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Brandenburg: Nächster Halt: Shakespeare

Eine internationale Schauspielertruppe macht U-Bahnwaggons zur Bühne. Die Fahrgäste sind erst irritiert, dann fasziniert. Und zücken die Handys.

Berlin  - Es geht los mit einer Tragödie. Natürlich. Paul Marino liegt auf dem dreckigen Boden der U8 am Moritzplatz und versucht zu sterben. Vorher hat er schon ordentlich Radau gemacht – sich gegen die U-Bahn-Türen geschmissen, das Gesicht zu einer Fratze verzogen. „I die“, ruft er und sackt dann in sich zusammen. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet.

Erster Eindruck: Ein Irrer oder ein Typ auf Drogen. Vielleicht auch beides. Dabei geht es eigentlich um Shakespeare. Genauer gesagt um Romeo und Julia, Akt fünf, Szene drei. Marino ist Schauspieler, ein Theaterverrückter mit Hang zur besonderen Bühne. Im Moment ist er in der U-Bahn zwischen Kottbusser Tor und Alexanderplatz unterwegs. Er und seine Leute zerren Theater dorthin, wo man eigentlich andere Dramen gewöhnt ist: In muffige, überfüllte U-Bahnwaggons. Am Ende gibt es immer Applaus und klimperndes Münzgeld in Marinos Mütze.

Der 30-Jährige New Yorker – Dreitagebart, zerrissene Jeans, Ringelsocken – steht im U-Bahnhof Kottbusser Tor in Kreuzberg. Neben ihm haben sich Ana Mena, 27, aus Sevilla und Sebastian Witt, 22, aus Hellersdorf postiert – sie sind Marinos neue Schauspiel-Crew und warten auf den nächsten Zug. Seit eineinhalb Jahren tourt Marino schon mit wechselnden Partnern durch die U-Bahnhöfe dieser Welt und spielt die gesamte Palette hoch und runter. Von Macbeth über Hamlet bis King Lear. „Shakespeare is a Rockstar, it’s all about him“, sagt er. Wenn man Marino so reden hört, erinnert er ein bisschen an einen verknallten Jungen. Seine Stimme geht dann hoch und seine Gesten werden groß. Aber trotz der ganzen Liebe sieht er heute wie ein begossener Pudel aus, draußen vor dem Bahnhof hat es wie aus Eimern geregnet. Unter der nassen Hose trägt Marino Knieschützer gegen die blauen Flecken. Bei bis zu 20 Szenen an einem Spieltag mit kräftigem Körpereinsatz braucht es das. Drama kann ein Knochenjob sein.

Aber warum immer Shakespeare?

Immerhin gibt es den Theaterfürsten mittlerweile überall. Auf unzähligen Parkveranstaltungen, sogar auf T-Shirts und auf Kaffeetassen. „Die Leute müssen wissen, dass jetzt Theater kommt. Bei Romeo und Julia, Hamlet und Co merkt es jeder.“ Am besten seien jedoch die Blicke, findet Marino. Dieser Moment der Überraschung, danach ist er süchtig. Es ist dann, wenn die Menschen sich vom ersten Schreck erholt haben. Wenn es wie eben am Moritzplatz durch die U-Bahn raunt: „Der ist nicht bekloppt, der ist bloß Schauspieler“ und die ersten Handykameras gezückt werden. Die meisten Menschen sind fasziniert, lachen und freuen sich – und so gut wie alle schauen hin. Eine Gruppe von Jugendlichen hatte eben noch herumgealbert und die Schauspieler amüsiert verhöhnt. Aber Marino findet: „Reaktionen sind immer gut, gegen die anderen könne man kaum etwas machen“. Gemeint sind die wenigen U-Bahnfahrer, die einfach trotzdem weiter auf ihre iPhones starren und mit dem ganzen Trubel nichts zu tun haben wollen. Die schlimmste Erfahrung mit dem Publikum hat Marino aber vor ein paar Monaten in Boston gemacht. Damals warf ein Besoffener eine Flasche nach ihm. So etwas geht dann selbst „Mister Grenzüberschreitend“ zu weit.

Ausgedacht hat Marino sich die ganze Sache zusammen mit seinem Busenfreund Fred Jones. Sie bildeten das Theaterduo „Popeye and Cloudy“, über das auch die „New York Times“ schon berichtete. Aber weil Fred jetzt doch lieber ein Restaurant in New York betreibt und Marino nie still sitzen kann, tourt er mittlerweile allein durch die Welt. Zuletzt Rom, Moskau, London und Venezuela – Marino rauscht durch die Welt, wie die Züge in denen er spielt. Als er vor ein paar Monaten nach Berlin kam, hatte er kaum einen Cent in der Tasche, kein Bett zum Schlafen und nicht wirklich einen Plan. Mittlerweile spielte er schon am Englischen Theater in Kreuzberg und kann sich mit dem U-Bahnspiel gut über Wasser halten. Bis zu 30 Euro kann eine einzige Szene bringen.

Zwei Züge fahren durch, sie kommen nicht infrage. „Zu wenig Platz, zu viele Fahrräder“ entscheidet Marino. Er ist nervös. Nicht wegen des nächsten Auftritts gleich, es ist wegen der „Bullen“. Neulich haben sie ihn in ein Kabuff gezerrt und ordentlich ausgeschimpft, erzählt er. Eine Frau hatte gesehen, wie Marino mit einem Plastikmesser herumgefuchtelt hatte und die Notbremse gezogen. Später musste er den Polizisten erklären, dass er doch nur Schauspieler sei. So was wie eine Lizenz gibt es dafür nicht. Marino lacht. Dann rauscht der nächste Zug in den Bahnhof. Es geht los, sie schwärmen aus. „Schauspieler, Schauspieler“, ruft Marino auf Deutsch. Dann schließen sich die Türen, und der Vorhang geht wieder auf.

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