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Politik: Zu Gast, zu Hause

Von Robert Ide

Mitten in der Nacht auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof: Eine Blaskapelle alter Herren in Deutschland-Trikots spielt auf. Kroatische und australische Fans, die aus dem Stadion kommen, klatschen mit. Bald ziehen Hunderte tanzend über die Bahnsteige, sogar die Bahnmitarbeiter. Ein Mann wischt sich Tränen aus den Augen: „So habe ich mein Land noch nie gesehen.“

Jeder hat solche Szenen erlebt bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Leichtigkeit. Sie haben glücklich gemacht und stolz, dass Deutschland so ein guter Gastgeber sein kann. Die Nationalmannschaft steht heute nicht im WM-Finale in Berlin, trotzdem hat das Land schon vor dem letzten Anpfiff im Olympiastadion gewonnen. An Souveränität und Selbstverständlichkeit. An der Erkenntnis, dass nicht jedes Projekt im Maut-Chaos enden muss. An einigen Englischvokabeln – Have a nice day!

Es wird ein Herbst kommen, in dem sich viele zurücksehnen nach den bunten Fußballtagen. Wo ist die Euphorie geblieben, wird man fragen. Die Frage ist falsch. Denn die WM ist, sie war eine Ausnahmesituation. Selten wurde so viel Geld bewegt, wurden so viele Vorschriften freundlich ausgelegt. 15 000 Freiwillige halfen mit, kostenlos. Sogar der Streit zwischen Bund und Ländern wurde ausgesetzt: In Berlin arbeitete ein Sicherheitszentrum aller Behörden. Hooliganangst und Terrorgefahr blieben theoretisch. Vielleicht war Glück dabei. Das Glück der Tüchtigen.

Die Leichtigkeit ist teuer bezahlt. Der Fifa wurden millionenschwere Steuererleichterungen gewährt, Fifa-Präsident Joseph Blatter erhielt das Bundesverdienstkreuz. Die Stadien in Berlin und Leipzig wurden mit öffentlichem Geld gebaut, Transportwege aufwändig saniert, Berlins Hauptbahnhof errichtet. Politik, Wirtschaft und Sport hatten ein Ziel: vom Fußball zu profitieren. Auch wenn Angela Merkel anders jubelte als Gerhard Schröder – die Hoffnung, den Fans zu gefallen, war wohl die gleiche.

Die Stadien unsicher, der Ticketverkauf undurchschaubar, das von der Fifa lizenzierte Bier ungenießbar. Waren die zermürbenden Debatten vor der WM unangemessen? Nein. Auch schöne Ereignisse müssen kontrolliert werden. Nun erwächst gute Laune daraus, dass etwas reibungslos funktioniert.

Die WM war sicher, jedes Stadion voll, die Mannschaft toll. Franz Beckenbauer und Jürgen Klinsmann haben sich perfekt vorbereitet. Beckenbauer, der das Turnier neun Jahre geplant hatte, besaß die Traute, sich mit der Fifa anzulegen – für moderate Eintrittspreise, kostenlose Fanfeste und ein Kulturprogramm, das mit 2,5 Millionen Besuchern fast so viele Fans anlockte wie die Fußballer in den Stadien. Schade nur, dass sich das Spektakel vor allem auf Westdeutschland beschränkte.

Sympathie lässt sich aus eigener Kraft gewinnen. Beckenbauers Organisationskomitee verzichtete zugunsten der Fans auf strenge Kontrollen der personengebundenen Tickets, Klinsmann ließ seine Ersatzmänner beim Spiel um Platz drei zum Zuge kommen. Fifa-Chef Blatter blieb nichts übrig, als die „beste WM aller Zeiten“ auszurufen. Sein Verband verdient mit ihr 1,6 Milliarden Euro. Bei der Sympathie machte die Fifa Verluste.

Eine Fußball-WM ist von begrenzter Dauer und beschränkter Wirkung. Gewerkschaften wollen die verlängerten Öffnungszeiten schleifen, Taxifahrer könnten „Have a nice day!“ vergessen. Dabei haben die Deutschen sich gern daran gewöhnt. Sie feierten gemeinsam auf den Straßen. Die Fahne ein Schmuck, die Hymne ein Fanlied – Patriotismus weltgewandt. Es war das Fest einer Freizeitkultur, die längst so global ist wie der Fußball. 2010 gastiert sie in Südafrika. Deutschland bleiben Erinnerungen. Und die Erkenntnis, dass schlechte Stimmung besiegt werden kann. Mit harter Arbeit und guter Laune.

Die Welt war zu Gast bei Freunden. Und Deutschland war endlich bei sich – zu Hause.

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