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Flüchtlinge in Kiel.

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Update

Wirbel um Polizei-Leitlinie in Schleswig-Holstein: Innenminister Stefan Studt: In jedem Fall Strafanzeige erstellt

Eine Übereinkunft zum Umgang der Kieler Polizei mit kleinstkriminellen Flüchtlingen sorgt für Aufregung. Ladendiebe ohne Ausweis sollten demnach weder fotografiert werden noch Fingerabdrücke abgeben müssen.

Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) sowie Staatsanwaltschaft und Polizei in Kiel haben Berichte über den angeblichen Stopp der Strafverfolgung von bei Bagatelldelikten ertappten Flüchtlingen zurückgewiesen. "In jedem Fall sind Strafanzeigen erstellt und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden", erklärte Studt (SPD) am Donnerstag. Ein Staatsanwaltschafts-Sprecher sagte: "Für jeden Ladendiebstahl wird eine Anzeige gefertigt. Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet."
Zuvor hatten die "Bild"-Zeitung und die "Kieler Nachrichten" über eine angebliche "Anweisung" aus dem vergangenen Oktober berichtet, mit der die Kieler Polizei von der Pflicht befreit worden sei, etwa Ladendiebstähle von Flüchtlingen ohne Ausweispapiere weiter zu verfolgen.

Auf Foto und Fingerabdruck könne verzichtet werden

Auch die Kieler Polizei wies die Vorwürfe am Donnerstag zurück. Es werde der "falsche Eindruck" erweckt, dass sie Straftaten von Flüchtlingen regelmäßig nicht verfolge. In dem Schreiben wurden dem Sprecher der Staatsanwaltschaft zufolge rein vorsorglich bestimmte Abläufe für den Fall einer starken Zunahme bestimmter Kleinstdelikte in Verbindung mit dem Zuzug von Flüchtlingen zwischen der Anklagebehörde und der örtlichen Polizei im Raum Kiel festgelegt. Faktisch seien diese allerdings "so gut wie gar nicht" zum Tragen gekommen, weil es keinen signifikanten Anstieg gegeben habe, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Das Fallaufkommen sei 2015 genau so hoch gewesen wie 2014. Das vorsorglich abgesprochene Verfahren sah demnach vor, bei kleinen Diebstählen durch Flüchtlinge, die das erste Mal dabei ertappt wurden, bei der Anzeige eventuell auf eine Überprüfung der Identität zu verzichten, da dies in der Praxis ohnehin kaum möglich sei. Bearbeiter sollten mit den Angaben des Beschuldigten arbeiten. Außerdem sollte auf eine erkennungsdienstliche Behandlung in Form von Fingerabdruck- und Fotodokumentation verzichtet werden, weil dies nach der Strafprozessordnung den Eintritt in eine neue Stufe markiert. Dabei hätte dem Betroffenen etwa rechtliches Gehör angeboten werden müssen, was wiederum Dolmetscher erforderlich gemacht hätte.

Verfahren sollte nur bei kleinen Delikten gelten

Greifen sollte dieses Verfahren nur bei Diebstählen geringwertiger Alltagsgegenstände wie einer Packung Kekse oder einer Mütze, betonte der Sprecher. Diebstähle von Waren wie Alkohol oder Parfüm, bei denen Verkaufsabsicht unterstellt werden könnte, sollten ausgenommen bleiben. Es habe zudem nur für erstmalig erwischte Personen gelten sollen. Das "Risiko", dass Wiederholungstäter durch Angabe eines anderen Namens im Einzelfall erneut als Ersttäter durchgehen könnten, sei dabei selbstverständlich gesehen worden, betonte er. Es sei in der damaligen Situation aber als "akzeptabel" eingestuft worden. Ermittlungen von geringfügigen Ladendiebstählen bei Ersttätern würden in Deutschland durch Staatsanwaltschaften und Gerichte später ohne Anklage routinemäßig eingestellt, betonte der Sprecher weiter. Das gelte für sämtliche Beschuldigten, egal ob es sich um Flüchtlinge handle oder nicht. "Das Verfahren wird wie bei jedem anderen durchgeführt." Die SPD-Regierungsfraktion im Kieler Landtag sprach am Donnerstag von nicht haltbaren Vorwürfen und kritisierte, "interessierte Kreise" würden die Polizei in dem Bundesland bewusst schlecht reden wollen. Der Landesvorsitzende der oppositionellen CDU, Ingbert Liebing, attackierte die Regierung am Donnerstag in einer ersten Reaktion auf die Berichte scharf und klagte, die Sicherheit im Land komme "vor die Hunde".

Tatsächlich ist aus der Vereinbarung nach dpa-Informationen keine landesweite Regelung geworden. Die Opposition im Landtag reagierte empört auf die Berichte. CDU-Fraktionschef Daniel Günther forderte Innenminister Stefan Studt (SPD) und Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) zur Stellungnahme auf. „Der Eindruck, dass in Schleswig-Holstein zweierlei Recht gelten könnte, muss unverzüglich aus der Welt. Denn er erschüttert das Rechtsempfinden der Menschen bis ins Mark“, sagte er. Polizei und Staatsanwaltschaft handelten so, „wie es die von der Landesregierung gesetzten Rahmenbedingungen erfordern und zulassen“.

Auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki forderte Studt zur Stellungnahme auf. Unabhängig davon werde die FDP-Fraktion ihn in den Innen- und Rechtsausschuss des Landtages laden. „Das Vertrauen der Menschen in die Durchsetzungsfähigkeit des Rechtstaates und in die Lauterkeit staatlichen Handelns darf nicht noch weiter beschädigt werden“, sagte Kubicki. (dpa, AFP, Tsp)

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