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Politik: Zögernder Abschied von der Macht

Chinas Kommunisten planen einen Generationswechsel in der Staatsführung – doch es ist fraglich, ob Präsident Jiang wirklich mitzieht

Von Harald Maass, Peking

Chinas Kommunisten wollen auf ihrem Parteitag im Herbst wichtige Ämter neu verteilen, doch schon jetzt hat das Gerangel um die Macht begonnen. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht Staats- und Parteichef Jiang Zemin, seit 13 Jahren der starke Mann Chinas. Zusammen mit praktisch der gesamten alten KP-Führung soll der 76-Jährige im Herbst eigentlich seine Macht und Ämter aufgeben. Jiangs Rückzug soll den dringend notwendigen Generationswechsel an der Spitze Chinas einleiten. Premier Zhu Rongji, Parlamentschef Li Peng und eine Reihe weiterer Politbüromitglieder müssten ebenfalls ihre Plätze räumen, um Platz für die junge Generation zu schaffen. Der neue starke Mann steht schon fest: Vizepräsident Hu Jintao, ein 59 Jahre alter, farbloser Partei-Bürokrat, soll als Präsident und Parteichef das Land führen.

Der Machtwechsel, der noch von dem 1997 verstorbenen Altpolitiker Deng Xiaoping beschlossen wurde, scheint nun jedoch in Frage gestellt zu sein. Nachdem Chinas Staatsmedien in den vergangenen Wochen eine Personenkult-Kampagne um Jiang Zemin entfacht haben, glauben Diplomaten und Beobachter, dass der passionierte Karaoke-Sänger und Goethe-Fan möglicherweise an seinen Ämtern festhalten könnte.

Hinter den Kulissen machen Anhänger der Jiang-Fraktion offenbar Druck, dass ihr Chef zumindest eines der beiden Spitzenämter behalten soll. Laut Berichten von Hongkonger Zeitungen soll der eigentlich für September geplante Parteitag auf den Spätherbst verschoben werden. Ein Grund dafür ist der für Oktober geplante USA-Besuch von Jiang Zemin, bei dem der Noch-Präsident mit allen Ehren und diplomatischen Formalitäten empfangen werden möchte. Auf Pekings Drängen hin willigte Washington bereits ein, dass Jiang Zemin auch die Texas-Ranch von US-Präsident George W. Bush besuchen darf.

Sollte Jiang seine Ämter behalten, wäre der gesamte Generationswechsel in Frage gestellt. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass Jiang Zemin formal zwar zurücktritt, jedoch als starker Mann weiter im Hintergrund die Fäden zieht. Beobachter gehen davon aus, dass Jiang in jedem Fall das Amt des Vorsitzenden der Militärkommission behält und somit weiter Einfluss auf die Armee ausübt.

Ein Schwerpunkt von Jiangs Strategie ist die für den Parteitag geplante Verfassungsänderung. Wie Mao und Deng soll auch Jiang in der Verfassung verewigt werden. In einer ideologischen Kehrtwende erlaubte er im vergangenen Jahr Privatunternehmern, Mitglied der KP zu werden. Parteistrategen arbeiten daran, Jiangs Theorie der „Drei Vertretungen“, ein schwammiger Aufruf zur Modernisierung der KP zu einer Art alleinherrschenden Volkspartei, zur Staatsdoktrin zu formulieren. Die Aufnahme in die Verfassung könnte Jiang die Autorität geben, auch ohne Spitzenamt das Land weiter zu führen.

Vieles ist bislang jedoch Spekulation. Zwei Jahrzehnte nach der wirtschaftlichen Öffnungen ist Chinas politisches System eine „black box“, in die Außenstehende keinen Einblick haben. Die Entscheidungen über Ämter werden im kleinen Zirkel mächtiger KP-Familien verhandelt. Dabei geht es auch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Familienmitglieder von KP-Führern kontrollieren ganze Wirtschaftszweige und verdienen an der Korruption mit. Egal, wer China in Zukunft führen wird: Er muss vorsichtig agieren, um die verschiedenen Machtinteressen auszugleichen. Die Erfahrungen der Vergangenheit deuten auf eine unruhige Zeit hin. Seit Gründung der Volksrepublik 1949 gab es in China keinen Machtwechsel ohne Intrigen und Kämpfe.

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