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Politik: „Wir werden langfristig in Afghanistan engagiert bleiben“

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul über die deutsche Hilfe für Kabul und die Probleme beim Wiederaufbau

Mit welchem Angebot reisen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sie am Dienstag und Mittwoch zur Afghanistan-Konferenz in London?

Wir haben der afghanischen Regierung schon zu einem früheren Zeitpunkt eine jährliche Unterstützungssumme von 80 Millionen Euro bis 2008 zugesagt. Dabei bleibt es. Wir werden diese Zusage aber bis 2010 erweitern. Für den Zeitraum 2006 bis 2010 sind das dann 400 Millionen Euro. Wir werden langfristig in Afghanistan engagiert bleiben, anderenfalls würde der Wiederaufbau wieder in Gefahr gebracht.

Ist die Londoner Konferenz wieder eine klassische Geberkonferenz?

Nein. Jetzt beginnt eine neue Etappe beim Wiederaufbau Afghanistans. Mit der Wahl des Parlaments im Dezember ist der Petersberg-Prozess, den Deutschland maßgeblich mit unterstützt hat, zu Ende gegangen. Jetzt geht es darum, wie die afghanische Seite noch stärker ihre eigene Verantwortung wahrnehmen kann. Die Regierung soll nicht nur ihre finanziellen Wünsche formulieren, sondern soll und will sich verpflichten, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Beispielsweise die Bildung zu verbessern. Noch immer liegt die Analphabetenrate bei rund 80 Prozent. Es gibt noch immer eine Ernährungskrise in Teilen des Landes. Und es ist wichtig, dass die Frauen besser gefördert werden. Afghanistan kann und darf beim Wiederaufbau nicht auf die Hälfte seiner Kreativität, die Frauen, verzichten, und die Regierung weiß das auch.

Wie hilft Deutschland dabei?

Wir wollen dazu beitragen, dass die Regierungs- und Verwaltungsstrukturen verbessert und gestärkt werden. Denn nur dann kann die afghanische Regierung eigene Steuereinnahmen eintreiben und verwalten. Dazu gehört auch die Bekämpfung der Korruption. Wir wollen deshalb öffentliche Bedienstete und Regierungsmitarbeiter beraten, vor allem in den Provinzen. Die Entwicklung soll ja nicht nur in der Hauptstadt Kabul vorankommen.

Es geht also vor allem darum, die Regierung bei ihrer Arbeit zu unterstützen?

Es geht auch um die wirtschaftliche Entwicklung. Wir wollen die Entwicklung der privaten Wirtschaft unterstützen. Auf dem Land geht es vor allem darum, Alternativen zum Mohnanbau zu finden. Denn anders lässt sich der Drogenhandel nicht bekämpfen. Das ist zwar ein Schwerpunkt der britischen Regierung. Aber es ist natürlich auch die afghanische Eigenverantwortung. Wir unterstützen deusche und afghanische Investoren beim Wiederaufbau einer Zuckerfabrik, die 12 000 Menschen in der Region Baghlan Einkommensalternativen bieten soll.

Die afghanische Übergangsregierung hat vor früheren Konferenzen kritisiert, dass die meisten Hilfszahlungen an internationale Organisationen überwiesen werden und kaum etwas über die afghanischen Institutionen laufe. Soll sich das jetzt ändern?

Wir haben natürlich einerseits die Verpflichtung, die Mittel so einzusetzen, dass sie der Bevölkerung zugute kommen. Das heißt: Es darf kein Geld durch Korruption verschwinden. Aber wir haben den jungen Staat in vielerlei Hinsicht versucht zu stärken: Wir haben dazu beigetragen, dass die Investitionsagentur AISA, eine Anlaufstelle für Investoren in Afghanistan, eingerichtet worden ist. Wir waren an der Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung in Kabul und anderen Städten beteiligt und haben geholfen, dass 230 Grundschulen aufgebaut und eingerichtet wurden. Wir haben das Frauenministerium unterstützt. Und auch die 2450 deutschen Isaf-Soldaten, die im Rahmen der internationalen Schutztruppe die Sicherheitslage verbessern, sind ein wichtiger deutscher Beitrag zum Wiederaufbau. Das gilt auch für die Ausbildung der Polizei. Unser Engagement ist von afghanischer Seite nie kritisiert worden. Im Gegenteil.

Der afghanische Wirtschaftsminister Amin Farhang hat vor ein paar Monaten folgende Rechnung aufgemacht: Von den zwei Milliarden Dollar, die seine Regierung an Steuern und Zöllen jährlich einnehme, kämen lediglich 400 Millionen Dollar in Kabul an. Der Rest verschwinde in „dunklen Kanälen“. Sie wollen die Verwaltungen stärken, wie soll das gehen?

Ich kenne diese Rechnung nicht. Es geht aber vor allem darum, in allen Regionen die Transparenz bei der Aufstellung des Haushalts und bei der Rechnungslegung herzustellen. Das hat sich die Regierung auch selbst vorgenommen. Es soll auch eine Anti-Korruptions-Initiative geben, die wir beraten wollen. Es kommt natürlich darauf an, dass der afghanische Staat seine Einnahmen so vergrößert, dass er eigenständig seine Staatsbediensteten, seine Polizei und seine Armee bezahlen kann, und zwar gut genug, dass sie nicht in Korruption ausweichen, um ihre Familien durchzubringen.

Das Interview führte Dagmar Dehmer.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (63) ist seit 1998 Entwicklungsministerin. Die SPD-Politikerin gehört dem linken Parteiflügel an und war auch in der großen Koalition unumstritten.

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