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Pizza Party! Boris Blank zeigt in den USA Muskeln, es ist Anfang der 80er Jahre - und für Yello es geht ab...

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Yello: Solo für Boris Blank: Über Leben im Krach

Der Sounderfinder Boris Blank, 62, ist beim Schweizer Elektro-Duo „Yello“ bisher der Mann im Hintergrund. 2014 gab es erst den Lebenswerk-Echo – nun folgt die erste eigene CD.

Früher hat Boris Blank Geräusche aus der Küche seiner Mutter aufgenommen. Das Zischen in ihren Kesseln, das Klappern von Tellern. Summ, summ, summ, macht die Mutter am Herd, wenn sie Kräuter aufkochte.

Früher, da wollte Boris Blank noch Bauzeichner werden und die Silhouette der Stadt verändern. Doch es kam anders. Statt der Skyline veränderte, eher: revolutionierte er die Kultur der elektronischen Musik. Weil er nämlich bei den Geräuschen blieb und deren Herstellung perfektionierte.

Lokomotiven stürzen - WUUUSCH! - aus Soundblasen

An einem Herbsttag 2014 sitzt Boris Blank an einem Mischpult und schiebt Regler hoch und runter. Klänge purzeln durch das Züricher Kellerstudio. Bässe wummern durch Lautsprecherreihen. Elektronische Knarzsounds füllen den Raum. Ein Techno-Zug, wuuusch!, saust einmal hindurch. Die Laute schwellen an wie Blasen, ehe sie platzen und Helikopter herausstürzen und Lokomotiven und Formel-1-Wagen. Bang! Bang! Bang!

Ihr Schöpfer sitzt vor dem Computer, lacht, seine Arme boxen nach vorn, schön im rechten Winkel, ein, zwei Mal. Als das Stück Akrobat-Techno zu Ende geht, grinst Boris Blank vergnügt, als könne er gar nicht fassen, was er nun sagen muss. Er sagt: „Das war dem Dieter zu hart.“

Der Dieter, das ist Dieter Meier. Der Hochgeschwindigkeitsnuschler der wahrscheinlich bekanntesten Schweizer Pop-Band: von Yello. Yello machten die Songs „Oh Yeah!“, „Viscious Games“ und „The Race“, die Titelmelodie zur ARD-Hitparadensendung „Formel Eins“. Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte die Band Hits am Fließband, in Deutschland, Großbritannien und den USA standen sie hoch in den Charts, ihre Remixe liefen in angesagten New Yorker Clubs. Blank ist Teil zwei des Yello-Duos, er ist seit der Bandgründung 1979 der Mann an der Maschine, der die Sounds erdenkt, die Geräusche zu Stücken formt.

Die Echo-Jury lobt die "Experimentierfreude" der Schweizer

In diesem Jahr haben die beiden Schweizer den deutschen Musikpreis Echo für ihr Lebenswerk erhalten, und bei der Verleihung in Berlin begründete Dieter Gorny, der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Musikindustrie, das mit ihrer „Experimentierfreunde“, ihrer „Avantgarde“, ihrem „dionysischen Drive“, was alles bis heute nachwirke.  „Als kühne Wegbereiter multimedialer Konzepte haben Dieter Meier und Boris Blank elektronische Musik und dadaistisch geprägte Videokunst geradezu kaleidoskopartig zusammengeführt und dabei nicht zuletzt sich selbst zu geheimnisvollen Kunstfiguren stilisiert“, sagte Gorny. Letzteres gilt vor allem für Blank.

Plötzlich stand da ein Verrückter in seiner Küche - und los geht es

Zwei Männer, ein "yelled Hello": Blank und Dieter Meier (re.)
Zwei Männer, ein "yelled Hello": Blank und Dieter Meier (re.)

© Picture-Alliance/KEYSTONE

Viel mehr als Dieter Meier, dem exaltierten, reich geborenen Bankierssohn, Gastronom und Künstler, missfiel dem Arbeiterkind aus Zürich-Wipkingen alles Popstarhafte, das Scheinwerferlicht, das Bekanntsein, Befragtwerden, Herumreisensollen. Es war eher so, dass der Zeitgeist ihn fand, als dass er sich umgekehrt irgendeiner Mode aufgedrängt hätte. Er war – soll man sagen: nur? – der richtige Mann mit den richtigen Tönen zur richtigen Zeit. So wirkte er bis heute fast belustigt darüber, wie alles gekommen ist. Dass er die vielen Jahre lang der stumme Mann im Hintergrund war, störte seinen Frontmann Meier nicht. Der war zwar auch, als der Ruhm kam, zu alt für naive Freude – aber nicht zu erdverbunden zum Jetsetten.

