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Politik: Zauberberg mit Störern - In Davos versucht die Weltwirtschaft sich selbst zu verstehen (Kommentar)

Seattle hat Davos eingeholt. Natürlich nicht in Zahl und Ausmaß.

Seattle hat Davos eingeholt. Natürlich nicht in Zahl und Ausmaß. Aber das Szenario des Januar-Zauberbergs in der Schweiz erinnert präzise an das Spektakel an der Pazifik-Küste vor knapp zwei Monaten anlässlich der Millenniums-Tagung der Welthandelsorganisation (WTO). Unternehmer und Politiker preisen den Freihandel. Liberalisierungsgegner der unterschiedlichsten Gruppierungen protestieren mehr oder weniger gewaltsam: Sie fordern den Schutz der Menschen vor einer ungebremsten Öffnung der globalen Märkte. Müssen wir uns an solche Szenarien gewöhnen? Es sieht so aus. 1000 Globalisierungsgegner zogen am Wochenende, verkleidet als Skifahrer, durch den Schweizer Wintersportort. Sie durchbrachen Polizeiketten und warfen Fensterscheiben ein. Der Protest ist gewaltsam und mutet zugleich hilflos an.

Globalisierung bleibt für die meisten Menschen abstrakt, abbildbar allenfalls im Anteil der Exporte am nationalen Bruttoinlandsprodukt. Das ist eine Kurve. Aber was ist mit den Ängsten der Menschen, die wähnen, ihren Job zu verlieren, weil die Länder Asiens aufholen? Diffuser Humanismus, der Menschen vor Ausbeutung schützen will, mischt sich mit eigensinnigem Protektionismus der reichen Länder. Manchmal ist es schon allein das Tempo der Veränderung, das zu schaffen macht.

Die Globalisierung bietet sich als Chiffre des Angriffs an. Und Davos ist sein Diskurs-Ort. Tatsächlich haben Staaten und Nationen ihre Parketts, auf denen die Bürger sich darüber verständigen, was alle angeht. Es sind die Bundesparlamente und Stadträte, die Kirchengemeinden und Nachbarschaftsgruppen. Hier entsteht sozialer Zusammenhalt, der den Wettbewerb davor bewahrt, aus dem Ruder der Regeln zu laufen. Aber wo verständigt sich die Weltgemeinschaft? Eine Weltregierung gibt es nicht. Sie wäre auch nicht wünschenswert. Denn wohin sollte man gehen, wenn man dann emigrieren wollte? Und die internationalen Organisationen - von der WTO über die Washingtoner Institutionen Weltbank oder Währungsfonds - haben alle nur einen partikularen Auftrag.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist der Versuch einer Weltverständigungsgemeinschaft. Das ist bemerkenswert, weil die Entstehung sich dem Zufall einer Privatinitiative verdankt. Es begann vor Jahren mit dem Spleen eines ambitionierten Schwaben, Klaus Schwab. Zunächst war es nur ein Treffen von Unternehmern und Spitzenmanagern, die Schwab zusammen brachte. Sie sollten angenehmes Skifahren mit nützlichen Gesprächen im Vorfeld ernster Geschäfte verbinden. Das interessierte bald auch die Politiker, die ihre eigenen Geschäfte in Davos vorbereiteten, was immerhin den Friedensprozess im Nahen Osten nicht unwesentlich beförderte. Zugleich hat die Politik erkannt, dass sie die Akteure der Märkte nicht unter sich lassen kann, wenn diese - wie etwa im vergangenen Jahr - über die Lehren aus Finanzkrise in Asien debattieren. Niemand ist in Davos unwillkommen, vorausgesetzt, er kann die hohen Eintrittspreise bezahlen. Kapitalisten und Antikapitalisten, Liberale und Globalisierungsgegner. Der Spekulant George Soros, Stammgast in Davos, bringt es gar fertig, beide Rollen in einer Person zu vereinen.

Nimmt es Wunder, dass die sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) jetzt ebenfalls Davos für sich entdeckt haben? Man hätte es fast vorhersagen können. 150 verschiedene NGOs sind dieses Mal vertreten. "Das öffentliche Auge", so ihr Motto, wollen sie auf den Gipfel richten. Das ist in Ordnung, so lange man nicht vergisst, dass den NGOs die demokratische Legitimation genauso fehlt wie den Vertretern des Kapitals. Die Öffentlichkeit hat viele Augen, nicht nur jene der NGOs, die gerne einen Allgemeinwohlvertretungsanspruch für sich behaupten. Ohnehin ist es ein wenig pikant zu sehen, dass das Wachstum der NGOs in den vergangenen Jahren auch der Privatisierung der öffentlichen Aufgaben in vielen Ländern geschuldet ist. Die Politik hat teilweise ihren Widerpart selbst geschaffen. Deshalb sind die NGOs häufig - trotz ihres Namens - von den nationalen Regierungen finanziert und in der Organisationsstruktur manchmal nicht minder bürokratisch als die Staatsadministration.

Wer das alles im Auge behält, kann die Strategie der Veranstalter des Weltwirtschaftsforums nur geschickt finden: die NGOs einzubinden, anstatt sie - wie in Seattle - auszugrenzen. Dadurch lässt sich - wie zu sehen - das Spektakel gleichwohl nicht gänzlich unterbinden. Aber die Inhalte gehören in die Säle: Muss auf ewig ein Widerspruch sein zwischen der Gewissheit, dass Freihandel und Marktöffnung langfristig allen nützt, aber kurzfristig einigen schadet? Soll man die Verlierer entschädigen? Es gibt immerhin ernst zu nehmende ökonomische Prognostiker, die den Nachweis führen, dass die Kluft zwischen guten Lang- und schlechten Kurzfristwirkungen eines Tages verschwinden könnte. Dafür ist die neue Internetwelt im Verbund mit einer erfahrenen Geld- und Fiskalpolitik verantwortlich. Das wird die Globalisierungsgegner nicht rasch zufrieden stellen. Gerade deshalb ist es gut, dass es den Zauberberg gibt - solange man wie Naphta und Setembrini miteinander diskutiert und nicht randaliert.

Rainer Hank

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