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Politik: Zwei Siegerund zwei Sünder

DIE FOTOFINISH-WAHL

Von Gerd Appenzeller

Es sieht ganz so aus, als hätten zwei Politiker diese Bundestagswahl zur dramatischsten Wahlentscheidung gemacht, die Deutschland je gesehen hat. Aber es waren weder Gerhard Schröder noch Edmund Stoiber, die die Trendwende ausgelöst haben, sondern Gestalten der zweiten Reihe: Herta Däubler-Gmelin und Jürgen W. Möllemann.

Der Liberale aus Nordrhein-Westfalen hat, allerdings nicht in NRW, seiner Partei durch einen subtil anti-israelischen, antijüdischen Wahlprospekt Wähler verjagt, die diese Diffamierung abstoßend fanden. Frau Däubler-Gmelin empörte mit einer grob-ungehörigen, anti-amerikanischen Sottise potenzielle SPD-Wähler, die zwar einen Krieg wegen des Iraks ablehnen, von der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses aber sehr wohl wissen. Wären nicht die davon unbeeinflussten, 20 Prozent Briefwahlstimmen gewesen – im Willy-Brandt-Haus wären um 20 Uhr die Lichter ausgegangen.

Die Entscheidung war eine Entscheidung zwischen Gefühl und Verstand. Der Kopf sagte: Schwarz-Gelb muss eine Chance bekommen, Rot-Grün hat ihre nicht genutzt. Und der Bauch sagt: Bei Schröder fühlen wir uns wohler als bei Stoiber, er ist einer von uns. Schröder ist die beeindruckendere Führungspersönlichkeit als Stoiber. Wo jener Patriarchat ausstrahlt, Distanz und Aktenlage, vermittelt dieser zupackende Energie und pralle Lebenskraft. Die meisten Menschen wünschten sich vermutlich eher eine Vaterfigur wie Schröder. Stoiber, das ist der Typus des Vorgesetzten.

Die Entscheidung für den Mann an der Spitze war also eine Gefühlsentscheidung. Aber in den letzten Wochen vor der Wahl verlagerte sich auch die Themendebatte von der rationalen (Arbeit, Steuern, Soziales, Gesundheit) auf die emotionale Ebene – Irak, Hochwasser, TV-Duelle. Vor allem Irak. Kein Krieg, das überzeugte bis weit ins Unionslager hinein. Und natürlich gibt es ein anti-amerikanisches, ein anti-israelisches Reservoir an Wählerstimmen, das man mit den entsprechenden Parolen mobilisieren kann. Aber die Diskussion bekam eine Eigendynamik, die den Deutschen unheimlich wurde. So hatten sie sich das mit dem „deutschen Weg“ offensichtlich nicht vorgestellt. Sie ahnten: Wenn Helmut Kohl, in den Jahren zwischen 1982 und 1989 mit unserem wichtigsten Verbündeten so umgegangen wäre wie Schröder jetzt mit den USA, hätte es das schnelle Einverständnis zu einer deutschen Wiedervereinigung nicht gegeben. Deutschland ist wieder ein großes Land, ja. Aber ein Land der großen Sprüche darf es nicht werden, das begreifen die Menschen.

Möllemann schädigte das Bild der FDP, das freilich ohnehin lange schillernd war. Däubler-Gmelin traf den Ruf der SPD mit ihrem Bush-Hitler-Vergleich ins Mark. Außenpolitik entscheidet keine Wahlen? Seit gestern wissen wir es anders. Schröder hatte seine Partei und sich mit dem Friedensthema noch einmal aus dem Umfrageloch hocharbeiten können. Eine geschwätzige Ministerin hat in den letzten Stunden fast alles zerstört. Ähnlich geht es Stoiber: Seine Mehrheit zerbröselte wegen Möllemann. Wenn so vieles unsicher wird, sucht der Wähler Gewissheiten. In der Außen- und Sicherheitspolitik fand er sie bei den Grünen, bei Joschka Fischer. Die Union, mit Stoiber, signalisierte Zuverlässigkeit und Geschlossenheit und gewann deshalb klar hinzu.

Noch vor Tagen dachte man, die PDS sei vielleicht Zünglein an der Waage zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Jetzt scheint das Kapitel PDS bundespolitisch vorläufig erst einmal abgeschlossen, das Patt durch die Überhangmandate vermieden. Rot-Grün sieht sich auf dem Weg zu einer sehr knappen Mehrheit. Darf man so regieren? Ja, Mehrheit ist Mehrheit. Aber bitte besser als beim ersten Mal.

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