Erst in diesem Jahr, 2014, dem Lebenswerk-Echo-Jahr, änderte Blank, inzwischen immerhin 62 Jahre, seine Haltung. Er hat die unveröffentlichten Tracks aus den vergangenen Jahrzehnten aufgearbeitet. Die „Zäh-Däh“, wie er sagt, also die CD namens „Electrified“, die dabei entstand und am Freitag in den Handel kommt, ist eine Werkschau, zusammengestellt aus jenen Titeln, die „dem Dieter“ zu hart oder zu soft waren.

Blank und Meier - unterschiedlicher geht kaum

So gehört Blank nun erstmals die Bühne ganz allein. Und er lässt freundlich Öffentlichkeit in das Studio, in dem sich die Erfahrung eines lauten Lebens bündelt, oder zum Gespräch. Wobei Studio und Sesselgruppe beide zu Meiers Haus gehören, einer herrschaftlichen Villa am Zürichberg. Weiter oben an der Kreuzung thront das feine Grand Hotel Dolder, unten vor dem Haus schwappt träge Wasser im Swimmingpool, in der Ferne zeigen sich der See und die Stadt im Tal.

Bis heute trägt Boris Blank Schnauzbart, gescheitelte Haare, darin etwas Gel. Das ist sein Look seit beinahe 35 Jahren. So sitzt, nein, ruht er in einem Sessel. Meier ist nicht zu Hause, vielleicht nicht mal im Land. Als dessen Frau und der 18-jährige Sohn vorbeischauen und Blank begrüßen, fragt er: „Der Dieter?“ „Kalkutta?“, fragt die Frau zurück. Blank nickt, ach so, ja.

Die beiden Männer, die unterschiedlicher kaum sein könnten, trafen sich Ende der 1970er Jahre. Da sind Blanks Haare schon lang gewesen und waren wieder kurz, und er hatte seine Lehre als Bauzeichner abgebrochen. Ein Haus, das heute noch steht, Freie Straße 211, hat er mitentworfen, danach schlug er sich als Grafiker, Fernsehmechaniker, LKW-Fahrer durch und traf sich abends mit Freunden in Kellern zum Musikmachen. Aber: „Da kam nie etwas zustande“, sagt er.

Herbie Hancock und sein Synthezier waren das Vorbild

Dabei wusste er genau, was er wollte, seit er 1973 die Platte „Sextant“ von Herbie Hancock gehört hatte. Das ist es!, hat Blank da gedacht. Der Sound aus der Zukunft! So etwas wollte er auch machen! Aber seine Musikerfreunde dröhnten sich lieber zu, trafen ihre Freundinnen, einer landete sogar mal im Knast. So ließ sich keine Karriere aufbauen.

Frustriert zog Blank sich von ihnen zurück. Er ging zur Bank, einen Kredit aufnehmen, um sich einen Synthesizer zu kaufen. 5000 Franken, die Bank fragte nicht, wofür, Hauptsache, Herr Blank konnte die Zinsen zahlen. Zuerst experimentierte er mit seinem Mitbewohner Carlos Perón, der nur leider nie den Takt richtig traf, „eins, zwei, drei, und schon war er ein bisschen daneben“, sagt Blank – und dann stand eines Nachts 1978 dieser Verrückte in ihrer Küche.

Dieter Meier, Freund von Freunden, ein sieben Jahre älterer Hans-Dampf-in- allen-Gassen. Er schrie zu den Klängen von Boris Blank, volle Stimme, schnarrendes Schweizerdeutsch, es hallte super – so super, dass kurz darauf eine Kündigung wegen Ruhestörung eintraf.

