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Bislang bilden sich vor allem Höherqualifizierte fort. Das soll sich ändern, meinen Ralf Fücks und Rainald Menthe.

© picture alliance/dpa

Zukunft der Demokratie: 1200 Euro für jeden!

Warum wir ein Bildungsgrundeinkommen brauchen und wie es aussehen könnte. Ein Gastbeitrag.

Ralf Fücks ist geschäftsführender Gesellschafter, Rainald Manthe wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Liberale Moderne. LibMod ist ein überparteilicher Think Tank, der sich für die Verteidigung und Erneuerung der liberalen Demokratie einsetzt. Die Studie zum Bildungsgrundeinkommen erscheint am 27. Januar. Sie wurde vom Zentrum Liberale Moderne in Zusammenarbeit mit der Prognos AG erstellt.

Unsere Welt verändert sich in rasantem Tempo. Was gestern noch sicher schien, kann sich morgen schon ändern. Der Strukturwandel wird sich in den nächsten Jahren noch beschleunigen. Die Digitalisierung führt zu massiven Umbrüchen am Arbeitsmarkt. Die Spanne, die verschiedene Studien aufmachen, liegt zwischen der Gefährdung von 43 Prozent der heutigen Tätigkeiten und der Entstehung 18 Millionen neuer Arbeitsplätze in Deutschland. Ein zweiter Megatrend kommt hinzu: Der Klimawandel erzwingt die ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Der Energiesektor verändert sich von Grund auf, die Automobilbranche ist im Umbruch, neue Berufsbilder entstehen. Unerwartete Einschläge wie die Corona-Pandemie verstärken das Grundgefühl einer unsicheren Zukunft.

Die Coronapandemie verstärkt den Strukturwandel und den Wunsch nach Sicherheit

Vor diesem Hintergrund wird Sicherheit im Wandel ein zentrales Bedürfnis moderner Gesellschaften. Dazu tragen Bildung und Weiterbildung entscheidend bei: Sie befähigen die Einzelnen, mit rapiden Veränderungen Schritt zu halten und ihr Leben in die Hand zu nehmen. Bildung muss auf einen souveränen Umgang mit Veränderungen vorbereiten; Weiterbildung kann Brüche in der Berufsbiographie abfangen und neue Perspektiven eröffnen.

Der Weiterbildungssektor ist zu unübersichtlich

Um den auf uns zurollenden Strukturwandel zu bewältigen und einer möglichst großen Zahl von Menschen die Chance auf berufliche Weiterentwicklung zu geben, braucht es also Weiterbildung in großem Stil. Allein: Der Sektor ist unübersichtlich, die Finanzierungsinstrumente so aufgesplittert wie bürokratisch.

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Vom Bildungsurlaub über „Arbeitslosengeld Q“, von berufsspezifischen oder betrieblichen Programmen bis zum Erwachsenen-BaföG gibt es viele spezielle Regelungen und noch mehr Ideen, Weiterbildung zu finanzieren – und doch keine, die auf den gesellschaftlichen Strukturwandel ausreichend reagiert. Die Zergliederung der Zugangsregeln führt auch dazu, dass Weiterbildung nicht als zielgerichtetes Instrument zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben eingesetzt werden kann. Man würde gern, aber es fehlen schlicht die Instrumente.

Vor allem Höherqualifizierte bilden sich heute weiter - das reicht nicht

Weiterbildung ist für viele Menschen bereits gelebte Praxis. Das Jahr über nimmt rund die Hälfte der Erwerbsbevölkerung an Lehrgängen, Schulungen und Kursen teil. Ein großer Teil entfällt dabei auf betriebliche Weiterbildung, nur ein kleiner Teil auf Bildungsmaßnahmen, die primär den persönlichen Neigungen und Interessen folgen. Gerade dieser Teil wird im Strukturwandel jedoch immer wichtiger. Ein weiterer wichtiger Befund lautet: Weiterbildung ist ungleich verteilt. Sie ist vor allem eine Domäne höher qualifizierter Arbeitnehmer in besser abgesicherten Berufen. Auch regional bestehen große Unterschiede, wie die Bertelsmann-Stiftung in ihrem „Weiterbildungsatlas“ zeigt. Finanziert wird Weiterbildung bisher zu mehr als zwei Dritteln privat, also durch Betriebe und Privatpersonen. Der Staat übernimmt nur einen kleineren Anteil der Finanzierung.

