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Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD)

© dpa/Soeren Stache

Update

Ministerin zu spät informiert? : Brandenburger AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft

Schon im April wurde die Brandenburger AfD als gesichert rechtsextremistisch hochgestuft. Innenministerin Katrin Lange (SPD) will aber erst in dieser Woche davon erfahren haben. Ist das glaubhaft?

Stand:

Der brandenburgische Verfassungsschutz hat die Landes-AfD wie berichtet bereits am 14. April zur Partei mit „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ hochgestuft. Das bestätigte Innenministerin Katrin Lange (SPD) am Mittwoch im Innenausschuss des Potsdamer Landtags. Lange blieb auch nach mehreren Nachfragen von Abgeordneten bei ihrer Darstellung, dass sie davon erst in dieser Woche vom Leiter der Verfassungsschutzabteilung, Jörg Müller, in Kenntnis gesetzt worden sei.

„Ich habe den Einstufungsvermerk am 5. Mai erhalten“, sagte sie. Die Bewertung hätte ihr unverzüglich zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch das Parlament und die Öffentlichkeit hätten dann unverzüglich darüber informiert werden müssen. Lange hatte Müller am Dienstag daraufhin mit sofortiger Wirkung von den Dienstgeschäften entbunden. Bei der Hochstufung der AfD durch den Landesverfassungsschutz bleibe es.

Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erfuhr nach eigenen Angaben erst am Dienstag von der Hochstufung der AfD. Das sagte er am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Nicht hinreichend beantworten konnte Lange die Frage des Abgeordneten Rainer Genilke (CDU), wie es möglich sei, dass Lange, die das Ressort seit Herbst führt, über so einen langen Zeitraum nichts von der Einschätzung ihrer Abteilung gewusst haben will. Von dieser Einschätzung waren nach Informationen dieser Zeitung Verfassungsschutzchefs anderer Bundesländer in Kenntnis gesetzt worden. Auch soll es Gespräche zwischen Müller und Lange zur Einstufungsentscheidung gegeben haben.

Im Dezember 2024 gab es zudem mehrere Medienberichte, wonach der Landesverfassungsschutz die AfD nach Fertigstellung eines entsprechenden Gutachtens bereits im November hochstufen wollte. Dann seien dem Geheimdienst jedoch die Ankündigung der Neuwahlen im Bund sowie die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazwischengekommen. Man fürchte eine Klage der AfD wegen einer unzulässigen Beeinflussung des Bundestagswahlkampfs, hieß es.

„Ich bewerte keine Presseberichte“, sagte Lange im Ausschuss dazu nur. Seinerzeit hatte sie allerdings zugesagt, die Vorgänge zu prüfen. Bislang habe sie keine Zeit gehabt, den ihr nach ihrer Darstellung erst am Montag vorgelegten Vermerk der Abteilung ausführlich zu lesen, sagte Lange nun. Die Entscheidung, Jörg Müller, der parteiübergreifend Ansehen genießt und als gewissenhaft gilt, zu entlassen, sei keine politische. Sie habe nicht die Hochstufung der AfD verhindern wollen, so Lange. „Es geht nicht um inhaltliche Entscheidungen, sondern die Art der Kommunikation.“ Das nötige Vertrauen sei nicht mehr vorhanden gewesen.

Bisher wurde die AfD-Landespartei in Brandenburg als Verdachtsfall bewertet. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ordnet der jeweilige Landes-Verfassungsschutz die Partei bereits als gesichert rechtsextremistisch ein.

Verbotsverfahren gegen die AfD lehnt Lange ab

Am Freitag hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD im Bund als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Lange hatte skeptisch auf die Entscheidung reagiert. Die AfD müsse durch eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung und nicht auf juristischem Weg bekämpft werden, forderte sie mit Blick auf ein mögliches Verbotsverfahren.

Auch den Zeitpunkt der Bekanntgabe der AfD-Einstufung wenige Tage vor der Bildung der neuen Bundesregierung kritisierte sie als unglücklich. Ein Verbotsverfahren gegen die AfD lehnt Lange ab.

Streit über Unabhängigkeit des Verfassungsschutzes

Im Innenausschuss wurde auch über die Frage diskutiert, inwiefern der Verfassungsschutz als Abteilung des Innenministeriums unabhängig agieren kann. Langes CDU-Vorgänger Michael Stübgen hatte per Dienstanweisung 2023 verfügt, dass der Leiter der Verfassungsschutzabteilung über Einstufungen entscheiden kann – um den gerade von der AfD oftmals vorgebrachten Verdacht, der Verfassungsschutz arbeite nicht unabhängig, vorzubeugen.

Der Verfassungsschutz sei keine eigenständige Behörde, betonte Lange im Ausschuss. Oberster Dienstherr sei der Minister oder die Ministerin. Die Abteilung könne die Hochstufung zwar vornehmen, die deshalb auch Bestand habe, aber der Chef oder die Chefin des Ressorts und die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags müssten bei Fällen besonderer Bedeutung unverzüglich informiert werden. Deswegen seien die Dienstanweisungen für den Umgang mit ähnlichen Verfahren von ihr geändert worden. Zum Inhalt der neuen Anweisungen äußerte sich Lange nicht: Dies seien Verschlusssachen.

