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Das Firmen-Logo von Wirecard in Aschheim bei München

© Andreas Gebert / REUTERS

Reform der Finanzaufsicht: Wir brauchen kriminalistische Finanzwächter

Die Bafin hat nicht nur im Wirecard-Skandal versagt: Sie braucht kein Reförmchen, sondern eine neue DNA und Ermittlungsbefugnisse. Ein Gastbeitrag.

Die Autorin ist Sprecherin für Finanzpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Fall Wirecard könnte der größte Bilanzskandal in der deutschen Geschichte werden. Schon jetzt sind Millionen von Anlegern betroffen – und nicht nur Großinvestoren, wie Goldman Sachs, sondern auch Tausende Kleinanleger. Ihnen wurde das Unternehmen bis zum Schluss als attraktive Anlage empfohlen.

In wenigen Tagen wurden über 15 Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet: darunter die Altersvorsorge und das hart Ersparte vieler Kleinanleger. Der Imageschaden für den Finanzstandort Deutschland ist immens.

Denn eigentlich gehört zu den Hauptaufgaben der deutschen Finanzaufsicht, der Bafin, die Finanzstabilität zu sichern und Kleinsparer zu schützen.

Wenn in wenigen Tagen ein DAX-Unternehmen förmlich vor unser aller Augen implodiert, dann hilft die Beteuerung, nach Vorschrift gehandelt zu haben, herzlich wenig. Der Skandal um Wirecard ist damit im Kern ein Aufsichts-Skandal.

Bilanz der Bafin ist verheerend

Beschäftigt man sich mit der Bilanz der deutschen Finanzaufsicht der letzten Jahre, wird schnell klar: Wirecard ist kein Einzelfall. Es ist nur der aktuellste Fall in einer Serie von Finanzskandalen. Die windigen Geschäfte des Irland-Ablegers der Hypo Real Estate blieben von der Bafin jahrelang unbemerkt. Bis sie 2008 zum Zusammenbruch des Immobilienfinanzierers führten, der mit Milliarden an Steuergeldern gerettet werden musste.

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Auch bei den organisierten Steuerraubzügen, den sogenannten Cum-Ex Geschäften, kam das Nicht-Handeln der Bafin den Steuerzahlenden teuer zu stehen. Besonders pikant: Die heutige Bafin Vize-Chefin Elisabeth Roegele hat sich als damalige Chefjuristin der Dekabank jahrelang für millionenschwere Steuerrückerstattungen aus einem Cum-Ex-Geschäft stark- gemacht.

Chic, aber zahnlos: Die Finanzausicht Bafin hat in Frankfurt ihren Sitz.

© imago/sepp spiegl

Später traf die Prokon-Pleite Zehntausende Anlegerinnen und Anleger, die dem Versprechen des Windkraftanlagenbauers auf Wunder-Zinsen auf den Leim gingen. Dies sind nur wenige Beispiele aus einer Liste von über 50 Skandalen, die Deutschland nach Ende der Finanzkrise erschüttert haben. Eine katastrophale Bilanz.

Die Bundesregierung hat die Reform der Finanzaufsicht verschlafen

Vor diesem Hintergrund muss klar sein: mit ein paar Personalwechseln ist es nicht getan. Die Finanzaufsicht braucht strukturelle Veränderungen und eine neue DNA. Denn wir brauchen eine starke Finanzaufsicht. Das gilt für die Reform der Aufsicht über die einzelnen Finanzvermittler genauso wie für große Finanzunternehmen.

Verbraucherschutz und Finanzstabilität sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es jetzt einige versuchen. Dafür muss die Bundesregierung jetzt die strukturellen Probleme und die Reformen angehen, die sie verschlafen hat.

Während viele Länder, darunter die USA oder Großbritannien, ihre Aufsicht nach der Finanzkrise 2010 grundlegend reformierten, versäumte die großen Koalition damals den Neustart. Wenn Olaf Scholz nun davon spricht, mehr Personal bereitzustellen und Prüfkompetenzen auszuweiten, dann können das allenfalls erste Schritte sein. Eine echte Reform ist es aber nicht.

Wir brauchen agile Finanzwächter mit kriminalistischem Gespür

Was wir aber brauchen ist eine ganz neue Aufsichts-Behörde: einen agilen Finanzwächter mit kriminalistischem Gespür. Der Kampf gegen Finanzkriminalität und Geldwäsche muss ins Zentrum der Aufsicht rücken. Die Bafin braucht eigene Ermittlungsbefugnisse und Eingriffstruppen, ähnlich wie die US-Finanzaufsicht sie bereits hat. Damit verbunden sollte ein Kulturwandel einhergehen.

Hier muss die Frage gestattet sein, ob das mit den gleichen Personen an der Spitze glaubhaft möglich sein wird. Die Finanzaufsicht braucht ein neues Selbstverständnis und eine neue Aufsichtsstrategie. Das alte „kooperative Modell“ hat ausgedient.

Finanzminister Olaf Scholz wird sich persönlich daran messen lassen müssen, ob er verstanden hat, dass dieses Mal echte Reformen unumgänglich sind. Die Bundesregierung ist es insbesondere den vielen Kleinanlegern schuldig, die der Aufsicht vertraut haben und jetzt vor dem Totalausfall stehen.

Lisa Paus

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