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Politik: „Wir haben eine kinderfreundlichere Gesellschaft“

Der Chefökonom des schwedischen Wirtschaftsverbandes über die Bedingungen für Familien und das männliche Erwerbsmodell

Herr Fölster, die Deutschen haben gerade erschrocken von ihrer niedrigsten Geburtenrate seit 1945 erfahren. Können wir von Schweden lernen?

Auch Schweden hatte in den 70er Jahren eine sehr niedrige Geburtenrate. Ich glaube, in vielen Ländern Europas gibt es solche zeitweiligen Effekte. In Deutschland scheint sich der Trend allerdings zu verfestigen.

Woran liegt das?

In erster Linie an der Wirtschaftslage: Wenn junge Leute keine Arbeit haben, vor allem keine sichere, dann verschieben sie den Kinderwunsch, manchmal so lange, bis es zu spät ist. Außerdem spielen familienpolitische Faktoren eine Rolle. Schwedens Elternversicherung zum Beispiel hilft sehr großzügig. Die Eltern bekommen im ersten Lebensjahr eines Kindes einen Lohnzuschuss wie beim Krankengeld. Danach können die Kinder in den Kindergarten gehen. Dafür zahlen die Eltern gemäß dem Einkommen, höchstens aber umgerechnet 150 Euro im Monat. Und es ist üblich, dass die Kinder so früh in den Kindergarten gehen.

Für viele Deutsche ist das eine sehr unangenehme Vorstellung.

Die Debatte, ob das gut oder schlecht für die Kinder ist, gab es bei uns vor 20 Jahren. Wir konnten diese Kinder dann lange beobachten und feststellen, dass es eher gut für sie ist.

Gibt es noch etwas, was den Schweden mehr Mut zum Kinderkriegen macht als den Deutschen?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass Schweden insgesamt eine kinderfreundlichere Gesellschaft ist. Bei uns freut man sich auf Kinder. In Deutschland höre ich mehr von den Risiken.

Tun denn auch die Unternehmen etwas für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Auch bei uns hat es sich nicht vermeiden lassen, dass Frauen vor allem im öffentlichen Dienst arbeiten, denn dort wird es stärker akzeptiert, wenn man nicht Vollzeit arbeitet.

Das heißt, das männliche Erwerbsmodell der Führungsetagen – man ist rundum für die Firma im Einsatz und kennt möglichst kein Privatleben – ist auch bei Ihnen nicht abgeschafft?

Wir sind auf dem Weg. Wir diskutieren sehr stark über Flexibilität und es ist weitgehend akzeptiert, auch für Führungskräfte, dass sie ihre Arbeitszeit selbst bestimmen und sie auch mit ihrer Familie abstimmen. Natürlich kostet es einen Preis für die Karriere, wenn man zu viele wichtige Treffen absagt. Aber es wird bei uns grundsätzlich positiv gesehen, dass man sich auch für seine Familie engagiert. Wir haben hier ein anderes Problem der Arbeitsüberlastung: Durch die hohen schwedischen Steuern arbeiten viele Leute hart – aber zu Hause. Mein Zahnarzt zum Beispiel arbeitet nur drei Tage und renoviert sein Haus selbst. Er hat sich ausgerechnet, dass das günstiger für ihn ist.

Die Fragen stellte Andrea Dernbach.

Stefan Fölster

ist Chefökonom des Schwedischen Wirtschaftsverbandes „Svenskt Näringsliv“ in Stockholm.

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