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Politik: Zwischen gut und böse

Von Gerd Appenzeller

Nein, das ist kein Zufall, keine ungeplante Häufung wirtschaftskritischer Äußerungen aus der Spitze der größten Regierungspartei. Nein, die SPD hat die Geduld mit den deutschen Großunternehmen verloren und geht auf Konfrontationskurs. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, heißt die Devise. Der Kanzler als Genosse der Bosse, der mit der Agenda 2010 das Land wettbewerbsfähiger machen und für die Zukunft rüsten wollte, hat den Glauben daran verloren, auf diesem schwierigen Weg die Industrie und die anderen Mächtigen der Wirtschaft an seiner Seite zu haben.

Deshalb teilen er und seine wichtigsten Minister, der SPDParteivorsitzende und ein Ministerpräsident mitten im Wahlkampf nun die Welt der Politik und der Ökonomie in eine gute und in eine böse Welt. Die gute, das ist der Mittelstand, der keine Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, der hier Jobs schafft und Steuern zahlt. Böse, das sind die, die nicht nur ihre Kapazitäten ins Ausland verlagern, sondern obendrein den Staat um die ihm eigentlich zustehenden Abgaben prellen und Jobs in Deutschland vernichten. Diese Raubtierkapitalisten und die Opposition eint dabei aus sozialdemokratischer Sicht ein böser Plan: Sie blockieren Investitionen und Reformen, um das Land und seine Regierung noch tiefer in den Abgrund zu treiben, damit im Herbst 2006 die verängstigten Wähler Zuflucht bei CDU, CSU und FDP suchen.

Beweis für die These? Sowohl die Homepage der Bundesregierung als auch die der SPD machen mit Kritik an der Blockadepolitik der Union oder der drohenden Gefahr der Vernichtung der Demokratie durch totale Ökonomisierung auf. Franz Müntefering wirft Managern wie Josef Ackermann Staatsverachtung und Schlimmeres vor. Gerhard Schröders Sprecher lässt erklären, der Kanzler hätte das vielleicht anders, aber inhaltlich bestimmt ganz genauso gesagt. Der Wirtschaftsminister arbeitet mit an kritischen Entwürfen für das neue SPD-Grundsatzprogramm, der Finanzminister prangert kurzfristiges Denken der Industrie an und die Regierung zitiert zustimmende Äußerungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, DIHK, zu den Ergebnissen des Jobgipfels. Der DIHK aber repräsentiert vor allem den Mittelstand.

Man kann den Zorn in der SPD begreifen. Die Älteren in der Partei fühlen sich vermutlich an 1969 erinnert, als zum Beginn der sozial-liberalen Koalition Teile der Industrie durch eine Investitionsblockade den roten Kanzler wegbekommen wollten. Man kann die SPD auch deshalb verstehen, weil das Unbehagen an der Geschäftspolitik der großen Konzerne in der Bevölkerung weit verbreitet ist. Man kann den Wechsel der Strategie, der alles andere als ein Zufall ist, auch nachvollziehen. Im Mittelstand selbst gibt es ja großes Unbehagen über eine Steuerpolitik, die vor allem die Großunternehmen begünstigt, während es die kleinen und mittleren Betriebe sind, die die Arbeitsplätze schaffen. Und man kann sich in Schröder hineinfühlen, dessen größter Irrtum wahrscheinlich war, zu glauben, die Wirtschaft würde ihm für eine Politik dankbar sein, die der Ökonomie hilft, aber die SPD fast ruiniert. Nein, die Wirtschaft wählt ihn nicht. Die will ihn weghaben, das ist die Wahrheit.

Mit ihrer Wende können Müntefering und Schröder vielleicht die geschundene Partei wieder hinter sich versammeln. Aber die Konjunktur können sie so nicht ankurbeln und Wahlen wohl auch nicht gewinnen. Ihre neue Strategie ist eine der schieren Verzweiflung.

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