Meier hatte ein Atelier in der Roten Fabrik, einer alternativen Züricher Kultureinrichtung, dort zog Boris Blank nun ein. Tagsüber reparierte er Fernseher, abends bastelte er mit Synthesizern an Sounds herum, bis ihm um drei Uhr nachts die Augen zufielen. Er gab die Struktur vor, und erst wenn Boris Blank mit seinen Klangvisionen fertig war, dachte sich Dieter Meier dazu Texte aus und gellte sie obendrauf. Yello war geboren – der Bandname ist ein gerafftes „a yelled Hello“, „ein gebrülltes Hallo“.

Ab 1980 veröffentlichten sie noch als Trio mit Perón ihre Platten. Weil Dieter Meier manchmal seine Texte wie unter Strom aufsagte, verstanden nicht alle, was er da so genau von sich gab. Boris Blank erinnert sich: „ Bei ‚Bostich’, unserem ersten Hit, schrie Dieter: Everybody needs somebody! In Amerika verstanden sie: Everybody, pizza party!“ In den Videos, die sie dazu drehten, inszenierten sie sich als irre Gestalten: Männer, die ständig herumliefen und zwischen hektischen Schnitten kaum zu erkennen waren. Perón stieg 1983 aus, er fand die Musik zu poppig.

Hallo Echo! Hallo Erfolg!

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Auf frühen Bandfotos sieht man Boris Blank mit Sonnenbrille oder verschattetem Gesicht. Er vertuscht so sein linkes Auge. Das war von Geburt an geschädigt, und dann hat Boris Blank ihm als Jugendlicher durch ein Experiment, bei dem eine Gewehrpatrone explodierte, den Rest gegeben. Ein Schaden, den er kompensieren konnte: Blank hört wie ein Uhu. Obwohl er nie Noten gelernt hat, spielte er im Flötenunterricht „Oh du Fröhliche“ sofort fehlerfrei.

Das Vertrauen ins Gehörte hat er sich schon früh beim Vater abgeschaut. Der spielte die Handorgel einfach so und fand, man müsse ein Instrument keineswegs beherrschen, um es gut zu spielen. Auf Wanderungen in der Zentralschweiz rief der Sohn dann mit Begeisterung in die Felswände hinein und war fasziniert, wenn das Echo zurückkam. Mit 15 kaufte er ein Revox-Tonbandgerät und nahm erstmals eigene Stücke auf. Die eigene Stimme, ah-ah-ah-ah, mal schneller, mal langsam gespult. Dann die Pfannen, Kessel und Küchengegenstände. Eine Zeitung, zusammengerollt und auf den Tisch gehauen, war die Drum. „Ich habe die Bänder zerschnitten, in jeweils gleich große Teile und dann willkürlich mit Klebeband zusammengesetzt.“ Heraus kamen seltsame Klangkollagen, von denen Blank sich auch selber überraschen lassen musste. Er wusste ja vorher nicht wirklich, was herauskommen würde. Darüber trommelte er dann mit Bongos, später spielte er Gitarre dazu.

Africa Bambaata erklärte "Bostich" zu seinem Lieblingshit

So wie die zusammengeschnippelten Sounds überraschende Zufälle waren, so überraschend und zufällig erreichten die Yello-Songs auch Amerika. Aber als sie dort angekommen waren, waren sie sofort Hits. Der New Yorker Hip-Hop- und Elektro-Pionier Afrika Bambaata erklärte 1980 „Bostich“ zu seinem Lieblingssong, und auch Hollywood liebte den Sound der Schweizer. In dem Blockbuster „Ferris macht blau“ (1986) setzt sich der Titelheld in einen Ferrari, während das Lied „Oh Yeah“ läuft. Ein Jahr darauf erklang das Lied noch einmal in einer Schlüsselszene der Komödie „Das Geheimnis meines Erfolges“ mit Michael J. Fox. Seitdem ist der Hit in Dutzenden von Serien und Filmen verwendet worden.

