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Sitzblockade. Auch der brandenburgische Finanzminister Helmuth Markov (Die Linke, 2.v.r.), nahm schon an einer sitzenden Demonstration gegen einen Aufmarsch von Neonazis in Neuruppin teil.

© Patrick Pleul/dpa

Sitzblockaden: Das Kreuz mit „Links-Rechts“

Brandenburgs Polizei und die rechtsradikalen Aufmärsche, die für die Beamten schon ein fast alltägliches Problem sind.In den letzten Monaten wurde daraus ein stetiger Lernprozess

Potsdam - Demonstrationszüge rechtsradikaler Gruppierungen und dagegen gerichtete Protestaktionen sind für die Brandenburger Polizei inzwischen zu einem fast schon alltäglichen Problem geworden. Dabei steht jeder ihrer Maßnahmen unter besonders kritischer öffentlicher Beobachtung. Die PNN haben die Einsatzbesprechung zum 1. Mai in Wittstock (Ostprignitz) besucht.

Im Potsdamer Polizeipräsidium sitzt ein gutes Dutzend hochrangiger Polizeiführer an einem Tisch, allen voran Polizeipräsident Arne Feuring. Die Beratung gilt einem Geschehen, dass von der Häufigkeit her fast schon Routine sein könnte und doch jedes Mal volle Aufmerksamkeit erfordert. Diesmal findet es am 1. Mai statt. Eine „Rechts-Links“-Lage, sagt Feuring und ergänzt für den Journalisten sofort, dass diese Begrifflichkeit sich der Einfachheit halber eingeschliffen habe, aber politisch völlig daneben ist.

Es geht um das Aufeinandertreffen von rechtsextremen Gegnern des demokratischen Staates und Menschen, die aktiv werden, wenn die Verfassungsfeinde marschieren. Das ist mit „Rechts“ oder „Links“ natürlich nicht annähernd präzise umschrieben und deswegen hält der Polizeipräsident aus dem Stand einen kleinen Vortrag, den er sicher schon des Öfteren seinen Mannen und Frauen zugemutet hat. In ihm wird in der nötigen Differenziertheit alles gesagt, was aus rechtsstaatlicher Sicht gesagt werden muss zum Schutz der Versammlungsfreiheit, des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, der verständlichen Gefühlslage von Menschen, die Neonazis nur mit Mühe in ihrer Umgebung ertragen und der Rolle der Polizei in dieser diffizilen Gemengelage. Feuring würde damit so manches juristisches Proseminar sprachlos werden lassen – die Brandenburger Polizei weiß zumindest in der Theorie ganz genau, wo es langgeht.

In Brandenburg gehören solche theoretischen Überlegungen inzwischen zum Polizeialltag. Über die Gründe, die rechtsradikale Vereinigungen dazu treiben, immer mal wieder demonstrativ durch die Städte ziehen, will bei den Ordnungshütern keiner mehr spekulieren. Dass die in Wittstock mehr als sieben Kilometer um den Stadtkern herum ziehen mit ihren Parolen, muss hingenommen werden. Es sei müßig, sich über diese Aufzüge den Kopf zu zerbrechen, weil man da sowieso nichts beeinflussen könne und wolle, sagt der Polizeipräsident. Das seien eben Aufgaben, die man lösen müsse.

Auf so einer Einsatzbesprechung wird allerdings schnell klar, wie kompliziert und aufwendig die Vorbereitungen sind, um solch einen „Rechts-Links“-Einsatz zu bewältigen. Wenn da beispielsweise eine Polizeihundertschaft aus Cottbus in Wittstock benötigt wird, muss über Unterkunft und Verpflegung nachgedacht werden. Denn die Polizisten lassen sich ja nicht einfach in Sekundenschnelle von einem Ort des Landes in den nächsten beamen. Und die einfache Rechnung, nach der man eben neben jeden der wenigen Dutzend Rechtsextremen einen Polizisten stellt, geht ebenfalls nicht auf. Wer davon ausgehen muss, dass es auch zu Festnahmen kommen könnte, braucht eine Gesa – wie eine Gefangenensammelstelle. Und die wiederum muss mit Beamten besetzt werden, auch wenn ein jeder hofft, dass alles friedlich genug läuft und die Gesa völlig überflüssig war. Zur Gesa kommt die Verkehrsregelung und vieles andere mehr. Insgesamt sechs Veranstaltungen sind in Wittstock angemeldet.

