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Schrecklicher Alltag. Kaum ein Tag im Irak vergeht ohne Terroranschlag. Menschen verladen die Särge der Opfer einer Bombenserie in Bagdad, bei der mehr als 70 Menschen starben. Foto: AFP

© AFP

Politik: Zwei Länder, ein Schlachtfeld

Der Irak erlebt einen besonders blutigen Monat Al Qaidas Macht wächst – durch den Krieg in Syrien.

Kairo - Monatelang hatten sich die Angreifer vorbereitet. Zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit brach dann die Hölle los. Simultan gezündete Selbstmordbomben sprengten die Gefängnistore auf. Die nachrückenden Angreifer nahmen die völlig überraschten Wachen unter Feuer. Bis in die frühen Morgenstunden dauerten die Kämpfe an, in deren Verlauf über 100 Raketen verschossen wurden. 29 irakische Sicherheitskräfte wurden getötet, 36 verwundet. Am Ende konnten 500 der insgesamt 10 000 Insassen aus dem Kerker von Abu Ghraib entkommen – der größte Gefängnisausbruch seit dem Sturz von Saddam Hussein hat vor kurzem stattgefunden. „Es warten schwarze Tage auf den Irak, einige der Geflohenen waren zum Tode verurteilte Al-Qaida-Führungskader“, zitiert AFP einen hohen Sicherheitsbeamten. Diese Leute würden nun Rache üben, „wahrscheinlich durch noch mehr Selbstmordattentate“.

Dabei erlebt der Irak schon lange eine Welle der Gewalt. Der Juli könnte mit bislang 720 Toten, 1600 Verletzten und 80 Autobombenanschlägen zum blutigsten Monat seit Ende des Bürgerkriegs 2006/2007 werden. Seit Jahresbeginn starben laut „Iraq Body Count“ bereits mehr als 3000 Menschen, während den irakischen Sicherheitskräften immer mehr die Kontrolle entgleitet. Viele fühlen sich unterbezahlt, sind seit dem Abzug ihrer US-Ausbilder nicht mehr ausreichend trainiert und machen bisweilen gemeinsame Sache mit den Terroristen.

Weitere Gründe für die mörderische Eskalation liegen in der totalen innenpolitischen Lähmung des Landes sowie im syrischen Bürgerkrieg nebenan. Im Januar und Februar erlebte der Irak die größte Protestwelle seiner sunnitischen Minderheit seit Jahren. Die Demonstranten, die teilweise auch die großen Fernstraßen blockierten, forderten ein Ende des schiitischen Machtmonopols und ein Ende der Hatz auf sunnitische Politiker. Zudem verlangten sie, dass die Anti-Terror-Gesetze nicht länger einseitig gegen sie angewandt werden und die willkürlichen Verhaftungen aufhören. Doch wenig geschah, die Regierung des schiitischen Premiers Nuri al Maliki ließ lediglich ein paar hundert Gefangene frei, ansonsten war er zu keinerlei Konzessionen bereit. Das irakische Parlament wiederum ist seit Monaten handlungsunfähig und hat schon lange kein relevantes Gesetz mehr durchgebracht. Gleichzeitig steigt die Schlagkraft von Al Qaida durch den Bürgerkrieg in Syrien immer weiter an. Irakische Gotteskrieger sind an dem Kampf gegen das Assad-Regime an vorderster Front beteiligt. Viele kehren nach einiger Zeit gut bewaffnet und kriegserfahren heim, um dann in ihrer Heimat weiter zu bomben und zu morden.

„Die Schlachtfelder wachsen zusammen“, sagt der bisherige UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Martin Kobler. Im April vereinigten sich die Al-Qaida-Verbände von Irak und Syrien zum „Islamischen Staat im Irak und in der Levante“. Seitdem ziehen die sunnitischen Gotteskrieger auch im Zweistromland immer systematischer gegen ihre schiitischen Landsleute zu Felde. Kein Tag vergeht ohne Terroranschläge. Erst vor einer Woche tötete eine 13-fache Bombenserie in Bagdads Schiitenvierteln mehr als 70 Menschen, die nach Sonnenuntergang zum Fastenbrechen auf die Straßen gegangen waren. Die Rachewelle schiitischer Militanter aber ließ nicht lange auf sich warten. Drei Tage später zündeten Attentäter Bomben vor sunnitischen Moscheen in Kirkuk und Bagdad. 12 Gläubige starben, 50 wurden verletzt, als sie spätabends nach Ramadan-Gebeten aus den Gotteshäusern strömten. Martin Gehlen

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