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Politik: „Wir haben praktisch keinen Arbeitsmarkt“ CSU-Chef Edmund Stoiber über die 50-Stunden-Woche, die Grünen und seine Sehnsucht nach Intellektuellen

Das Kabinett hat seine Klausur beendet. Was hat sie aus Ihrer Sicht gebracht?

Das Kabinett hat seine Klausur beendet. Was hat sie aus Ihrer Sicht gebracht?

Die konkreten Ergebnisse der Kabinettsklausur sind auf der ganzen Linie enttäuschend. Für dieses „NullErgebnis“ hat sich der ganze Aufwand wirklich nicht gelohnt. Das traurige Resümee dieser traurigen Ministerrunde ist: Außer Spesen nichts gewesen. Die Regierung muss sich endlich mehr auf konkretes Arbeiten und konkrete Ergebnisse und weniger auf Effekthascherei konzentrieren.

Was hätte denn konkret vereinbart werden müssen?

Dringend notwendig nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wäre jetzt gewesen, für diese Menschen auch konkrete Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen – etwa auf kommunaler Ebene, auf der Ebene der Bundesagentur für Arbeit und durch Kombilohn-Modelle. Nur Einschnitte zu verlangen ist zu wenig. Fordern und fördern – beides gehört zusammen und kann nur zusammenfunktionieren. Die Regierung hat jetzt Einschnitte vorgenommen, ohne diese mit einer einschneidenden Arbeitsmarktreform zu verbinden. Dieser Fehler wird noch eine ganz bittere Pille für die Regierung und vor allem für die SPD.

Welche Zahl zeigt aus Ihrer Sicht den Ernst der Lage in Deutschland besonders?

Der Rückgang der Arbeitsplätze: Wir haben nur noch 26,2 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Täglich verlieren wir 1000 Arbeitsplätze. 4,3 Millionen Arbeitslose sind schlimm genug, noch dramatischer ist aber, dass 41 Prozent der erwachsenen Deutschen soziale Transferleistungen in Anspruch nehmen müssen. Gleichzeitig haben Bund, Länder und Gemeinden rund 1,4 Billionen Euro Schulden, so dass wir täglich 100 Millionen Zinsen zahlen müssen.

Was bedeutet das konkret?

Etwa: Jedes neugeborene Kind ist bereits mit 88 000 Euro Schulden und Pensionsverpflichtungen belastet. Das zeigt, wie hierzulande in einem unvorstellbaren Maße Gegenwartsegoismen gegen Zukunftsinteressen ausgespielt werden.

Das beklagen der Kanzler und seine rot- grüne Regierung ja auch …

… und verschweigen dabei, dass sie mit ihrer maßlosen Schuldenpolitik selbst den größten Teil der Verantwortung dafür tragen. Insbesondere die Grünen, die ja gern das Wort der Nachhaltigkeit predigen, müssen sich hier absolute Heuchelei vorwerfen lassen. Diese 68er Generation hinterlässt einen Staat, dessen finanzielle Strukturen völlig zerrüttet sind.

Dass sich vieles ändern muss, ist kaum umstritten. Nur die Begeisterung der Bevölkerung hält sich in Grenzen. Wie kann die Politik dieser Falle entgehen?

Nur durch geduldiges Aufklären. Und durch den Mut zur Wahrheit und zur Konsequenz. So gesehen ist Horst Köhler ein Bundespräsident, wie er besser nicht in unsere Zeit passen könnte. Mit seiner hohen Autorität spricht er Wahrheiten an und hilft damit den Regierenden, wenn sie Unbequemes anpacken wollen.

Das soll reichen?

Alleine nicht. Denn im Grunde brauchen wir eine ganz andere Stimmung in diesem Land. Deutschland braucht wieder mehr Selbstbewusstsein, das Gefühl und das Selbstvertrauen: Wir können das schaffen, was vor uns liegt. Wir brauchen eine breite Intellektuellen-Diskussion, die Land und Leuten Mut in Zeiten der Veränderung macht.

Der CSU-Chef sehnt sich nach Grass?

Jeder wäre willkommen. Aber: Die intellektuelle Klasse hat sich immer zu vielen Dingen geäußert, wo man bei ihnen kaum Kompetenz vermuten darf, von der Nachrüstung bis zur Atomenergie. Doch zu der eigentlich wichtigen Frage, wo Deutschland steht, und was wir tun müssen, höre ich leider gar nichts. Die Eliten unseres Landes, alle, nicht nur die politischen, müssen helfen, dass sich wieder Optimismus in Deutschland ausbreitet. Wir reden kaum über Chancen, nur über Probleme, Probleme, Probleme.

Was tun Sie denn im Moment anderes?

Nein, ich mache in meinem Land vieles anders. Wir handeln tatkräftig und die Leute sehen, dass sich etwas bewegt. Dadurch vermitteln wir Optimismus. Wenn wir als erstes Land lernen, mit dem auszukommen, was der Staat einnimmt, also keinen Euro neue Schulden mehr machen. Wenn wir moderne Arbeitsplätze einrichten, in München ein neues Fußballstadion bauen, in Würzburg ein Großklinikum, die Neutronenquelle …

Ein heikles Beispiel.

