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Brandenburg: Hier forsche ich und kann nicht anders

Friedel Damm sucht Luthers Nachkommen. Seit der Reformator zum Kinohelden wurde, hat sie mehr zu tun denn je

Stahnsdorf. Der Stammbaum der Familie Luther ist mittlerweile 58 Meter lang. Und er wächst weiter. Der Luther-Film wirkte wie Dünger. Als Friedel Damm vor 20 Jahren anfing, sich mit den Nachkommen des Reformators zu beschäftigen, reichten zwei Meter Zeichenpapier, um darauf Schnipsel mit allen Luthers und ihren Lebensdaten zu kleben. Die kleine Frau, hellblaues Hemd, dunkelblaue Samtweste, ist 66 Jahre alt und wohnt in Stahnsdorf bei Berlin. In ihrem Einfamilienhaus hat sie sich im ehemaligen Kinderzimmer zwischen alten Stofftieren, Haushaltsbüchern und Gedenktellern der Freiwilligen Feuerwehr ein Büro eingerichtet. Hier steht sozusagen die Deutschland-Zentrale der Luther-Ahnenforschung: Ein Fujitsu-Siemens-Computer mit 9000 Datensätzen.

„Das war der Anfang“, sagt die Spurensucherin und zieht einen gelben Ordner aus dem Schrank. In einer Klarsichtfolie steckt ein „Ahnenpass“, den die Mutter ihres Mannes Emil in den dreißiger Jahren unter den Nazis ausgefüllt hat. 1982 hat die Schwiegertochter „da mal reingeblättert“ und entdeckte auf einem der hinteren Blätter Margarete Luther, geboren 1806 in Barchfeld. Und Barchfeld liegt um die Ecke von Möhra, und aus Möhra kam die ganze Luther-Sippe.

Schon vor dieser Entdeckung waren die Damms religiös, gingen oft in die Kirche, in eine evangelisch-lutherische Freikirche, weil ihnen die besondere, fast katholische Strenge der dort vertretenen Meinungen gefiel. Aber erst mit dem Blick in den Ahnenpass „ging der Wahnsinn los“, sagt Friedel Damm. Sie kriegte raus, dass es auf dieser Welt „Lutheriden“ gibt, ein Familienverein mit 300 Luther-Nachkommen und dass die zwischen „echten“ und „unechten“ Luther-Nachfahren unterscheiden, zwischen vielen verwirrenden Linien. Friedel Damm läuft in den Keller und kommt mit mehreren Rollen von Plänen zurück. Was sie dann mit leuchtenden Augen unter dem Luther-Gemälde auf dem Perserteppich im Wohnzimmer ausbreitet, sieht aus wie die Schalttafel einer gigantischen Computeranlage. Mit unzähligen Verästelungen, winzigen Buchstaben und kleinen bunten Kästchen. Dass sich Lila häuft, zeigt an, dass unter den späteren Luthers viele Pfarrer waren, auch gelb sieht man viel: auch etliche die Beamten gab es. Auf einer anderen Luther-Weltkarte kann man ablesen, dass zum erweiterten Netz der eh schon weit verzweigten Luthers nicht nur die Künstler-Familie Cranach gehört, sondern auch Goethe und die heutige Queen von England.

Margarete Luther jedenfalls, die Ur-Ur-Ur-Ur-Großmutter von Emil Damm gehört in diesem komplizierten Geflecht zu den „unechten“ Luther-Nachfahren. Sie stammt nicht direkt vom Reformator und seinen neun Kindern ab, sondern von einem Cousin des Thesenschreibers. „Ganz amüsant“, findet Emil Damm die Entdeckung, die das Leben seiner Frau umgekrempelt hat. Er allerdings spricht lieber über seine frühere Arbeit bei der Berliner Commerzbank.

Die Damms sind heute auch Lutheriden, Emil ist Schatzmeister des Vereins, Friedel kümmert sich um die genealogische Forschung. Sechs Jahre hat sie gebraucht, um die handschriftlichen Namen und Lebensdaten, die ihr Vorgänger bei den Lutheriden ihr gegeben hat, in den Computer einzuspeisen, in Archiven Lebenswege zusammenzupuzzeln und alte Kirchenbücher zu wälzen. Seit zehn Jahren ist das ihre Hauptbeschäftigung, vorher, bevor Luther in ihr Leben einbrach, hat sie Johanniterhelfer ausgebildet. Das könnte sie sich jetzt nicht mehr leisten, rein zeitlich. Seit Luther im Kino predigte, bekommt sie fünf bis zehn Anfragen in der Woche von Leuten, die meinen auch sie hätten Luther-Blut in den Adern. Luther ist schick geworden.

„Manchmal sind es zwei Mails am Tag.“ Oft würden Briefe beginnen mit: „Meine Großmutter hat erzählt, dass da mal ein Luther in der Familie war... “ Friedel Damm wirft dann „Brother’s Keeper“ an, ein spezielles Software-Programm für die Ahnenforschung, und gibt den Namen des angeblichen Luther-Verwandten ein. Manchmal spuckt die Maschine eine Verbindung aus. Aber der letzte direkte männliche Nachkomme des Reformators ist 1749 gestorben, sagt die Genealogin. Denn die neun Kinder von Martin Luther und Katharina von Bora waren nicht so produktiv. Nur zwei bekamen Nachwuchs. „Wer heute Luther heißt, kann also gar nicht direkt von Martin abstammen“, sagt Friedel Damm, sondern wahrscheinlich von Martins Geschwistern oder Cousins. Auch der frühere Berliner Gesundheitssenator Peter Luther stammt nicht von Martin direkt ab, sondern von seinem Bruder Jakob.

Manchmal stürzen tragende Balken in Familienidentitäten ein, sagt Friedel Damm. Wenn ihr Computer nichts findet. Das sei dann schon traurig. Es gäbe auch hartnäckige Fälle, wie jener Amerikaner, der richtig sauer war, als sie ihm das negative Testergebnis mitteilte. Aber meistens mache ihr die Arbeit Spaß, man lerne so viele Menschen kennen.

Angela Marquardt von der PDS zum Beispiel. „Eine richtig tolle Frau“, sagt Emil Damm. Hätte er nicht gedacht. Als das ZDF durch eine Zuschauerbefragung die besten Deutschen suchte, waren sie als Unterstützer ins Tempelhofer Studio eingeladen worden: Die Damms für Luther, Angela Marquardt für Marx. Luther wurde zweiter, nach Konrad Adenauer.

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