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Politik: „Wir sind weltoffen, aber nicht doof“ SPD-Obmann Olaf Scholz über Fehler in der Visa-Affäre, die Grenzen der Toleranz und die Grünen

Herr Scholz, was können SPD und Grüne aus der VisaAffäre lernen? Wenn es nur um Schuldzuweisung ginge, würde der Untersuchungsausschuss seiner Aufgabe nicht gerecht.

Herr Scholz, was können SPD und Grüne aus der VisaAffäre lernen?

Wenn es nur um Schuldzuweisung ginge, würde der Untersuchungsausschuss seiner Aufgabe nicht gerecht. Wir wollen gemeinsam mit der Opposition im Abschlussbericht Vorschläge machen, wie das System unserer Visa-Vergabe noch besser organisiert werden kann. Grundsätzlich gilt die Regel: Am besten handelt man immer schnell und zügig.

Sie spielen darauf an, dass die Bundesregierung zu spät auf die Warnungen vor Visa- Missbrauch reagiert hat.

Wir haben ein klares Bild von den Abläufen. Es gab einen Anstieg der Visa-Erteilung vor allem in der Ukraine in den Jahren 2001 und 2002. In beiden Jahren ist einigermaßen zügig, aber nicht zügig genug gehandelt worden. Das hat Außenminister Joschka Fischer eingeräumt.

In Fischers Fehlerbekenntnis kommt der Volmer-Erlass nicht vor. War die damalige Festlegung „im Zweifel für die Reisefreiheit" nicht das Grundproblem?

Aufgabe des Ausschusses ist es, zu untersuchen, wie es zu dem Anstieg der Visa-Zahlen 2001 und 2002 kam. Der Volmer-Erlass ist korrigiert worden, sicher aus gutem Grund.

SPD-Politiker wie der Nordrhein-Westfale Harald Schartau und Parteichef Franz Müntefering drängen auf eine schnelle Aussage des Außenministers. Warum ist es so schwierig, Joschka Fischer schnell vor den Ausschuss zu laden?

Der Untersuchungsausschuss muss seiner Arbeit seriös nachgehen. Wir arbeiten mit größtmöglicher Schnelligkeit, um so früh wie möglich zum Ziel zu kommen. Alle Fraktionen haben zugestimmt, dass wir die Zahl der Termine verdoppeln und auch in der sitzungsfreien Zeit tagen. Mein Ziel lautet: Ich möchte mit der Beweisaufnahme inklusive Zeugenvernehmung bis zur Sommerpause fertig werden.

Halten Sie es für realistisch, dass Fischer vor der NRW-Wahl am 22. Mai aussagt?

Dazu kann ich keine Aussagen machen, weil das von der Dynamik unserer Arbeit abhängt. Im Augenblick kriegen wir gerade die ersten wichtigen Akten. Es ist deshalb sachgerecht, dass wir beim gemeinsam verabredeten Arbeitsplan bleiben.

Stören die Rufe der NRW-SPD nach einem schnellen Fischer-Auftritt die Arbeit des Ausschusses?

Ich kritisiere diese Forderungen nicht, ich verstehe sie nur zu gut. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine sehr gute Arbeit geleistet. Gerade Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau ist einer der entschiedensten Kämpfer gegen Schwarzarbeit. Innenminister Fritz Behrens zeigt die notwendige Härte beim Vorgehen gegen Gesetzesbrecher. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre Leistung gerecht beurteilt wird.

Schartau klagt mit Hinweis auf die Angst vor Schwarzarbeit, die SPD-Wählerschaft leide besonders unter der Visa-Affäre. Hat er da Recht?

Harald Schartau beschreibt die Sorgen vieler Menschen richtig. Wir müssen deshalb deutlich machen, dass durch die Visa-Problematik heute keine Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet sind. Die Fehler sind behoben. Wir wissen auch, dass die meisten, die sich Visa erschlichen haben, gar nicht in Deutschland geblieben sind.

Nochmal: Leidet die SPD stärker als die Grünen darunter, dass die Regierung in Sicherheitsfragen zu lax gehandelt hat?

Diese Bundesregierung muss sich diesen Vorwurf nicht anziehen. Innenminister Otto Schily macht eine Sicherheitspolitik, die beispielhaft ist. Der Versuch, ihm hier ein Versagen anzuhängen, wird scheitern.

Schily war früh informiert über Missstände, räumt aber im Gegensatz zu Fischer keine Fehler ein.

Der Innenminister hat sich keine Fehler vorzuwerfen. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben gut gearbeitet. Wer gegen Gesetze verstoßen hat, wurde identifiziert, ist mittlerweile angeklagt. Sobald Erkenntnisse vorlagen, ist viel schneller gehandelt worden, als das zu Anfang der Ausschussarbeit schien.

Ist Ihre Rolle im Ausschuss die des Schily-Verteidigers?

Meine Rolle ist die eines Abgeordneten des deutschen Volkes, der dafür sorgt, dass die Wahrheit ans Licht kommt und nichts vertuscht wird.

Es geht auch um gegensätzliche Weltbilder. Schadet es der Koalition, dass die Grünen lange Zeit stärker auf Weltoffenheit als auf Sicherheit gesetzt haben?