Irgendwann dachten ein paar Hollywood-Produzenten: Der Blank muss mal Soundtracks machen. Sie luden ihn Ende der 80er Jahre nach Los Angeles ein. Aber Blank wollte nicht reisen. „Nein, nein, ich bin ein sesshafter Mensch“, habe er sich damals gewehrt, „die sollen herkommen, wenn sie etwas wollen.“

Das findet Blank im Nachhinein irgendwie idiotisch, aber damals traf er damit den richtigen Ton. Hollywood kam tatsächlich nach Zürich und baute in das Studio – inzwischen nicht mehr in der Roten Fabrik, sondern unter Meiers Wohnzimmer in der Villa – spezielles Equipment ein, um den typischen Dolby-Kinosound aufnehmen zu können. Dort komponierte Boris Blank fortan, spielte ein, schnitt zusammen und merkte dabei, wie sehr ihm die Arbeit missfiel. Einen Film in seinem Kopf zu entwerfen, das war in Ordnung. Einen fertigen Film zu untermalen, das ging nicht. „Das war ein anderer Job: der eines Dienstleisters.“

Ein Film, den er trotz dieses grundsätzlichen Unbehagens vertonte, war 1990 eine Komödie mit Priscilla Presley namens „Ford Fairlane – Rock’n’Roll Detective“. Die war so schlecht, dass sie den Antipreis „Goldene Himbeere“ als schlechtester Film des Jahres erhielt. Dessen ungeachtet sind Blanks Sounds in rund 30 internationalen Produktionen zu hören, darunter in der Serie „Die Simpsons“.

Dann kam Techno...

In den 1990er Jahren stieg Techno zum Massenphänomen auf, namenlose Produzenten veröffentlichten Dutzendware mit 120 Beats pro Minute und mehr. Eine Entwicklung, die die beiden Schweizer Sound-Oldies in den Status „Legende“ versetzte. Blank sieht das mit einer angemessenen Portion Zurückgelehntheit. „Wir hatten Glück, schon davor unsere Musik gemacht zu haben“, sagt er. „Danach hätten wir keine Chance mehr gehabt.“ Die eigene Buchhaltung gibt ihm recht. Yello veröffentlichten zwar in den Folgejahren weiter Alben, knüpften jedoch nie an die goldene Zeit der 1980er Jahre an.

Dieter Meier zog in der Folge hinaus in die Welt und gründete in Argentinien eine Öko-Farm, auf der er Kühe züchtete und Wein anbaute. Blank blieb natürlich in Zürich. Er wohnte nun in einer großen Wohnung auf der anderen Seite des Zürichbergs, mit Frau und Tochter. Nach wie vor ging er in das gemeinsame Yello-Studio und schuf künstliche Klangwelten. Wenn er die Welt brauchte, holte er sie zu sich. Mit dem Internet ging das im neuen Jahrtausend noch einfacher. Wenn er Sänger um kleine Songs bat, konnten die das in Studios in Amsterdam und London aufnehmen und dann per Datentransfer zu ihm schicken. Einige dieser Aufnahmen werden auf dem neuen Album „Electrified“ zu hören sein.

Wenn Blank doch mal verreist, hat er sein Smartphone griffbereit, um neue Klänge aufzunehmen. Da ist er wieder der Junge aus den 60er Jahren. Wie kürzlich in Lissabon, als er das Schifffahrtsmuseum besuchte. Die Kanone von Vasco da Gama, dem großen Seefahrer, hatte es ihm angetan. Er schaute nach links, nach rechts, keiner da, zog den Zapfen vom Lauf, hielt sein Smartphone in die Mündung und quatschte in das Rohr hinein: „Tuck-tick-tock.“ Toll, findet er.

Seine Musik-App wird in den USA und Kirgisien gut verkauft

Solche Aufnahmen verwendet er auch für eine App, die er entworfen hat. „Yellofier“ ist ein kleines Musikprogramm zum Selberbasteln. Der Benutzer nimmt Sounds per Applikation auf und schneidet sie mit einem Zufallsgenerator zusammen oder mixt sie mit Blanks hochgeladenen Klängen. In Los Angeles benutzen zwei Kindergärten die App in der ersten Musikstunde. Und auch in Kirgisien, kann Blank berichten, kaufen die Leute das Programm wie verrückt.

Sein Ziel, „Musik mit Geräuschen machen“, hat er also erreicht. Und dabei wie nebenbei Maßstäbe gesetzt. Was hatte Dieter Gorny in Berlin noch über den Yello-Sound gesagt? „Jede Menge Humor, eine beeindruckende Portion Selbstironie und die in jedem Track souverän zum Ausdruck gebrachte Leichtigkeit des Pop.“ Dasselbe in Blanks Worten: „Da macht’s dir wirklich die Hose kürzer.“

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