Jörg Müller wurde von Innenministerin Katrin Lange (SPD) als Leiter der Verfassungsschutzabteilung entlassen.

© dpa/Patrick Pleul

Der CDU-Abgeordnete Genilke bezeichnete dieses Vorgehen als „beispiellos“. „Die politische Unabhängigkeit des Verfassungsschutzes ist ein hohes Gut und zwingend notwendig“, sagte er. Mit der neuen Dienstanweisung habe die Ministerin dem Verfassungsschutz diese Unabhängigkeit genommen und schweren Schaden angerichtet. „Durch die Beschneidung der Eigenständigkeit des Verfassungsschutzes liefert sie die Behörde dem Vorwurf der politischen Einflussnahme aus“, so Genilke.

Müller habe „den Verfassungsschutz zur Überwachung und Bespitzelung der Opposition eingesetzt“, warf die AfD-Abgeordnete Lena Kotré dem geschassten Abteilungsleiter vor. Der Abgeordnete Andreas Noack (SPD) verwahrte sich gegen diese Darstellung. Der Verfassungschef habe einen Eid auf das Grundgesetz geschworen und sei ein unabhängiger Beamter.

Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags, die sich mit dem Verfassungsschutz befasst, erklärte am Mittwoch: „Herr Müller hat in den vergangenen Jahren stets Sorge dafür getragen, die mit den gesetzlichen Neuerungen im Jahr 2019 verbesserte parlamentarische Kontrolle umzusetzen und den Verfassungsschutz nach modernen Standards aufzustellen.“

Verständnis für Lange beim BSW

Brandenburgs Vize-Ministerpräsident, Finanzminister Robert Crumbach (BSW), sagte am Mittwoch auf Anfrage, er sei am Dienstagmorgen über Langes Personalentscheidung unterrichtet worden. Das Geschilderte „hätte auch mich veranlasst, das Vertrauen in den Abteilungsleiter zu verlieren“, so Crumbach. Allerdings sei er irritiert über die Details zum Ablauf, die am Mittwoch in den Zeitungen gestanden hätten.

BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders erklärte: „Sollte es stimmen, dass Herr Müller eine Einstufung der AfD als rechtsextremistisch vornahm und Innenministerin Lange nicht darüber in Kenntnis gesetzt hat, ist diese Entlassung absolut nachvollziehbar.“ 

Weiter Fragen bei den Grünen

Die überhastete Entlassung des Verfassungsschutzchefs werfe mehr Fragen auf, als sie beantworte, sagte hingegen die Landesvorsitzende der nicht mehr im Landtag vertretenen Grünen, Andrea Lübcke. Dagegen hätten die Einlassungen Langes nicht zur Klärung beigetragen. „Statt klarer Worte, wie man sie von einer Partei erwarten dürfte, die sich selbst als Bollwerk gegen Rechtsextremismus versteht, gab es Ausflüchte und Wissenslücken. Das Ergebnis: Lob aus den Reihen der AfD für das Agieren der Ministerin“, so Lübcke. Für die Grünen stelle sich die Entlassung weiterhin wie ein „politisch motivierter Rauswurf eines anerkannten Fachmannes und Kämpfer gegen Rechtsextremismus dar“. Die Vermutung habe die Ministerin nicht entkräften können.

Der Landesvorsitzende der Linken, Sebastian Walter, warf Lange vor, sich mit der Entlassung Müllers zur „besten Kraft der AfD im Kabinett“ zu machen. Die Potsdamer Bundestagsabgeordnete der Linken, Isabelle Vandre, forderte die Entlassung Langes.

Ex-SPD-Ministerin denkt über Parteiaustritt nach

Die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Brandenburger Finanzministerin und Prignitzer Abgeordnete Dagmar Ziegler (SPD) denkt nach der Entlassung Müllers durch Lange über einen Austritt aus ihrer Partei nach. Normalerweise würde sie sich nicht „vom Seitenrand“ zu aktuellen Problemen der Landespolitik äußern, sagte sie unserer Redaktion. „Aber wenn es um die Demokratie geht, und um nachgewiesen Rechtsextreme, da bin ich nicht zu halten, was meine Haltung angeht – und Katrin Lange hat nicht dieselbe Haltung“, sagte Ziegler dieser Zeitung. 

Die Innenministerin habe in der Vergangenheit mehrfach Äußerungen getätigt, die sie am rechten Rand der Sozialdemokratie verorteten. „Sie verliert den Boden unter den Füßen“, sagte Ziegler, die in ihrer Zeit im Bundestag Sprecherin des konservativen „Seeheimer Kreises“ war. Verfassungsschutzchef Müller habe aus ihrer Sicht alles richtig gemacht. „Sein Bericht war ja auch angekündigt“, sagte Ziegler. Dass er dafür entlassen werde, könne sie nach heutigem Informationsstand nicht verstehen. 

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