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Einzelfall-Dokumentation: Der Fall Axel Henschke (Linke)

Der Wortlaut des Berichts der unabhängigen Expertenkommission zur Überprüfung der Abgeordneten des brandenburgischen Landtags zum Fall.

Herr Axel Henschke, geboren am 15. Mai 1952, wuchs in Frankfurt (Oder) auf, wo er die Schulausbildung und eine Facharbeiterausbildung mit Abitur absolvierte. Im Jahr 1972 wurde er Mitglied der SED. Am 1. August 1971 trat Herr Axel Henschke in das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder), als Berufssoldat ein. Handschriftlich verpflichtete er sich zur hauptamtlichen Mitarbeit beim MfS am 2. August 1971 für eine Gesamtdienstzeit von mindestens 10 Jahren. Eine Tätigkeit für das MfS war für ihn selbstverständlich und auch vom familiären Hintergrund her begründet. Überdies versprach er sich davon einen Studienplatz und berufliche Perspektiven. Zunächst war er als Wachposten im Büro der Leitung der Bezirksverwaltung eingesetzt, wo er nach eigenen Angaben im Objektschutz am Ausbildungsobjekt der Bezirksverwaltung tätig war. Ab Januar 1972 war er Wachposten in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Frankfurt (Oder). Den von der BStU zur Verfügung gestellten Unterlagen ist nicht zu entnehmen, wie diese Aufgabe im Innern der U-Haftanstalt im Falle von Herrn Axel Henschke konkret ausgestaltet war. Auch die Anhörung von Herrn Axel Henschke am 16. Juni 2011 hat hierzu keine wesentlichen Erkenntnisse gebracht. Nach seinen Angaben hat er Dienst im Wachturm, auf dem Zellengang, am Zugangstor sowie im Freigang des Gefängnisses getan. Auf Nachfragen der Kommission zu den Abläufen in der U-Haftanstalt, insbesondere zur regelmäßigen Sichtkontrolle der Häftlinge durch die Wachposten und zu den Zeiträumen, in welchen diese erfolgte, beantwortete Herr Axel Henschke mit dem Hinweis, dass es lediglich seine Aufgabe gewesen sei, für Ruhe zu sorgen, ansonsten habe er an diese Tätigkeit keine Erinnerung. Nach 14 Dienstmonaten wurde Herr Axel Henschke am 1. Oktober 1972 zum Gefreiten befördert. Durch eine längere Erkrankung im Jahre 1972 wurde die Diensttauglichkeitsstufe von Herrn Axel Henschke herabgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass die vorgesehene Delegierung zum Hochschulstudium durch das MfS nicht mehr in Betracht gezogen wurde. Da die Inaussichtstellung eines Studienplatzes ein wesentlicher Beweggrund für Herrn Axel Henschke war, sich für eine hauptamtliche Tätigkeit für das MfS zu verpflichten, bewog ihn dies, schriftlich um seine Entpflichtung beim MfS nachzusuchen. Diese Gesuche spiegeln die Desillusionierung eines jungen Menschen im Hinblick auf eine Tätigkeit beim MfS wider. Trotz des Versuchs von Vorgesetzten, ihn von seinem Entschluss abzubringen, hielt er an seinem Entlassungsgesuch fest, dem dann auch nachgekommen wurde. Ein schriftlicher Vorschlag zur Entlassung sieht als Entlassungsgrund die „Nichteignung für den Dienst im MfS“ vor. Am 31. August 1973 wurde Herr Axel Henschke dann aus dem MfS entlassen. Nach seinem Ausscheiden aus dem MfS war Herr Axel Henschke zunächst als Wartungsmechaniker im Kombinat VEB Halbleiterwerke Frankfurt (Oder) tätig und bekleidete seit dem 1. September 1976 die Funktion des hauptamtlichen FDJ-Sekretärs an der Berufsschule des Halbleiterwerkes Frankfurt (Oder). Wegen seines funktionsbezogenen Zugangs zu Jugendlichen, der aus Sicht des MfS sowohl im Hinblick auf die Informationsbeschaffung als auch für deren politische Beeinflussung dienlich sein konnte, bestand seitens des MfS ein Interesse an einer erneuten Zusammenarbeit. Herr Axel Henschke verpflichtete sich ausweislich der Unterlagen des BStU zu einer inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS als Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit (GMS) durch Handschlag am 24. März 1977 zunächst für die Abteilung XVIII der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder), deren Aufgabe die „Sicherung und Kontrolle der Volkswirtschaft, einschließlich des Außenhandels und des FDGB“ war. In einer internen Einschätzung wenige Monate nach seiner Verpflichtung wird dem GMS eine „...hohe Einsatzbereitschaft, Zuverlässigkeit und die Fähigkeit, selbstständig hemmende Faktoren aus operativer Sicht zu werten und Maßnahmen zur Beseitigung einzuleiten.