Dazu gesellt sich dann das für Außenstehende zuweilen unverständliche Trägheitsmoment, das typisch ist für geschlossene Einsätze der Polizei. Ihr Gegenüber ist nicht nur sehr beweglich, sondern inzwischen auch perfekt vernetzt. „Wir wollen, wir können da gar nicht mithalten“, meint Feuring mit Blick auf Twitter-Botschaften oder sonstige Errungenschaften der sozialen Netzwerke. Wenn andere innerhalb von Sekunden Dutzende Menschen in eine bestimmte Richtung schicken, schafft es die Polizei in aller Regel nicht, hinterherzukommen. Sie muss dann schon dort sein, wo die Demonstranten hinwollen. Denn eine Polizeieinheit funktioniert nun einmal nicht wie eine Spontandemonstration. Die Vorgesetzten haben ihre Truppen zusammenzuhalten, keiner darf verloren gehen. Man sitzt auf, verlegt, sitzt wieder ab, wie es im Polizeijargon heißt. Dafür braucht man Zeit. Und Zeit brauchen Polizisten auch, wenn sie nach einigen Stunden verpflegt sein wollen und spätestens nach zwölf Stunden Dienst ist in aller Regel Feierabend. Solche Regeln kennt das polizeiliche Gegenüber nicht und deswegen auch ist es zunächst dem durchorganisierten Polizeiapparat überlegen.

Für die Brandenburger Polizei war „Rechts-Links“ in den letzten Monaten darüber ein stetiger Lernprozess. Und dieser Prozess hat zu immer neuen Veränderungen in der Einsatzkonzeption geführt. Heute sollen die Brandenburger Beamten dort eingesetzt werden, wo sie mit den protestierenden Bürgern des Landes konfrontiert sind. Die aus anderen Bundesländern eingesetzten geschlossenen Einheiten kümmern sich nach Möglichkeit um die Rechtsextremisten. Früher war es eher andersherum – und das wurde als Fehlerquelle erkannt. Auch aus anderen Fehlern versucht die Polizeiführung zu lernen. Manchmal erfährt davon die Öffentlichkeit wenig, manchmal kommt der Lernprozess auch erst nach massiver öffentlicher Kritik. Im Großen und Ganzen werden solche Einsätze allerdings allmählich Routine. Und so verlaufen die Einsatzbesprechungen auch schon ganz geschäftsmäßig. Man schaut sich die Karte mit den neuralgischen Punkten an, diskutiert noch ein wenig über die Zahl der benötigten Beamten - in Wittstock werden mit Sicherheit wenigstens 500 Polizeiangehörige zu mobilisieren sein. Entscheidend für die jeweilige Einsatzkonzeption ist die Summe aller Informationen, die die Polizei über die unterschiedlichsten Kanäle erreicht und die dann zu einer Analyse der potenziellen Gefahren führt. „Was sagt der Verfassungsschutz dazu“, wird dann beispielsweise gefragt, die eigenen Beobachtungen der Internet-Aktivitäten fließen in ein sogenanntes Lagebild ein und natürlich ist man auch in ständigem Kontakt mit den Berliner Kollegen und studiert die Fahrpläne der Regionalzüge. Aber ein jeder ist sich dabei auch bewusst, dass solche Vorinformationen immer nur eine Annäherung an die zu erwartenden Ereignisse sein kann. Viel, viel zu viel an Gefühlen ist bei solchen Einsätzen im Spiel, als dass nicht mit Überraschungen gerechnet werden muss. Daran aber hat man sich inzwischen auch gewöhnt und darüber gibt es auch wenig zu debattieren. Als dann die Einsatzbesprechung beendet ist, gewissermaßen im privaten Kreis, wird dann allerdings deutlich, dass die Routine eine Art Schutzschild ist. Dahinter steckt verhaltener Groll und auch ein wenig Verbitterung. Bei „Rechts-Links“ kann der Polizist nur verlieren. Die hasserfüllten Blicke der Rechtsradikalen, die Vorwürfe der engagierten Antifaschisten wären ja zu ertragen. Aber wenn alles gut läuft, sagt jeder, das sei doch selbstverständlich. Und wenn etwas schiefläuft, sagen alle, die Polizei habe versagt. Also wird das wieder so ein Tag der Arbeit am 1. Mai in Wittstock, an dem es nichts zu gewinnen gibt. Davon steht in der Einsatzkonzeption natürlich nichts.

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