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"Und erlöse uns von allen Üblen" #28: Zwei Frauen treffen eine Abmachung

Chefermittlerin Hornstein befragt die Polizeireporterin Andrea Hofwieser. Die denkt an ihre Karriere. Ein Fortsetzungsroman, Teil 28.

Was bisher geschah: Die Polizei will von der Journalistin Andrea Hofwieser mehr über den Tatabend erfahren. Denn aus ihrer Wohnung ist der Rechtsnationale Joachim Freypen erschossen worden.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 28 vom 13. Juli.

Der Mörder liest in der Tat gerade die Schlagzeilen der Zeitungen, aber den Inhalt der verschiedenen Artikel schenkt er sich. Da weiß er schließlich mehr. Sie haben inzwischen die Stelle erreicht, wo sich die Autobahnen nach Hannover und Bremen teilen, fahren weiter Richtung Bremen. Normaler Verkehr, keine Staus. Tempo 100 ist vorgeschrieben, und die meisten halten sich daran. In Osnabrück biegen sie ab Richtung Hengelo zur holländischen Grenze. In ein paar Stunden werden sie in Den Haag sein.

Die Spurensicherung ist in Andrea Hofwiesers Wohnung, stets von den misstrauischen Blicken der Besitzerin begleitet, systematisch vom Flur aus vorgegangen. Die Männer haben den Boden abgesaugt, falls dort zum Beispiel Dreck auffällig sein sollte, den sie dann mit denen unter den Schuhen von Andrea Hofwieser vergleichen können. Die im Labor werden zwar nichts entdecken, weil der Mörder an diese Möglichkeit gedacht hat, aber das wissen sie nicht. Als die Beamten be­ginnen, Schubladen aufzumachen und im Schlafzimmer in ihrer Wäsche und in ihrem Kleiderschrank wühlen wollen, protestiert sie: "Kommt nicht in Frage, erstens haben sie mich nicht gefragt und zweitens glauben Sie wirklich, der Mörder hat sich da versteckt?"

Susanne Hornstein gibt den Männern ein entsprechendes Zeichen und die konzentrieren sich wieder auf das Fenster und auf die Fensterbank und den Teppichboden am Fenster. "Das kann noch ein bisschen dauern", wendet sich die Beamtin wieder der Journalistin zu und merkt zum ersten Mal, wie sie die Müdigkeit überfällt: "Wer außer Ihnen besitzt eigentlich noch Schlüssel zu Ihrer Wohnung? Putzfrau? Irgendein Freund vielleicht?«

"Niemand außer mir", schnappt Andrea Hofwieser zurück und zieht die Knie fast bis unter ihr Kinn, "ich lebe alleine, und das gern, und putzen kann ich selbst. Falls hier mal ein Mann übernachtet, bekommt der bestimmt nicht gleich Schlüssel von mir. Wie halten Sie es denn in solchen Fällen?"

Susanne Hornstein schweigt, und fast tut es Andrea Hofwieser leid, dass sie so aggressiv reagiert hat. Sie blickt die blonde Frau im Sessel genauer an, na ja, nicht gerade eine Schönheit, auch nicht mehr so ganz jung, aber die hat doch was. Wenn die sich anders anziehen würde, nicht so altbacken, wenn die mal ausgeschlafen hat und mal nicht so müde aussieht. "Entschuldigung, Sie machen nur Ihren Job. Müsste gerade ich ja verstehen."

Du verstehst gar nichts, denkt Susanne Hornstein plötzlich wütend, du blöde Tussi. Du holst dir irgendeinen Kerl und am anderen Tag sagst du Tschüs. Bei mir sagen die Kerle Tschüs am anderen Tag, nicht ich, das ist der Unterschied. Falls sie überhaupt bis zum anderen Morgen bleiben und falls sie überhaupt kommen. Schlampe. Strahlt dabei aber Andrea Hofwieser mit einem so falschem Lächeln an, wie es nur Frauen untereinander austauschen können. "Schon in Ordnung."

Eigentlich könnte ich eine solche Figur wie die Beamtin gut einbauen in mein Buch, und sicher kann sie mir auch viel von ihrem Alltag beim BKA erzählen, den ich noch nicht so genau kenne, überlegt sich Andrea Hofwieser. Und nimmt sich vor, mehr Kooperationsbereitschaft zu zeigen.

