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Politik: Wohin die Reise geht

TOURISMUS IN DER KRISE

Von Flora Wisdorff

Sie ist Berlins GuteLaune-Messe schlechthin, neben der Grünen Woche. Urlaub macht Freude (wie gutes Essen), die Branche wuchs jahrelang zuverlässig, die Deutschen galten als Reiseweltmeister. Doch diesmal herrscht Katzenjammer bei der ITB. Die Tourismusbranche hat ein schlimmes Jahr hinter sich: zehn Prozent minus. Aus Furcht vor Krieg und Terrorismus?

Die trägt das ihre bei. Aber diese Angst war direkt nach dem 11. September am größten und hatte bereits das Ergebnis für 2001 gedrückt. Anfang 2002 hatte sie sich schon wieder ein bisschen gelegt. Die Menschen sehnten sich geradezu nach Normalität. Auch beim Urlaub. Doch dann explodierten Sprengsätze in einer Synagoge auf der tunesischen Halbinsel Djerba, in einer Diskothek auf Bali und in einem Hotel in Kenia. Und nun droht ein Krieg im Irak. Das macht die Menschen vorsichtig bei der Ferienplanung. Auch deshalb ist die Stimmung auf der ITB in diesem Jahr gedrückt.

Die Reisebranche erlebt den schwersten Einbruch seit langem. Erst 2002 hat die Krise so richtig durchgeschlagen. Thomas Cook, der zweitgrößte Reisekonzern in Europa, schreibt rote Zahlen und kündigt ein drastisches Sparprogramm an. Die Lufthansa legt weitere Flugzeuge still. Und wegen der sich hinziehenden Irakkrise traut sich kaum einer eine Prognose zu, wann Stimmung und Lage wieder besser werden.

Die Furcht der Urlauber, in einen der vielen Konflikte rund um die Erde hineingezogen zu werden und als Zielscheibe für den Hass auf den Westen zu dienen – auch wenn man sich respektvoll gegenüber der Kultur des Gastlandes verhält – , ist ein Grund für die tiefe Krise. Sie ist aber nicht deren Hauptursache. Exotische Länder mögen die Bilder vom Traumurlaub prägen, tatsächlich machen Fernreisen außerhalb Europas nur acht Prozent aller Reisen aus. Außerdem haben Touristen in Sachen Krieg und Terror ein Kurzzeitgedächtnis. Während des Golfkrieges 1991 wollte kaum einer Urlaub machen. Bis zum Jahresende schnellten die Umsätze der Veranstalter damals aber wieder um zehn Prozent in die Höhe. Auch heute wollen sich Umfragen zufolge 56 Prozent der Reisenden bei der Wahl ihres Zieles nicht vom Terror beeinflussen lassen.

Die neue Reiseunlust ist sehr spezifisch deutsch. Hierzulande verzeichnen die internationalen Konzerne die größten Buchungsrückgänge. Die Briten reisten 2002 genauso viel wie 2001, Franzosen, Belgier und Niederländer sogar mehr. Was der Tourismuswirtschaft in Deutschland zu schaffen macht, ist die Konsumzurückhaltung der Bürger, über die fast alle Branchen klagen. Viele Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz und sparen auch am Reisen.

Die Wirtschafts- und die Konsumkrise verändern das Verhalten der Kunden. Viele buchen später. Wichtig geworden ist vor allem eines: billig reisen. Wochenendausflüge mit dem Jet nach Venedig sind für Menschen erschwinglich geworden, die zuvor noch nie im Flugzeug gesessen hatten. Vor allem Reiseziele, die preiswert sind, hatten 2002 Erfolg: Die Türkei und Ägypten verzeichneten deswegen die größten Zuwächse. Dass beides islamische Länder sind, fällt dagegen nicht ins Gewicht. Die „Aldisierung des Reisemarktes" sei nicht aufzuhalten, sagt der Chef des weltweit größten Touristikkonzerns Tui, Michael Frenzel.

Die doppelte Angst der Deutschen – die vor der Wirtschaftsflaute und die vor Terror – wird die Reisebranche in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Bleiben werden, neben der billigen, noch die Luxusreise und die individuelle Reise. Der Urlaub dagegen, mit dem die Deutschen Reiseweltmeister geworden sind, verliert an Bedeutung: die Pauschalferien der Mittelklasse an der Sonne.

Was nicht heißt, dass sich mit dem Tourismus kein Geld mehr verdienen ließe. Das zeigt schon das Interesse der Veranstalter an dieser ITB. Ihre Zahl geht in der Krise nicht zurück, sie steigt sogar. Auch die Großen der Branche, die 2002 kurzfristig abgesagt hatten, wie Lufthansa und Thomas Cook, sind wieder dabei. Die Konzerne vertrauen darauf, dass die Reiselust nicht nachlässt, sie müssen nur ihre Angebote und Kapazitäten auf die neuen Wünsche ausrichten. Und so ist die Tourismusbörse trotz Krisenstimmung doch auch eine ITB der Hoffnung.

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