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Brandenburg: Warten auf die Revision im Gubener Hetzjagd-Prozess

Von Frank Jansen Berlin /Guben. Sie sind froh und bleiben doch deprimiert.

Von Frank Jansen

Berlin /Guben. Sie sind froh und bleiben doch deprimiert. „Uns haben so viele Menschen in Deutschland unterstützt und wir haben so viele Spenden bekommen“, sagt Malik Guendoul in seinem mit französischen Vokabeln durchsetzten Arabisch. „Wir möchten uns bei allen bedanken.“ Drei Sätze später hebt der kleine Algerier die Hände: „Wir sind immer noch demoralisiert.“ Den Tod von Farid könne die Familie nicht vergessen. „Er war ein friedlicher Mensch“, Maliks jüngerer Bruder Kamel streckt die rechte Hand aus. „Was damals passiert ist, haben wir nie erwartet.“ Schweigen. Dolmetscher Mohammed Hamdali, auch er ein gebürtiger Algerier, blickt auf den Boden.

Die beiden Brüder sitzen auf der Couch in einer Lichtenberger Wohnung, ein Landsmann hat sie für zwei Wochen aufgenommen. Warum tun sich Malik und Kamel Guendoul eine Reise in das Land an, in dem ihr Bruder Farid sterben musste? „Wir wollen wissen, ob das Urteil gegen die Täter geändert wird“, sagt Malik Guendoul. Und wie es der kleinen Tochter geht, die Farids Freundin allein großzieht. Die ungeduldigen Gesten lassen ahnen, wie schwer es ist, sich mit solchen Fragen herumzuschlagen.

Rückblende. Am 13. Februar 1999 jagte in Guben eine Meute junger Rassisten mehrere Asylbewerber. Einer war Farid Guendoul. In seiner Panik zertrat er die Glastür eines Plattenbaus. Der 28-Jährige riss sich eine Schlagader auf und verblutete im Treppenhaus. Auf den Tag genau 21 Monate später, am 13. November 2000, endete der chaotische „Hetzjagd-Prozess“ gegen elf Täter mit einem milden Urteil. Das Landgericht Cottbus verhängte als Höchststrafe drei Jahre Haft, die meisten Angeklagten kamen auf Bewährung oder mit Verwarnungen davon. Malik und Kamel Guendoul saßen im Gerichtssaal. Erstarrt. Als der Vorsitzende Richter alles gesagt hatte, war Malik Guendoul nicht mehr ansprechbar. Er weinte. Einige Täter erhoben sich von der Anklagebank und grinsten.

„Wir waren schockiert“, sagt Kamel Guendoul. „Die haben überhaupt keine Reue gezeigt.“ Im n von Malik Guendoul und anderer Nebenkläger haben Kreuzberger Anwältinnen Revision beantragt. Möglicherweise wird der Bundesgerichtshof im Sommer entscheiden, ob das Cottbuser Urteil korrekt war. Malik und Kamel Guendoul wollten es genau wissen, in Deutschland.

Auf ihre Bitte schickte Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger die für die Einreise notwendige Einladung. Vergangene Woche kamen die Brüder an und trafen sich mit der Anwältin Christina Clemm, die viel Arbeit in den Revisionsantrag investiert hat. Clemm konnte allerdings nur sagen, dass sich der BGH hoffentlich bald äußert. Dennoch scheint das Gespräch mit der Juristin die beiden Männer etwas beruhigt zu haben. Clemm will auch Geld aus dem im vergangenen Jahr vom Bundestag eingerichteten Fonds für Opfer rechter Gewalt beantragen.

Angst, in dieses Land zu kommen, hätten sie nicht, sagen Malik und Kamel Guendoul. Vielmehr hat sie die Solidarität beeindruckt, die sie jetzt erfahren haben. Kurz nach ihrer Ankunft haben Mitglieder des Vereins „Opferperspektive“ genau 20 030, 15 Euro übergeben, die bundesweit gespendet worden sind. Das Geld ist eine Art Überschuss der Kosten für den Revisionsantrag. Nach dem Urteil hatte die Opferperspektive zu Spenden aufgerufen, denn der Gang zum Bundesgerichtshof ist aufwändig und teuer. Insgesamt gingen fast 45 000 Euro ein. Außerdem hat die Ausländerbeauftragte Almuth Berger bei einer weiteren Spendenaktion 1879, 51 Euro eingesammelt. Auch dieses Geld soll der Familie in Algerien helfen. „Unserer Mutter geht es schlecht“, sagt Malik Guendoul, „seitdem Farid tot ist, hat sie Probleme mit der Gesundheit.“ Der Verlust des Sohnes und Bruders traf eine Großfamilie. Malik Guendoul hat als einziger einen festen Job, in einer Bank. Kamel und die anderen sieben Geschwister leben von Gelegenheitsjobs. Aber es ist nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit in Algerien, die der Familie zu schaffen macht. Malik Guendoul berichtet von teuren Mieten und, nach einigem Zögern, von der schwierigen politischen Lage. Der blutige Konflikt zwischen Armee und Islamisten „geht mal hoch und geht mal runter“, sagt er. Eine Ende ist nicht in Sicht.

Was die Familie mit den Spenden machen wird, wissen die beiden Brüder noch nicht. Der unverminderte Schmerz nach Farids Tod scheint auch die Gedanken ans Geldausgeben zu überlagern. „Wir gehen drei-, viermal in der Woche zum Grab“, sagt Malik Guendoul. Sein Bruder Kamel hält die rechte Hand an die Stirn. Nächste Woche fliegen sie zurück nach Algier. Dankbar und deprimiert.

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