Sie ändert ihre Taktik, so wie bei Recherchen, wenn sie ihren Opfern etwas von sich erzählt, um deren Vertrauen zu gewinnen und sie dann anschließend umso leichter auszunehmen. Beugt sich vertraulich vor und berichtet Susanne Hornstein von ihrem Vorhaben, einen politischen Thriller zu schreiben. Und zwar ganz anders als die bislang so bekannten Muster von irgendwelchen krimi­nellen Regierungen im Weißen Haus wie bei Tom Clancy oder Mafia­verseuchten Anwaltskanzleien wie bei John Grisham oder faschistischen Untergrundorganisationen wie bei Frederik Forsyth und Ken Follett.

"Kenne ich alle nicht", erwidert Susanne Hornstein ein bisschen abwehrend, allerdings auch verblüfft über den abrupten Themenwechsel, "mir reicht die Wirklichkeit." Fragt aber höflich nach, was denn Andrea in ihrem Erstling so ganz anders machen möchte als die genannten Schriftsteller.

"Ich nehme die ungeklärten Fälle, die es wirklich gab in der Bundesrepublik und male mir aus, wie es hätte tatsächlich sein können und wer in Wahrheit dahinter steckt. Also eine Art Superbösewicht, der sich modernster Methoden bedient, Computerhackern zum Beispiel, um etwas zu erfahren und mit dem Wissen andere zu erpressen. Nicht um Geld, sondern um die zu zwingen, dass die ihre Politik ändern, die ihm nicht passt. Rein fiktiv natürlich, aber immer in Verbindung mit Figuren, die erkennbar als die auftreten, die sie im wahren Leben sind. Sagen wir: Faction statt Fiction. Das genau ist der Dreh."

"Zum Beispiel?"

"Zum Beispiel Barschel, da weiß man doch eigentlich bis heute nicht, ob es wirklich Selbstmord war oder doch Mord. Vielleicht ein iranischer Waffenhändler, der im Auftrag der CDU den angeblichen Selbstmord arrangiert hat, damit der in seiner Verzweiflung nicht noch mehr Schaden für die Partei anrichtet."

"Das klingt aber sehr abenteuerlich, finden Sie nicht?"

"Wieso? Weiß das BKA etwa mehr?"

Susanne Hornstein fällt auf solche Tricks nicht rein und zuckt nur mit den Schultern. Natürlich weiß sie mehr, denn sie kennt die Ermittlungsakten der Polizei aus Genf. Aber sie wird einen Teufel tun und davon erzählen. Andererseits hat auch sie gelernt, ihre jeweilige Taktik zu ändern, wenn es die Situation erfordert: "Wir können ja einen Deal machen, Frau Hofwieser. Sie schreiben nicht über das, was Sie heute hier erlebt haben, also von wo aus der Mörder geschossen haben könnte und so weiter. Und ich gebe Ihnen in einem Hintergrundgespräch mal ein paar Einzelheiten, die Sie für Ihr Buch gebrauchen können. Ohne Quellenangabe, versteht sich."

Andrea Hofwieser überlegt einen Augenblick. Warum eigentlich nicht? Was sie für ihr Buch erfährt, gehört nur ihr, ist nur ihr Ruhm, nur ihr Erfolg. Was sie für die Abendpost schreibt, ist am anderen Tag vergessen, egal wie sensationell es ist, und hilft nur Schwarzkoff, mehr Zeitungen zu verkaufen. Ausgerechnet Schwarzkoff, diesem Machoschwein. Hoffentlich liegt der gerade mit schwerem Kopf irgendwo unter einem Busch.

Sie erschrickt bei der Vorstellung. Wenn der Mann da unten in der Tiefgarage wirklich der Mörder gewesen sein sollte, dann könnte es ja sein, dass auch ihr Verleger längst tot ist und wirklich unter einem Busch liegt. Soll sie vielleicht doch lieber mit der ganzen Wahrheit rausrücken? Ach was, sagt sie sich, das ist nur wieder deine blühende Phantasie, der wird schon nicht tot sein. Und das war wahrscheinlich gar nicht der Mörder. Nur irgendein Einbrecher, der unerkannt abhauen wollte. Falls es ein Einbrecher war, würde das auch sein Schweigen erklären. Entschlossen streckt sie Susanne Hornstein ihre Hand hin: "Abgemacht."

Und morgen lesen Sie: Verleger Schwarzkoff schreibt einen Nachruf.

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