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Politik: Zunehmende Sorge um die zivilen Kriegsopfer

Es sind Tage feinster Nuancen, der wirklichen wie der hineininterpretierten.Nicht nur bei jeder Äußerung in Belgrad wird genau hingehört, ob es Risse im jugoslawischen Führungsblock gibt, ob es Bereitschaft zum Einlenken geben könnte.

Es sind Tage feinster Nuancen, der wirklichen wie der hineininterpretierten.Nicht nur bei jeder Äußerung in Belgrad wird genau hingehört, ob es Risse im jugoslawischen Führungsblock gibt, ob es Bereitschaft zum Einlenken geben könnte.Auch bei jedem öffentlichen Statement in Bonn und Berlin werden die Silben gewogen: Von den Politikern, die rund um die Uhr an einer politischen Lösung für den Kosovo-Konflikt arbeiten, und von den Journalisten, die aus ausweichenden Mitteilungen noch eine Veränderung, einen Hinweis auf bisher Verborgenes herauszuhören versuchen.

So versuchten auch Bundesaußenminister Joschka Fischer und UN-Generalsekretär Kofi Annan am Mittwoch während ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin die immer wieder gleichen Fragen zu beantworten, die frühestens nach den Moskauer Gesprächen des UN-Generalsekretärs beantwortet werden können.Der Blick bleibt fest auf Rußland gerichtet, wo Annan mit Boris Jelzin, Außenminister Iwanow und dem Kosovo-Beauftragten Tschernomyrdin sprechen wird.Aber an Spekulationen beteiligen sich beide Politiker nicht - einig sind sie sich in der Dringlichkeit einer Stärkung des Sicherheitsrates und in ihren Respektbezeugungen an die Adresse Rußlands und Chinas.Wenn Rußland im Sicherheitsrat mitspiele, und darauf müßten alle Anstrengungen gerichtet sein, "wird China sich zumindest enthalten", sagt Annan."Auch China nimmt seine Rolle im Sicherheitsrat sehr ernst."

Ein Zurück hinter die Ziele der NATO, die auch Annan offen akzeptiert, soll es nicht geben.Fischer formuliert kräftiger als Annan: "Das Töten, Vertreiben, Morden muß aufhören." Eine Übergangsregierung müsse eine Autonomieregelung verhandeln.Fischer sieht eine ferne Zukunft, die gleichzeitig ein Angebot an Belgrad ist: "Am Ende kann nur eine Herrschaft des Rechts im Rahmen der europäischen Integration stehen - unter Einschluß Jugoslawiens."

Aus dem Off bekräftigt der Sozialdemokrat Hans Koschnick, Balkan-Beauftragter der Bundesregierung, diese Haltung.Einem Friedensplan gebe er keine Chance, solange nicht wesentliche Bedingungen in drei Stufen erfüllt seien, ließ Koschnick wissen: "Zuerst brauchen die Flüchtlinge die klare Zusicherung, daß sie ins Kosovo zurückkönnen.Dann muß zu ihrer Sicherheit gewährleistet sein, daß das serbische Militär abzieht, und drittens muß eine kampffähige Friedenstruppe das Kosovo kontrollieren."

Was die Diplomatie betrifft, heißt es also vorerst: warten auf Moskau.Kräftigere Nuancen sind aber in anderen Aussagen Annans und Fischers zu hören.Ihr Ton ist in den letzten Tagen hörbar besorgter geworden.Joschka Fischer nennt als Motiv für die verstärkten Bemühungen um eine Konfliktlösung "das Leiden der Zivilisten auf beiden Seiten", das beendet werden müsse.Diese Diktion ohne Nachordnung einer Gruppe Opfer ist sicherlich auch eine Reaktion auf die erneute Bombardierung von Wohnhäusern durch die NATO am Dienstag.Kofi Annan zeigt mehr Emotionen.Er erzählt vom Rot-Kreuz-Präsidenten Cornelio Sommaruga, der ihm gerade aus Belgrad telephonisch über die Situation in Jugoslawien berichtet habe: "Die Infrastruktur wird zerstört, zum Beispiel hat die Hälfte der Einwohner von Novi Sad kein Wasser.Diese Dinge haben Herrn Sommaruga erschüttert, und auch mich bewegt das tief."

Hoffnung schöpft die Politik aus Gedanken an die fernere Zukunft.Der Sprecher des Auswärtigen Amtes hatte kurz vor der Pressekonferenz seines Minister den Beratungs-Zeitplan der nächsten Monate bekanntgegeben - mit Raum für umfassende regionale Beratungen, im Rahmen der G 8 und der Südosteuropa-Konferenz, Ende Mai.

Kofi Annan schließt seinen Deutschlandbesuch mit einem Dank an die Gastgeber ab.Er freue sich über das Angebot der Bundesregierung, den Vereinten Nationen für Einsätze der geplanten Bereitschaftstruppe logistische und medizinische Einheiten zur Verfügung zu stellen."Wir brauchen etwa vier Monate, bis Soldaten in friedenserhaltenden Missionen einsatzbereit sind.Wenn Deutschland, wie es mit ihm 60 andere Staaten tun werden, Leute dauerhaft in Bereitschaft hält, würde diese Zeit erheblich verkürzt." Annan ist zufrieden, er schaut weit über den Tag der diplomatischen Bemühungen hinweg - auf weitere Konfliktherde, die den Einsatz der Weltgemeinschaft erfordern.

PAUL STOOP

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