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Politik: „Wir mögen sie nicht“

Das Verhältnis zur Schweiz ist gespannt – Joschka Fischer in Bern

Bundesaußenminister Joschka Fischer hielt sich am Mittwoch in der Schweiz zu einer heiklen diplomatischen Mission auf. Der Gast versuchte, das stark angespannte deutsch-helvetische Verhältnis zu normalisieren. „Deutschland hat ein großes Interesse an gutnachbarschaftlichen Beziehungen“, sagte Fischer nach dem Treffen mit Berns Außenministerin Micheline Calmy- Rey. Man wolle die offenen Fragen konstruktiv lösen. Doch die Absichtserklärung kann die gravierenden Konflikte nicht beseitigen. Das Verhältnis der traditionell eng befreundeten Staaten ist derzeit so schlecht wie lange nicht mehr. Sichtbarer Höhepunkt der Krise sind die langen Staus an den Grenzen.

Vor mehr als zwei Wochen verschärften die deutschen Behörden die Personenkontrollen – ohne die Schweizer Seite zu warnen. Der eidgenössische Finanzminister Hans-Rudolf Merz fürchtet wegen der Verzögerungen enorme wirtschaftliche Schäden. Seine Reaktion klang undiplomatisch: „Es ist absolut irritierend und befremdlich, dass man unter Nachbarn so miteinander verkehrt.“

Offiziell verteidigt Berlin die härtere Gangart mit dem Schengen-Abkommen. Doch die Schweizer vermuten eine deutsche Strafaktion. Bisher hat Bern das mühsam ausgehandelte Abkommen zur Zinsbesteuerung mit der EU nicht unterschrieben. Erst wenn die anderen Vereinbarungen, die derzeit mit Brüssel verhandelt werden, abgeschlossen sind, wollen die Eidgenossen signieren.

Zumal Berlin wird deshalb ungeduldig. Denn die Vereinbarung soll deutsche Steuerflüchtlinge abschrecken: Das Abkommen sieht vor, dass Guthaben von EU-Bürgern in der Schweiz steuerlich belastet werden. Der Großteil der Einnahmen wird an die EU-Staaten geleitet. „Ich nehme an, kein Land in Europa will eine Fluchtburg für Steuerflüchtlinge sein“, hatte Berlins klammer Finanzminister Hans Eichel in Richtung Schweiz gedroht. „Die Erwartung ist eindeutig.“

Auch ein anderes Projekt verursacht Ärger: In Benken, im grenznahen Kanton Zürich, soll ein Endlager für Atomabfall errichtet werden. „Die Planungen sind zwar erst in der Vorphase“, sagt ein hochrangiger Vertreter der Schweizer Regierung. „Ich kann aber die Wut der Deutschen über eine Atom-Müllkippe vor ihrer Haustür verstehen.“

Dass die Schweizer die Geduld des Nachbarn nicht endlos strapazieren können, lernten sie beim Thema Fluglärm. Die Schweizer hatten Flüge zum Airport Zürich lange Zeit über deutsches Gebiet geführt. Nachdem keine Einigung zwischen Bern und Berlin erzielt werden konnte, setzte das deutsche Verkehrsministerium eine einseitige Verordnung durch, die den krachgeplagten Bewohnern Baden-Württembergs ihre Ruhe bringen soll. Die Schweizer suchen jetzt händeringend neue Flugschneisen.

Bei all den Sticheleien und Konflikten bleibt eins nicht aus: Schweizer artikulieren offener ihre wahren Gefühle gegenüber den Einwohnern des „großen Kantons“. „Die meisten Deutschen mögen uns immer noch“, schrieb gestern die Mittellandzeitung. „Aber wir mögen sie nicht.“

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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