings bereitet die verstärkte weltweite Rezessionsgefahr Trump wie allen anderen Gipfelteilnehmern ebenfalls große Sorgen. Ob der US-Präsident auch im kommenden Jahr noch auf den Rückhalt der Wähler bauen kann, dürfte nicht zuletzt von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen.

Shinzo Abe

Shinzo Abe hat sich nach seiner Wiederwahl vor knapp zwei Jahren viel vorgenommen. Der Chef der japanischen Liberaldemokraten, der schon seit 2012 als Premierminister amtiert und damit inzwischen auch zu den Dauergästen bei den G-7-Treffen gehört, möchte die sozialen Sicherungssysteme erneuern, mehr Geld in die Bildung stecken und das Problem der Überalterung der japanischen Gesellschaft angehen. Allerdings kommt der Langzeit-Premier keineswegs als strahlender Sieger nach Biarritz: Japans Wirtschaft lahmt schon seit längerem und wird obendrein durch einen Handelsstreit mit Südkorea geschwächt.

Auch in der Außenpolitik ist Japan weiter eingeschränkt durch die pazifistische Verfassung, die nur „Selbstverteidigungskräfte“ zulässt. Eine Zweidrittelmehrheit, die für eine Verfassungsänderung nötig wäre, haben Abes Liberaldemokraten bei der Wahl zum Oberhaus im Juli jüngst verfehlt. Bei der Diskussion über die außenpolitischen Krisenherde, die in Biarritz beim Dinner am Samstagabend ansteht, dürfte sich Abe möglicherweise seinen guten Draht zu US-Präsident Donald Trump zunutze machen: Japans Regierungschef setzt bei der Abschreckung gegen Nordkoreas Atomwaffenprogramm auf eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Washington.

Japans Premierminister Shinzo Abe.
Japans Premierminister Shinzo Abe.

© imago images / Kyodo News

Justin Trudeau

Von dem Saubermann-Image, von dem der seit 2015 amtierende kanadische Regierungschefs Justin Trudeau einst zehren konnte, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Seit Anfang des Jahres macht Trudeau, der im vergangenen Jahr G-7-Gastgeber gewesen war, eine Korruptionsaffäre zu schaffen. Hintergrund sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen das kanadische Ingenieur- und Bauunternehmen SNC-Lavalin. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Schmiergeld in Höhe von umgerechnet 31 Millionen Euro an die Familie des früheren libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi gezahlt zu haben. Trudeau wird seinerseits vorgehalten, bei den seit 2015 laufenden Ermittlungen eine Bremserrolle gespielt zu haben.

In der Handelspolitik ist Trudeaus Spielraum angesichts des aggressiven Auftretens des US-Präsidenten eingeschränkt. Im vergangenen Jahr hatte sich Trump gemeinsam mit den Nachbarn in Kanada und Mexiko auf eine Neufassung des Nafta-Abkommens geeinigt. Trudeau musste dabei in Kauf nehmen, dass die amerikanischen Farmer deutlich mehr Milch- und Molkereiprodukte als bisher exportieren dürfen.

Der kanadische Regierungschef Justin Trudeau.
Der kanadische Regierungschef Justin Trudeau.

© AFP

Giuseppe Conte

Für den geschäftsführenden italienischen Regierungschef Giuseppe Conte ist es möglicherweise der letzte G-7-Gipfel. Der parteilose Conte hat seinen Rücktritt eingereicht, nachdem die Koalition zwischen der rechtspopulistischen Lega und den Fünf Sternen zerbrochen war. Italiens Staatschef Sergio Mattarella will vorerst auf Neuwahlen verzichten und möglichen neuen Koalitionspartnern bis Ende August eine Chance für eine Regierungsbildung geben. Als wahrscheinlichste Alternative zu Neuwahlen gilt dabei ein Bündnis zwischen den Sternen und den oppositionellen Sozialdemokraten (PD).

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