Wieso denn das? Das ist doch die einzige Spitzentechnologie, die wir in den vergangenen 15 Jahren geschaffen haben. Und die hat Sogwirkung. Deshalb, unter anderem, hat sich General Electric mit seinem Entwicklungszentrum bei uns angesiedelt. Aber auch, weil wir den seinerzeitig heftig umstrittenen Auf- und Ausbau des neuen Münchner Flughafens vorangetrieben haben. Auch das war ein Grund, warum GE nach München und nicht nach Berlin gegangen ist.

Im internationalen Vergleich liegen die staatlichen Investitionen bei uns ziemlich am Ende: 1,8 Prozent des Bruttosozialprodukts. Schaffen wir so Beschäftigung?

Natürlich habe ich nichts gegen staatliche Investitionen. Wenn wir die täglich 100 Millionen Zinslast investieren könnten, wären das beispielsweise 20 neue Kindergärten oder fünf Gymnasien jeden Tag. Aber der Schlüssel zum Aufschwung liegt nicht bei den Staatsinvestitionen. Wer glaubt, dass damit oder durch Beschäftigungsprogramme die Konjunktur angekurbelt werden könnte, irrt gewaltig.

Wo liegt der Schlüssel dann?

In unserem total überregulierten Arbeitsmarkt, genauer: Wir haben praktisch keinen Arbeitsmarkt! Da müssen wir ran! Was wir jetzt erleben, ist natürlich ein gewaltiger Entwicklungsprozess, aber das reicht bei weitem nicht.

Von der 35 Stunden-Woche über 40 auf 50 Stunden?

Man sollte hier nicht zu Übertreibungen greifen und die Menschen nicht verunsichern. Es stimmt, dass die Deutschen im internationalen Vergleich zu wenig arbeiten. Das haben wir uns so lange leisten können, wie unsere pro Kopf-Produktivität über jener der anderen Industrieländer lag. Diese Zeiten sind vorbei: Amerikaner, Briten und Skandinavier etwa haben gleichgezogen. Wenn sie dann noch länger arbeiten, erwirtschaften sie ein höheres Bruttosozialprodukt. Die 40-Stunden-Woche, die Siemens und die IG Metall für die Handyfertigung vereinbart haben, die 40 bis 42 Stunden, die wir in Bayern im öffentlichen Dienst machen, das sind die richtigen Antworten. Eine maßvolle Arbeitszeitverlängerung ohne Lohneinbuße stärkt uns im internationalen Wettbewerb. Aber 50 Stunden ohne Lohnausgleich ist eine Übertreibung. Das ist mit mir nicht zu machen. Was wir brauchen, ist ein hohes Maß an Flexibilität. In diese Richtung müssen wir den Arbeitsmarkt neu gestalten.

Wäre Umsteuern wie in osteuropäischen Staaten ein Beitrag? Ein niedriger Einkommensteuersatz, 25 Prozent etwa, für alle?

Das kann in den Ländern, die im Grunde ganz neu anfangen mussten, vielleicht funktionieren. Für uns ist das kein Weg.

Was dann?

Wir wollen gleich nach dem Regierungswechsel starten mit einer Steuerentlastung von zehn Milliarden, dem tiefsten Steuersatz in der Geschichte der Bundesrepublik und dem drastischen Streichen von Ausnahmen. Eine tief greifende Strukturreform unseres Steuersystems folgt als zweiter Schritt. Doch dafür brauchen wir ein gewisses Mehr an Wachstum. Diese zweite Stufe der Steuerreform wird im Jahr 2008 ins Werk gesetzt.

Und dann passen Ihre Steuerpläne nicht zu der Gesundheitsprämie der CDU.

Da ist das letzte Wort ja noch nicht gesprochen. Die Unionsparteien werden darüber beraten und wollen bis Ende des Jahres ein gemeinsames Modell vorlegen. Ich setze einige Erwartungen in das Modell des Vorsitzenden der NRW-CDU, Jürgen Rüttgers, und das Modell, das Professor Rürup in wenigen Tagen vorstellen wird. Beide Modelle gehen in die richtige Richtung und können eine wichtige Grundlage für eine Verständigung in dieser Frage zwischen CDU und CSU werden. Ich begrüße es daher, dass in die Diskussion über die Gesundheitsprämie jetzt Bewegung kommt. Den Sozialausgleich vorwiegend mit Steuern zu erreichen, halte ich für kaum finanzierbar. Aber eine Bürgerprämie mit Bezug zum Einkommen der Menschen – woran Rüttgers wie Rürup jetzt arbeiten – ist der richtige Weg.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff, Ingrid Müller und Peter Siebenmorgen. Das Foto machte Mike Wolff.

DER POLITIKER

Der heute 62-jährige Jurist begann 1971 als Regierungsrat im bayerischen Umweltministerium und machte schnell Karriere. Schon ein Jahr später wurde er persönlicher Referent des Umweltministers Max Streibl, dem späteren Ministerpräsidenten. 1974 zog Edmund Stoiber in den Landtag ein.

DER LANDESVATER

Nach klassischer Parteikarriere ist Stoiber am 28. Mai 1993 vorerst am Ziel. Er regiert von da an als bayerischer Ministerpräsident.

DER KANDIDAT

Die K-Frage entschied er gegen Angela Merkel für sich. Jetzt schlug er das Angebot aus, EU-Chef zu werden. Ob er 2006 noch einmal Kanzlerkandidat werden kann?

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