Nach dem Rückzug von Matthias Platzeck: Der Respekt bleibt
Matthias Platzeck hinterlässt Lücken, in der Staatskanzlei wie am Flughafen BER. Dort soll ihm wohl ein Fachmann folgen
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Potsdam - Das war’s. Nur zehn Minuten hat Matthias Platzeck gesprochen, hier an diesem Montagabend im Saal 324 des Landtages auf der Pressekonferenz kurz nach 19 Uhr, wo sonst die SPD-Fraktion tagt und sich nun Dutzende Fernsehteams versammelt haben, wo Brandenburgs zuvor die Landtagsfraktion und den erweiterten Landesvorstand über seinen Rücktritt zum 28.August von allen Führungsämtern informierte, als er ganz auf seine Art schnell zum Ende kommt und an Dietmar Woidke übergibt, unprätentios. „Ich will ja nicht so viel Gesumms drum machen“, sagte er schlicht. Einer, dem äußerlich der Schlaganfall vor sechs Wochen nicht mehr anzumerken war, der mit einfachen, klaren Worten und sicherer Stimme sprach. Klar, er habe mit sich gerungen, die „Lebensentscheidung“ falle ihm selbst in diesen Minuten nicht leicht, hatte er zuvor erklärt. Und es auf einen kurzen Nenner gebracht, warum er, gemessen am eigenen Credo, an seinem Amtsverständnis am Ende trotzdem keine Wahl hatte. „Der Arzt hat mir gesagt, du kannst mit 40/50 Stunden pro Woche noch zehn Jahre weitermachen, aber 80 Stunden pro Woche - vergiss es“, sagte Platzeck - und er fügte hinzu: „Das Amt eines Ministerpräsident ist in 40/50 Stunden pro Woche nicht zu absolvieren.“
Das Risiko sei einfach zu groß, zumal es in der Familie Vorbelastungen gab, mehrere Schlaganfälle, seine Familie, seine erwachsenen Kinder mit ihm Tacheles geredet hätten. Und Taktieren, etwa die Bundestagswahl im Oktober abzuwarten, das sei nicht seine Art, sein Ansatz von „Wahrhaftigkeit“. „Man solle nie glauben, auch in der Politik, unersetzbar zu sein. Demokratie hat immer mit Mandaten auf Zeit zu tun.“ Punkt. Und dann scherzte er, wie man es von diesem fröhlichen Typen seit Jahren kannte: Wie Manfred Stolpe habe er knapp elfeinhalb Jahre regiert, Woidke, sein Wunsch-Nachfolger, habe damit bis zur Landtagswahl 2024 zu regieren.
Vorher, hinter verschlossenen Türen bei den eigenen Genossen, hatten sich bewegende Szenen abgespielt. „Alle hatten einen Kloß im Hals, auch er“, sagt einer, der dabei war. Mancher verließ den Raum mit feuchten Augen, stumm, ergriffen von dem Abgang des Mannes, der Land und Partei prägte, mit seiner Populariät aber auch Wahlsiege der SPD sicherte. Dass er nach elf Jahren sein Amt als Brandenburgs Ministerpräsident aufgibt, bewegte an diesem Montag viele Politiker in Berlin, Brandenburg und auf Bundesebene. Und es warf Fragen auf, wie es in Brandenburg, aber auch am Flughafen BER nun weitergehen könnte.
BRANDENBURGER POLITIK
Die Opposition zollte Platzeck Respekt, wies aber auf das schwierige Erbe für Woidke hin. „Es ist eine Zäsur für Brandenburg“, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Platzeck hinterlasse mit dem BER-Airport, dem Notstand im Bildungssystem, aber auch der Braunkohle-Problematik einen „Berg von Problemen“. FDP-Parteichef Gregor Beyer und FDP-Fraktionschef Andreas Büttner erklärten, Platzeck habe seine Aufgaben „mit viel persönlichem Einsatz, aber leider mit wenig Erfolg“ ausgefüllt. „Wir wünschen ihm eine baldige Genesung und viel Kraft für die Zeit nach der Politik.“ CDU-Fraktionschef Dieter Dombrowski sagte: „Ich nehme den Schritt von Ministerpräsident Matthias Platzeck mit Respekt zur Kenntnis.“ Und er versicherte, ein neuer Ministerpräsident Dietmar Woidke wird von uns „eine faire Chance“ erhalten. Und Parteichef Michael Schierack wies darauf hin, dass der Nachfolger „ ein schwieriges Erbe“ antritt, etwa mit dem Flughafen BER und der schlechten Bildungspolitik. In SPD, aber auch bei den Linken wurde der angekündigte Rücktritt mit Betroffenheit aufgenommen. Von Koalitionspolitikern hieß es, es seien keine Auswirkungen auf das rot-rote Bündnis zu erwarten. „Ich bin sicher, dass die Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Woidke verlässlich fortgesetzt wird“, sagte Linken-Fraktionschef Christian Görke.
