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Politik: „Wir wissen auch um die Verdienste“

Das politische Berlin reagiert geschockt und nachdenklich auf den Tod von Jürgen W. Möllemann

Von Hans Monath

Von Markus Feldenkirchen

und Hans Monath

Als Vizepräsidentin Susanne Kastner kurz vor drei Uhr nachmittags die Sitzung des Bundestags unterbricht, hat die Nachricht vom Tode Jürgen Möllemanns in der Hauptstadt längst die Runde gemacht. Viele Abgeordnete haben in den Büros die Nachrichten mitlaufen lassen oder sind von Mitarbeitern informiert worden. Andere erfahren erst durch Journalisten in den Gängen des Reichstags von dem Geschehen.

Während die Abgeordneten sich im Plenum erheben, schlägt die Vizepräsidentin einen Ton an, der viele Stellungnahmen zum plötzlichen Tod des Politikers an diesem Tag prägen wird: Die Kritik an seiner Person dürfe „nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Jürgen Möllemann in seiner jahrzehntelangen politischen Arbeit sehr viel Anerkennnung erworben hat“, sagt die Sozialdemokratin und drückt der Familie des Umgekommenen im Namen des Bundestags „unser tief empfundenes Beileid aus“.

Guido Westerwelle tritt, sichtlich bewegt, nur gut eine Stunde nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tod Möllemanns vor die Presse. Der FDP-Vorsitzende spricht Möllemanns Familie seine Anteilnahme und sein „tiefes Mitgefühl“ aus. Er wünsche Möllemanns Frau und dessen Töchtern Kraft. Und dann sagt Westerwelle noch: Die FDP wisse auch um die „politischen Verdienste“ Möllemanns. Ohne ein weiteres Wort tritt Westerwelle vom Pult ab und verschwindet im Reichstag.

Extrem polarisiert hatten die politischen Aktionen und Aussagen Jürgen W. Möllemanns vor allem im vergangenen Jahr. Doch nach dem Tod des ehemaligen Vizekanzlers treten in Berlin die politischen Unterschiede ganz in den Hintergrund: Politiker, die entweder ihr Leben lang mit Möllemann gestritten oder sich wie viele Liberale erst spät von ihm distanziert haben, zeigen sich entsetzt und erschüttert. „Unser Beileid und unsere Anteilnahme gilt seiner Familie und den Angehörigen“, erklären die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, die mit Möllemanns Partei stets in scharfem Wettbewerb gestanden und ihm im Wahlkampf das Spiel mit antisemitischen Klischees vorgeworfen hatte. Auch Hans-Christian Ströbele, der im politischen Spektrum des Bundestages vielleicht am weitesten von Möllemann entfernt war, sagt, dass die Nachricht „schrecklich, grauenhaft und tragisch“ sei. Und ein wenig hinterfragt er auch seine Kollegen und sich selbst, wenn er sagt: „Alles, was man tut, darf nicht dazu führen, dass jemand in eine so verzweifelte Situation kommt“, sagt Ströbele und denkt wohl auch an die Kübel an Kritik, die er und andere über Möllemann ausgekippt hatten. Aus seiner Tasche holt Ströbele die Bundestags-Drucksache, mit der am Morgen Möllemanns Immunität schwarz auf weiß aufgehoben worden war. Und dann erzählt er, dass er „auch sehr gute Erfahrungen mit Möllemann“ gemacht habe. 1985 war es, Ströbele reiste in der Delegation des damaligen Staatsministers im Auswärtigen Amt durch Mittelamerika. Dort habe man sehr negative Geschichten über einen deutschen Botschafter gehört. Er habe sich damals schrecklich über den Botschafter aufgeregt, erinnert sich Ströbele. Und Möllemann habe daraufhin „sehr gut reagiert“, habe die Beschwerden des Grünen „sehr ernst“ genommen. „Das fand ich äußerst kollegial.“

Obwohl Möllemann zum Schluss politisch isoliert war, wird nun an seine Verdienste erinnert. „Er hat auch die Geschichte dieser Republik ein Stück weit geprägt“, sagt Umweltminister Jürgen Trittin. „Insofern ist das ein tragisches Ende.“ Und Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) spricht von „wichtigen Impulsen“ ihres Vorgängers im Amt in der Bildungs- und Hochschulpolitik. „Möllemann war einer der wenigen Bildungsminister während der Kohl-Regierung, der sein Amt ernst und engagiert ausgeübt hat.“

Verhalten werden die politischen Verfehlungen des Verstorbenen angesprochen. „Die politischen Instinkte gingen mit ihm durch“, beschreibt CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger seine Wahrnehmung. „Trotzdem ist man geschockt und traurig.“

Auch die extreme Art seines Todes nötigt manchem noch Respekt ab. „Wenn das ein Selbstmord war“, sagte ein Parlamentarier zu dem Sturz aus dem Flugzeug, „dann war das ein Schritt, zu dem sehr viel Mut gehört“.

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