Als ich Innensenator in Hamburg war, habe ich mich an die Devise gehalten: Ich bin liberal, aber nicht doof. Das haben die Menschen verstanden. Eine SPD-geführte Regierung muss sich an dem Motto orientieren: Wir sind weltoffen, aber nicht doof. Im Untersuchungsausschuss soll es aber um Sachfragen gehen. Deshalb wende ich mich entschieden gegen jede ideologische Überhöhung.

Wurde die Debatte nicht von beiden Seiten ideologisch aufgeladen - von der Union und von den Grünen?

Ich bin überzeugt: Wer beschönigt, verliert an Glaubwürdigkeit. Wer übertreibt, tut das auch. Diese Warnung muss sich die Union anhören.

Die Warnung vor Beschönigung geht an die Grünen?

Außenminister Fischer hat in seiner Rede in Köln klar gemacht, dass etwas falsch gelaufen ist und es in seinem Interesse ist, wenn der Untersuchungsausschuss dies aufklärt.

Kam das Bekenntnis zur Aufklärung zu spät?

Wichtig ist, dass dieses Bekenntnis kam.

Ist das Konzept von „Multikulti“ gescheitert?

Im Ausschuss steht diese Frage nicht zur Debatte. Ich habe kein Interesse daran, dass der Abschlussbericht das Wort „Multikulti" auch nur erwähnt.

Dann stellen wir die Frage an den SPD-Politiker und früheren Generalsekretär.

Im Gegensatz zu anderen Parteien haben wir Sozialdemokraten immer einen klaren Blick auf die Probleme. Das gilt auch für das Staatsangehörigkeitsgesetz und das Zuwanderungsgesetz. Wir haben mit großer Nüchternheit unser Land in begrenztem und geregeltem Ausmaß geöffnet. Wir geben der Politik gleichzeitig harte Instrumente in die Hand gegen jene Leute, die wir hier nicht haben wollen. Das ist eine vernünftige und von den meisten Bürgern auch geschätzte Haltung.

Sowohl in der Visa-Affäre als auch beim Antidiskriminierungsgesetz steht die Koalition aber im Verdacht, sie lasse sich von Ideologie leiten.

Das ist Quatsch. Wir wollen ein Antidiskriminierungsgesetz machen, aber wir müssen es auch machen. Wir wollen es machen, weil wir nicht mehr ertragen können, dass zum Beispiel eine Gruppe Behinderter in ein Restaurant gehen will und wieder hinausgeschickt wird. Das ist eine so demütigende Erfahrung, dass wir sagen: Wir stehen diesen Menschen bei. Wir müssen das Gesetz auch machen. Achtzig Prozent dieses Gesetzes sind von EU-Richtlinien vorgeschrieben.

Wo gehen Sie über EU-Vorgaben hinaus?

Die EU verbietet im Privatrecht Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Ethnie. In nationaler Zuständigkeit haben wir nun zum Beispiel auch die Behinderten geschützt. Im Arbeitsrecht schreibt uns die EU ohnehin vor, alle Merkmale, die zu ungerechter Diskriminierung führen können, zu schützen.

Die Wirtschaft wirft Ihnen Überregulierung vor.

Das ist Unsinn. Wir haben ein pragmatisches, lebensnahes Gesetz gemacht. Jeder vernünftige Unternehmer, Arbeitgeber oder Vermieter kann es einhalten, ohne es überhaupt gelesen zu haben. Es führt nicht zu einer größeren bürokratischen Belastung der Unternehmen.

Warum kritisieren dann gleich mehrere Minister das Projekt als zu bürokratisch?

Mir hat keiner irgendwelche Kritik vorgetragen. Es bleibt bei dem geplanten umfassenden Gesetz. Natürlich werden wir nach der Anhörung am Montag überlegen, wo man das Gesetz präzisieren sollte. Dazu ist sie ja da.

Wo sehen Sie Spielraum?

Ich kann mir vorstellen, dass wir eine Frist für Beschwerden setzen: Wer sich diskriminiert fühlt, sollte sich innerhalb von sechs Monaten melden müssen. Ich bin grundsätzlich offen für pragmatische Vorschläge, solange sie den Kern des Gesetzes nicht verwässern.

Noch einmal zur Visa-Affäre: Warum legt sich Kanzler Schröder lange vor Abschluss des Untersuchungsausschusses schon fest, dass Fischer Außenminister bleibt?

Weil das so richtig ist. Wir wissen, es hat Schwierigkeiten gegeben. Das war nicht gut. Sie wurden behoben. Die bekannten Fehler sind keine, die einen Rücktritt erfordern oder rechtfertigen würden.

Ist Rot-Grün ohne Fischer undenkbar?

Warum soll ich mich an einer Diskussion beteiligen, die rein hypothetisch ist?

Die Fragen stellten Hans Monath und Stephan Haselberger. Das Foto machte Thilo Rückeis.

GERECHTIGKEIT

Olaf Scholz wird am 14. Juni 1958 in Osnabrück geboren. 1975 tritt er der SPD mit dem Ziel bei, sich „für Gerechtigkeit einzusetzen“. Von 2002 bis 2004 dient er als SPD-Generalsekretär.

SICHERHEIT

2001 ist Scholz fünf Monate lang Hamburger Innensenator. Daher kennt er das Innenleben der deutschen Sicherheitsbehörden – eine gute Voraussetzung für den SPD-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss.

WARTEZEIT

Gerhard Schröder schätzt den oft spröde wirkenden Wahlhamburger. Er gilt als einer der Kandidaten für einen Ministerposten – falls der Kanzler sein Kabinett noch umbaut.

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