FLUGHAFEN
Fest steht, das Platzeck auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft zurücktritt – obwohl er theoretisch auch weitermachen könnte, ohne Regierungschef zu sein. Das Amt des Aufsichtsratschef hatte er im Januar 2013 als Nachfolger von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) übernommen, der Stellvertreter blieb. Er werde noch die nächste Aufsichtsratssitzung am 16. August leiten, sagte Platzeck dazu. Und bestätigte, dass Woidke nicht in den Aufsichtsrat gehe. Berlin und Brandenburg streben nach PNN-Recherchen offenbar an, einen externen Fachmann oder eine Fachfrau ins Gremium zu entsenden – wie einst den Manager Hans-Olaf Henkel. Der Bund als Miteigentümer müsste dem aber zustimmen. Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers oder Finanzminister Helmuth Markov könnten den Vorsitz übernehmen – falls die anderen Gesellschafter die Linken akzeptieren. Der Bund als dritter Gesellschafter will Platzecks Schritt – noch – nicht kommentieren. Anfang des Jahres war auch Staatssekretär Rainer Bomba aus dem Bundesverkehrsministerium, der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, gefragt worden, ob er an die Spitze rücken wolle, was er aber abgelehnt hat.
Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass die SPD-geführten Länder Berlin und Brandenburg einen Christdemokraten als Aufsichtsratschef akzeptieren könnten.
Für den 31. August ist bereits eine Gesellschafterversammlung vorgesehen, weil die Amtszeiten von Platzeck und Wowereit nach fünf Jahren planmäßig enden. Die folgende Aufsichtsratssitzung ist für den 25. Oktober terminiert. Dann soll der Terminplan bis zur Eröffnung des Flughafens vorgelegt werden.
BERLINER POLITIK
SPD-Landeschef Jan Stöß erklärte: „Die Entscheidung erfüllt mich mit tiefem Bedauern.“ Platzeck sei „auch für die Region Berlin-Brandenburg durch seine vermittelnde und engagierte Art ein wahrer Gewinn“ gewesen. Seinen „vollsten Respekt“ zollte der CDU-Fraktionschef Florian Graf: „Ungeachtet aller politischen Unterschiede steht selbstverständlich die Gesundheit an erster Stelle. Platzecks Einsatz für das Land Brandenburg ist wohl über die Parteigrenzen hinweg anerkannt.“ Auch der Parteichef der Linken, Klaus Lederer, zollte Platzeck Respekt. Er kritisierte, der Bund als BER-Mitgesellschafter sei bisher „nicht geneigt gewesen, sich in Verantwortung nehmen zu lassen“. Es gehe künftig um ein „vernünftiges Maß an Kontrolle“. Platzeck und Brandenburg hätten sich für einen adäquaten Lärmschutz eingesetzt. „Das muss weiterhin gewährleistet sein.“
BUNDES-SPD
In der Bundes-SPD wurde der Schritt mit großer Betroffenheit kommentiert. Der Rückzug sei nicht nur für die SPD, sondern für die Politik insgesamt ein herber Verlust, hieß es. Frank-Walter Steinmeier, Fraktionschef im Bundestag, sagte: Als sein Freund wünsche ich Matthias Platzeck nun die nötige Ruhe und Erholung sowie Inspiration und Tatkraft für den neuen Lebensabschnitt, der nun vor ihm liegt. Was er macht, ließ Platzeck, der sein Direktmandat im Landtag behalten wird, offen. Er wolle weiter alles tun, „um so fit zu werden, wie ich es mir vorstelle.“ Den Rest werde man sehen, er sei ja nicht der „Planungstyp“. Sprach´s, mit funkelnden Augen.
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