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Brandenburg: „Potsdam wurde zu einem beliebten Ziel für hohe Staatsgäste“

Ein Brandenburger der ersten Stunde: Hans Otto Bräutigam erinnert sich – Auszüge aus seinem neuen Buch im exklusiven Vorabdruck

Hans Otto Bräutigam ist einer der Geburtshelfer des Landes Brandenburg. Von 1990 bis 1998 war er unter dem damaligen Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erster Justizminister des neu gegründeten Bundeslandes. Zuvor hatte Bräutigam sieben Jahre die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR geleitet. Über seine Zeit in Brandenburg hat der heute 84-Jährige ein Buch geschrieben, das am heutigen Montag erscheint und am Mittwoch, 25. März, bei einer Lesung mit Manfred Stolpe in der Bibliothek des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Am Neuen Markt 9 d, ab 19 Uhr vorgestellt wird. Exklusiv veröffentlichen die PNN bis dahin vorab täglich ausgewählte Passagen aus dem Buch.

Kurz vor Weihnachten erreichte die Hektik dieser ersten Wochen in meinem neuen Amt ihren Höhepunkt. Am 20. Dezember 1990 besuchten der italienische Staatspräsident Francesco Cossiga und Bundespräsident Richard von Weizsäcker Schloss Sanssouci in Potsdam, wo sie von Ministerpräsident Stolpe und einigen Mitgliedern seines Kabinetts empfangen wurden. (...) Potsdam wurde zu einem beliebten Ziel für hohe Staatsgäste, die die Bundesrepublik besuchten. (...) Wenig später flogen Ministerpräsident Stolpe und ich mit einem Bundeswehr-Hubschrauber zum Reichstag in Berlin. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um dort an der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages nach den ersten gesamtdeutschen Wahlen teilzunehmen. (...) Ich benutzte die Gelegenheit, am Rande der Sitzung kurz mit den PDS-Politikern Hans Modrow und Gregor Gysi, alten Bekannten aus DDR-Zeiten, zu sprechen, die von den anderen Fraktionen demonstrativ ignoriert wurden. Ich legte Wert darauf, mich von diesem Verhalten deutlich zu distanzieren. (...)

Am Abend nahmen die Ministerpräsidenten und ihre Begleitung an einem Weihnachtskonzert und einem Abendessen in der Münchener Residenz teil. Bei einem Gespräch in einer kleinen Brandenburger Runde erfuhr ich zum ersten Mal, dass Stolpe verdächtigt wurde, in der DDR Stasi-Kontakte unterhalten zu haben. Regierungssprecher Erhard Thomas, der mit von der Partie war, bereitete noch am gleichen Abend eine Erklärung des Ministerpräsidenten vor, in der Stolpe auf die „mehr als 1 000 Gespräche“ hinwies, die er im Auftrag der evangelischen Kirche mit Vertretern der Regierung der DDR und der SED geführt habe. (...)

Am nächsten Vormittag wurde die Ministerpräsidentenkonferenz fortgesetzt. Es gab wenig Streit. Das wichtigste Ergebnis war die Aufforderung an die Bundesregierung, eine finanzielle Bestandsaufnahme zur deutschen Einheit vorzunehmen. Die finanzielle Ausstattung der neuen Bundesländer sei völlig ungenügend, hieß es in der Erklärung. Besonders kritisch war die Lage des Landes Brandenburg. Nach Schätzungen der Experten deckten 1991 die eigenen Steuereinnahmen gerade mal zwanzig Prozent der notwendigen Ausgaben. (...)

Das erste Kabinett Stolpe war fast bis zum Ende der Legislaturperiode bemerkenswert stabil. Zwar traten immer wieder Spannungen zwischen den Koalitionspartnern und auch zwischen einzelnen Ministern auf. Doch wirkliche Kabinettskrisen hat es bis 1994, als Bündnis 90 in den Auseinandersetzungen über die Rolle Stolpes in der DDR die Koalition aufkündigte, nicht gegeben. (...)

Der Zusammenhalt der Ampelkoalition beruhte nicht zuletzt auf dem Führungsstil des Ministerpräsidenten. Stolpe ließ, wenn es Streit gab, die Beteiligten erst einmal ausreden und forcierte keine Einigung. (...) Im Laufe der Zeit nahm dabei seine Neigung zu, im Entscheidungsprozess des Kabinetts die Rolle des Moderators zu übernehmen, das heißt, er ließ seine Minister zunächst diskutieren, ohne selbst Position zu beziehen. (...) Mehr Mühe hatte damit die Landtagsfraktion der SPD. Einige Abgeordnete empfanden das ständige Bemühen um Konsens und Kompromiss als ein Ausweichen vor den harten Fragen.

(Fortsetzung folgt)

Hans Otto Bräutigam: Meine Brandenburger Jahre – Ein Minister außer Diensten erinnert sich. Das Buch hat 280 Seiten und ist im Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb) erschienen. Es kostet 22,99 Euro.

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