“ bescheinigt. Am 9. Dezember 1977 erfolgte während eines Treffens mit dem GMS eine „Übergabe“ an die Abteilung VIII, weil er mittlerweile beruflich in die FDJ-Kreisleitung Frankfurt (Oder) gewechselt war, die nicht zum Zuständigkeitsbereich der Abteilung XVIII gehörte. Die Abteilung VIII war zuständig für die „Beobachtung, Ermittlung und Festnahme von Personen sowie Sicherung der Transitwege“ – also die Ermittlungsabteilung des MfS. Bei diesem Treffen erklärte Herr Axel Henschke ausweislich der Unterlagen seine Bereitschaft, weiterhin mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Wenige Monate später, am 29. März 1978, verpflichtete sich Herr Axel Henschke erneut, diesmal handschriftlich, zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS als Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit und die Durchdringung des Verantwortungsbereiches (IMS) mit der Maßgabe, dass er den Decknamen „Ingo Köhler“ benutzen werde. Vom gleichen Tage datiert eine mit „Ingo Köhler“ unterzeichnete Erklärung über die Einführung in eine konspirative Wohnung und entsprechende Verhaltensregeln hierzu. Vereinbart wurde auch eine gemeinsame Losung zur Personenerkennung. Ausweislich des „Berichts über die erfolgte Verpflichtung“ des IM „Ingo Köhler“ wurde auch eine Telefonnummer für die Kontaktaufnahme mitgeteilt. Diese formale Verpflichtung war dem Ziel geschuldet, Herrn Axel Henschke als Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz (IME) auszubilden und einzusetzen. IME erhielten konkrete Ermittlungsaufträge und hatten über eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen zu berichten. Ihre Anzahl war sehr begrenzt. Von den durch die MfS - Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) insgesamt geführten ca. 7 600 inoffiziellen Mitarbeiter waren nur 481 IME. Deren Ermittlungsabteilung VIII verfügte über etwa 200 IM, davon 59 IME. Bei einem ersten Treffen am 7. April 1978 in der konspirativen Wohnung „M. Hoffmann“ wurden ausweislich des Treffberichts Grundlagen der Konspiration und Geheimhaltung, der Arbeit mit konspirativen Dokumenten und operativen Legenden sowie der Beobachtung, Ermittlung und des Aufbaus und Inhalts eines Ermittlungs- und Informationsberichts besprochen. Der Treff dauerte dreieinhalb Stunden. Auch ein zweites Treffen am 19. April 1978 ist dokumentiert, bei welchem es um Auftragserteilungen und das Ansprechen von Auskunftspersonen ging. Dieser Schulungstreff dauert 2 Stunden. Ob ein weiteres Treffen in der konspirativen Wohnung – so wie schriftlich vorgesehen – stattgefunden hat, ist den der Kommission vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Herr Axel Henschke gab in der Anhörung am 28. Juni 2011 an, dass dies allerdings auch nicht notwendig gewesen sei, da er Auskünfte auch offiziell und dienstlich an den Kontaktoffizier des MfS weitergegeben habe. Mit Datum vom 23. Oktober 1978 berichten die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) des MfS über die Einstellung des IMSVorganges „Ingo Köhler.“ Grund hierfür war der Besuch der Parteihochschule der SED durch Herrn Axel Henschke seit September 1978, der einer hauptamtlichen Tätigkeit für die SED gleichkam. Wegen der klaren Über- und Unterordnung von SED und MfS war eine inoffizielle Zusammenarbeit mit SED-Kadern regelmäßig ausgeschlossen. Eine erneute Verpflichtung zur inoffiziellen Mitarbeit von Herrn Axel Henschke für das MfS als GMS erfolgte am 1. Februar 1984 im Besucherraum der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder), diesmal für die Abteilung XX, welche zuständig war für die Sicherung und Kontrolle von Staatsapparat, Leistungssport, Kirchen, Kultur und Opposition. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Axel Henschke 2. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung. Eine undatierte Beurteilung bestätigte dem GMS „Ingo Köhler“ eine kluge Umsetzung von Seiten des MfS gegebener Hinweise „unter Nutzung seiner Schlüsselposition“ und unter Einhaltung der Konspiration. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 27. November 1984 über ein außerplanmäßiges Treffen mit dem GMS „Ingo Köhler“ nahm dieser dabei zu verschiedenen Vorfällen und Entwicklungen in der Bezirksleitung der FDJ Stellung. So unter anderem zu Vorkommnissen im Rahmen einer Zollkontrolle, bei der ein FDJ-Mitarbeiter wegen Verstoßes gegen Zollbestimmungen beim polnischen Zoll aufgefallen war, zu kaderpolitischen Entscheidungen und weiteren Perspektiven konkrete Mitarbeiter der FDJ-Bezirksleitung betreffend, zur „verantwortliche[n] Einbeziehung der Person [Name geschwärzt] in die Vorbereitung des Pfingsttreffens `85 in Frankfurt (O.)