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Politik: Zuwanderung: Wirtschaft will die Besten

Handelskammer-Chef fordert Lösung noch in diesem Jahr / Grüne: Union soll einlenken

Berlin . Die deutsche Wirtschaft dringt auf eine schnelle Lösung im Streit um die Zuwanderung. „Es muss endlich ein modernes Zuwanderungsgesetz her, das unter anderem die Zuwanderung von Fachkräften und innovativen Selbstständigen nicht blockiert“, mahnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Hier müssen sich die großen Volksparteien endlich bewegen“, forderte Wansleben mit Blick auf die verfahrenen Gespräche zwischen Regierung und Opposition. „Die Wirtschaft setzt auf eine Entscheidung noch in diesem Jahr.“ Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fordert ein „gutes und modernes“ Zuwanderungsgesetz. „Das nützt der Wirtschaft und stärkt den Standort Deutschland“, sagte Göring-Eckardt dem Tagesspiegel.

Nachdem es eine Zeit lang nach einem raschen Kompromiss beim Zuwanderungsgesetz ausgesehen hatte, sind die Verhandlungen zwischen Rot-Grün, Union und FDP vor der Osterpause ins Stocken geraten. Strittig sind etwa die strengeren Abschieberegelungen bei terroristischer Gefahr, der Schutz bei geschlechtsspezifischer Verfolgung sowie der Kindernachzug. Offen ist außerdem, wer in welchem Umfang für die Finanzierung von Integrationsmaßnahmen aufkommen soll. Am 30. April sollen die Gespräche in der Arbeitsgruppe Zuwanderung des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat fortgesetzt werden – sie gehen in die nunmehr zwölfte Runde.

Innenminister Otto Schily (SPD) hofft bei der nächsten Sitzung auf eine endgültige Einigung. Göring-Eckardt forderte die Union vor der nächsten Verhandlungsrunde zu Kompromissen auf. Wenn die Union wirklich an der Wirtschaftlichkeit Deutschlands interessiert sei, solle sie einlenken, forderte die Grünen-Politikerin. Den Unions-Parteien warf sie vor: „Ihr Verhalten zeugt in diesem Punkt von mangelndem ökonomischen Sachverstand.“

Wansleben begründete seinen Vorstoß für ein Zuwanderungsgesetz damit, dass Deutschland und Europa im Wettbewerb mit den USA immer weiter zurückzufallen drohten. Eine solche Entwicklung hält er jedoch nicht für zwangsläufig. „Europa hat allemal das Potenzial, den USA ebenbürtig zu sein“, sagt Wansleben. Es gebe keine Region der Welt, „die in der Breite der Bevölkerung über so viel tradiertes Wissen und vernetzte Erfahrung verfügt wie unser Kontinent“, sagte Wansleben. Europa werde seine Zukunft aber nur gewinnen können, „wenn es im Wettbewerb um die besten Köpfe besser wird“. Bei dem notwendigen Aufholprozess müsse Deutschland „im Führerhäuschen und nicht im Schlafwagen“ sitzen. Deutschland brauche deshalb ein modernes Zuwanderungsgesetz. „Denn demografisch haben die USA auf absehbare Zeit die Nase vorn“, stellt Wansleben fest.

Wissenschaftler weisen darauf hin, dass durch Zuwanderung die demografischen Belastungen der kommenden Jahrzehnte in Europa zumindest ein wenig abgemildert werden könnten. So fordern die Experten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) die dauerhafte Zuwanderung von Spitzenkräften aus dem Ausland. Dadurch würden inländische Arbeitnehmer nicht verdrängt, sondern das Arbeitsangebot sinnvoll ergänzt.

Ebenso wie in Deutschland wird auch in vielen anderen EU-Staaten in Zukunft der Anteil der älteren Bürger an der Bevölkerung deutlich steigen. Verantwortlich dafür sind die geringen Geburtenraten: Statistisch kommen auf immer mehr Senioren immer weniger junge Menschen. Diese Veränderungen in der Bevölkerungspyramide belasten die Sozialsysteme finanziell, bleiben aber auch für die Wirtschaft nicht ohne Folgen. Schon in einigen Jahren werden den Unternehmen Fachkräfte und Auszubildende fehlen – auch wenn derzeit noch Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel vorherrschen.

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