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Politik: Wladimir Putin: Sturzhelm im Sturmgepäck - Russlands Präsident lässt nichts aus, wenn es seinem Image dient

"Das Problem hat eine wichtige Bedeutung, und die möchte ich unterstreichen." Derartigen Flachsinn verzeiht die Welt gewöhnlich nur Superstars oder Topmodels.

"Das Problem hat eine wichtige Bedeutung, und die möchte ich unterstreichen." Derartigen Flachsinn verzeiht die Welt gewöhnlich nur Superstars oder Topmodels. Der Autor des Statements ist nichts von beiden, sondern eher deren Karikatur: Onkel Wowa, wie russische Kids Wladimir Putin nennen dürfen, bringt es auf knapp 1,70 m lichte Höhe, seine Augen sind so farblos wie seine Krawatten, und sein Duktus verrät zuweilen, dass er ein großes Problem hat: sich selbst.

Der Dauerflirt mit Strahlemann Tony Blair und mit Gerd Schröder, der seine schwere Pranke auf Putins schmale Schulter zum demokratischen Ritterschlag niedersausen lässt, sagen mehr als Worte: Der Westen, der in dem Ex-KGB-Mann zunächst einen Pinochet-light-Verschnitt wähnte, möchte nach dessen triumphalem Medien-Durchmarsch alle früheren Bedenken vergessen.

Die Masse der Russen betet ihren neuen Zaren ohnehin an. Putin sei Dank, wir sind wieder wer. Angesichts der Tatsache, dass der späte Boris Jelzin Mütterchen Russland weniger repräsentierte, sondern eher diskreditierte, sind Putins Treibjagd auf unabhängige Medien und politisch engagierte Unternehmer, seine straff organisierte Militärdemokratie und sein wenig überzeugendes Wirtschaftsprogramm nur lässliche Sünden. Wenn Jelzin auf Reisen ging, flog eine Herz-Lungen-Maschine mit. Putin bietet Kontrastprogramm pur. Zu seinem Sturmgepäck dagegen gehören ein Sturzhelm und schnelle Bretter für den Abfahrtslauf. Ski heil, wann und wo auch immer. Im Kaukasus oder im Südural, wo eine ganze Stadt gerade ihre toten Tschetschenienkrieger beweinte. Man habe dem Chef den "Spaß" nicht versauen wollen, hieß es entschuldigend.

Jelzin hatte, wenn er nicht gerade an Operettenuniformen für sein Leibregiment bastelte oder verdienten Bürgern Orden an die Heldenbrust heftete, vom arbeiten meist schon gegen Mittag die Nase voll und ließ die "Protokollstrecke" zur Heimfahrt auf die Datsche beidseitig sperren. Putin mutet sich einen Arbeitstag zu, der selten weniger als 16 Stunden zählt, und er ist überall und nirgends. Bei Jelzin hätte er seine "Mühle" einfach laufen lassen und Bier trinken können, meint Starkameramann Lew Sergejew, der früher Spielfilme drehte. Bei Putin hingegen habe er ständig Angst, etwas zu verpassen. Brot und Spiele erleben in Moskau eine Renaissance, bei der Putin höchstselbst die Hauptrolle übernimmt.

Mit verkniffenem Gesicht mussten Putins Sicherheitsleute am Wochenende auf Okinawa mit ansehen, wie japanische Meister fernöstlicher Kampfsportarten ihren Herrn aufs Kreuz legten. Dass der sich umgehend mit einem Kunstgriff aus der Trickkiste der Akademie für Auslandsaufklärung revanchierte, konnte das allgemeine Entsetzen im Lager der Russen nur oberflächlich dämpfen. Putin solle den Unfug lassen, sorgte sich sogar KP-Chef Gennadij Sjuganow. Endlich habe Russland einen gesunden Staatschef - und der die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, keine unnützen Risiken einzugehen. Darin aber sieht Putin seinen Daseinszweck.

Radikalreformer Boris Nemzow erklärte 1997, als er Vizepremier wurde, Politik sei nun mal das Lieblingsspiel großer Jungen. Für Putin eher eine Pflicht, der er sich keineswegs entziehen will. Doch Schreibtischdiplomatie ist nun mal ein Quotenkiller, und daher liebt Putin Extremsportarten. Vor allem dann, wenn sie jede Menge kinetischer Energie freisetzen. Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.

In der heißen Phase des Wahlkampfs bestieg er einen Düsenjäger als Kopilot und jettete an die Front nach Tschetschenien, um seinen Soldaten die Entscheidung beim Kreuzlemachen in der Wahlkabine zu erleichtern. "Kruto" - geil war das - sagte er dem Staatsfernsehen. Ein paar Offiziere fanden das Spektakulum weniger geil. Für den Showdown mussten alle verfügbaren Bomber den Luftraum sichern, was einem russischen Militärkonvoi zum Verhängnis wurde, der durch einen tschetschenischen Angriff auf einen Schlag fast vierzig Mann verlor.

Kurz zuvor hatte Putin beim Gefechtsschießen der Pazifikflotte trotz rauer See schon Brechfestigkeit und andere maritime Tugenden medienwirksam unter Beweis gestellt. Gleich nach der Wahl nächtigte er sogar auf einem Atom-U-Boot der Nordmeerflotte in einer Tauchtiefe von 200 Metern. Zu Ehren der Tiefseetaufe nahm er sogar einen hochprozentigen Cocktail, wie er im Kreml seit dem Machtwechsel verpönt ist. Ausländische Gäste harrten derweil in Moskau vergeblich der fest zugesagten Audienz. Nicht so schlimm, meinten hiesige Journalisten, das seien weder Politiker noch bisnismeny (Geschäftsleute), sondern bloß diese Gutmenschen vom Europarat, die wieder mal wegen Tschetschenien auf der Matte stünden.

Nur Dreirad sei Putin noch nicht gefahren, bedauert Kameramann Sergejew. Ansonsten aber habe er mit Fortbewegungsmitteln derartig viel Erfahren gesammelt, dass er sicherlich einen guten Verkehrsminister abgeben würde, sollte er nicht wieder gewählt werden. Das ist momentan kaum zu befürchten. Putin tut stets, was die Masse von ihm erwartet und sagt jedem, was der hören will.

In der Teilrepublik Tatarstan tauchte er das Gesicht bis zum lichten Haaransatz in eine Schüssel mit Sauermilch, um mit den Lippen vom Grund einen Ring aufzufischen. Genau so stellt sich Klein-Iwan moderne Nationalitätenpolitik vor. Schon am Abend bescheinigten ihm denn auch Umfragen, sein wackelnder Vertrauensvorschuss, "wachse erneut wie ein Kürbis in der Sonne".

Den Moskau-Korrespondenten von Tokios Staatssender NHK ließ er wissen, für Russland seien Japans Erfolge beim Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft beispielhaft. Dabei hatte er den Chinesen gerade erklärt, Pekings dritter Weg - Marktwirtschaft und Polizeistaat - sei auch für Moskau der einzig gangbare. Von dem, meinen Pessimisten, habe sich Russland ja nie verabschiedet, und schlimmer könne es daher kaum kommen.

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