“ und zur „unklare[n] politische[n] Haltung des Ehepartners“ einer Mitarbeiterin der FDJ-Bezirksleitung in Frankfurt im Zusammenhang mit dienstlich begründeten Westkontakten und der Auswertung des Westfernsehens“. Überdies machte er auch Angaben zur „Rolle und Haltung des 1. Sekretärs der FDJ-Bezirksleitung“. Laut Auskunft des BStU liegen 4 Treffberichte der Führungsoffiziere während der GMS/IMS-Tätigkeit 1977/78, ein Bericht des Führungsoffiziers nach Informationen des GMS und 2 Treffberichte während der GMS-Tätigkeit 1984 bis 1986 in den Stasiunterlagen vor. In den Unterlagen des BStU befindet sich eine Quittung über 45 Mark für ein Präsent aus Anlass des Geburtstages des GMS „Ingo Köhler“. Herr Axel Henschke machte auf Befragen hierzu die Angabe, dass solche Geburtstagsgeschenke des MfS wegen seiner Funktion als 2. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung üblich waren. Mit Beschluss vom 29. August 1986 wurde die Archivierung des GMS-Vorgangs „Ingo Köhler“ bestätigt. Als Abbruchgrund ist dessen „Berufung ins Sekretariat SED-BL“ (SED-Bezirksleitung) genannt. Im Abschlussbericht und Vorschlag zur Einstellung und Archivierung des GMS unter dem Datum 27. August 1986 wird unter anderem aufgeführt, dass dieser „auch im Rahmen einer Kombination zum Abschluss des OV [Operativer Vorgang] ‚Mazda’ positiv wirksam“ wurde. Es wird darauf verwiesen, dass „aktuelle Probleme zur Wahrung sicherheitspolitischer Interessen … künftig im Rahmen seiner Verantwortung als leitender Funktionär auf der Basis des parteipolitischen Zusammenwirkens und offizieller Kontakte geklärt“ werden können. In der Anhörung des Abgeordneten Herr Axel Henschke am 28. Juni 2011 erklärte dieser, dass er sich weder an die Verpflichtung durch Handschlag noch an die Zielsetzung seiner Verpflichtung, nämlich Berichte über Jugendliche in seinem Umfeld zu liefern, erinnern könne. Auch sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er als Ermittler-IM eingesetzt werden sollte. Im Übrigen habe er auch Auskünfte im dienstlichen Kontakt zum MfS gegeben. Gespräche hätten sowohl in seinem Dienstzimmer als auch außerhalb, auf der Straße stattgefunden. Auf Nachfrage teilte er überdies mit, dass er die Adresse der konspirativen Wohnung, in welcher er sich mit seinem Führungsoffizier getroffen hatte, zwar kenne, diese aber wegen seiner damals eingegangenen Schweigeverpflichtung nicht nennen werde. Zur Frage, ob er außer den Geschenken zum Geburtstag weitere geldwerte Vorteile vom MfS erhalten habe, antwortete Herr Axel Henschke nicht. Die dargelegten Sachverhalte ergeben sich aus den Unterlagen, die vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik aus den dortigen Archiven der Kommission zugänglich gemacht worden sind, sowie aus den Einlassungen von Herrn Axel Henschke während seiner Anhörungen durch die Kommission zur Überprüfung von Abgeordneten des Brandenburgischen Landtags am 16. und 28. Juni 2011 in Potsdam. Zusammenfassung Herr Axel Henschke war aufgrund seiner eigenen Verpflichtung vom 1. August 1971 bis zum 31. August 1973 hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), zunächst als Wachposten im Büro der Leitung der Bezirksverwaltung, eingesetzt im Objektschutz am Ausbildungsobjekt der Bezirksverwaltung. Ab Januar 1972 war er als Wachposten in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Frankfurt tätig. Das Dienstverhältnis wurde vorzeitig seitens des Staatssicherheitsdienstes, auf Betreiben von Herrn Axel Henschke, beendet, da insbesondere ein wesentlicher Beweggrund für den Eintritt in das MfS, die Aussicht auf eine Delegierung zu einem Hochschulstudium durch das MfS, wegen einer krankheitsbedingten Herabsetzung seiner Diensttauglichkeitsstufe, weggefallen war. Zu einer inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS als Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit (GMS) verpflichtete sich Herr Axel Henschke durch Handschlag am 24. März 1977. Eine erneute, diesmal handschriftliche Verpflichtung als Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereiches (IMS) „Ingo Köhler“ erfolgte am 29. März 1978, da das MfS plante, ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter im besonderen Einsatz (IME) auszubilden und einzusetzen. Als IM berichtete er auch über Personen, insbesondere aus seinem beruflichen Umfeld. Der IM-Vorgang wurde dann im Oktober 1978 durch das MfS eingestellt, weil Herr Axel Henschke zu diesem Zeitpunkt als hauptamtlicher SED-Funktionär an der Parteihochschule war, was eine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS ausschloss. Eine erneute inoffizielle Zusammenarbeit mit dem GMS „Ingo Köhler“ wurde am 1. Februar 1984 begründet. Diese endete mit dem Einstellungsbeschluss des IMVorgangs vom 29. August 1986 wiederum wegen der Aufnahme eines hauptamtlichen SED-Parteiamtes von Herrn Axel Henschke in der Bezirksleitung der SED Frankfurt (Oder).

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