Wir brauchen eine einfache staatliche Weiterbildungsfinanzierung: Ein Bildungsgrundeinkommen

Aus all diesen Gründen brauchen wir eine andere Weiterbildungsfinanzierung. Eine, die es einer größeren Zahl von Menschen erleichtert, sich beruflich weiterzuentwickeln und die ihnen die Chance eröffnet, in ihrem Leben auch noch einmal etwas ganz anderes zu machen.

Wir schlagen deshalb ein Bildungsgrundeinkommen (BGEK) vor. Es realisiert ein Recht auf Weiterbildung und unterfüttert es mit einem Freistellungsanspruch und einer finanziellen Grundsicherung.

Wie das Bildungsgrundeinkommen aussehen könnte

Das BGEK ist an eine bundesweit anerkannte Weiterbildung gebunden. Es kann bis zu 36 Monate im Verlauf des Erwerbslebens bezogen werden. Die Interessenten erhalten eine qualifizierte Weiterbildungsberatung und können frei entscheiden, wofür sie das Grundeinkommen verwenden. Wichtig ist nur: Es muss sich um beruflich verwertbare Qualifikationen handeln. Die Bildungsmaßnahme muss mindestens 3 Monate am Stück dauern, auch um den Verwaltungsaufwand in vertretbaren Grenzen zu halten. Durch begleitende Maßnahmen wie eine bundesweite Zertifizierung wird die Qualität der Weiterbildungsangebote verbessert.

Jeder erhält pauschal 1200 Euro im Monat

Die Empfänger des Bildungsgrundeinkommens erhalten pauschal 1200 Euro im Monat. Dazu kommen ergänzende Zuschläge für Kinder oder besondere Beeinträchtigung. Kurs-, Material- und Fahrtkosten werden übernommen und die Sozialabgaben während der Bezugsdauer weitergezahlt. Dennoch wird das unter dem Strich für viele eine kurzzeitige Schlechterstellung bedeuten, sodass Rückgriffe auf eigene Ersparnisse oder Zuschüsse des Arbeitgebers zur Sicherung des Lebensstandards erforderlich sind. Geringverdienende werden dagegen kaum weniger Geld haben als zuvor – was ihre Bereitschaft zur Weiterbildung erhöhen könnte.

Höhere Steuereinnahmen würden das Bildungsgrundeinkommen teilweise refinanzieren

Finanziert wird das Bildungsgrundeinkommen aus Steuermitteln. Das ist aufgrund der immensen Bedeutung von Weiterbildung für die Bewältigung des Strukturwandels und ihrer positiven Effekte auf Produktivität und Beschäftigung angemessen. Ein guter Teil der Ausgaben wird sich durch höhere Steuereinnahmen beziehungsweise geringere Aufwendungen für Arbeitslosigkeit refinanzieren.

Ein Bildungsgrundeinkommen wird einer deutlich größeren Zahl von Menschen ermöglichen, sich beruflich weiterzuentwickeln oder sich neu zu orientieren. Dabei sind sie weder den oft kleinteiligen staatlichen Programmen unterworfen noch an die Präferenzen ihres Arbeitgebers gebunden. Sie können frei entscheiden, welche Richtung sie ihrem Leben geben wollen. Mit seiner niedrigen Zugangsschwelle und der finanziellen Grundsicherung kann das Bildungsgrundeinkommen mehr Menschen motivieren, sich weiterzubilden.

Jeder sollte sein Leben selbst in die Hand nehmen können

Das Bildungsgrundeinkommen hat großes emanzipatorisches Potential. Es birgt die Möglichkeit zu mehr Selbstbestimmung in einer Welt rascher Veränderungen. Ein finanziell abgesichertes Recht auf Weiterbildung ist nicht nur eine Investition in das „Humankapital“. Es stärkt die Fähigkeit, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und damit auch das Vertrauen in die liberale Demokratie.

Ralf Fücks, Rainald Manthe

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