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Landeshauptstadt: Balance zwischen Anteilnahme und Verdrängung

Zehn Jahre nach dem Mord an Martin Heinze: Hunderte Polizisten gedachten ihrer getöteten Kollegen

Zehn Jahre nach dem Mord an Martin Heinze: Hunderte Polizisten gedachten ihrer getöteten Kollegen Von Guido Berg Der Tag hat sich Sabine Heinze ins Gedächtnis gebrannt: Schon am Morgen mäht sie den Rasen im Garten. Die Rasenmäher-Geräusche sollen bereits verklungen sein, wenn ihr Mann, Polizist in Potsdam, vom Nachtdienst kommt. Vielleicht ist er müde und will sich gleich hinlegen. Er ist spät dran, denkt sie noch. Da hält ein Polizeiwagen vor der Haustür. Polizisten steigen aus. Martin Heinze ist nicht unter ihnen. Sofort ahnt sie die schlimme Nachricht: „Da war es vorbei“, erzählte sie gestern im Anschluss an den Gedenkgottesdienst für die seit 1990 im Dienst ums Leben gekommenen Polizisten und Polizistinnen in Deutschland. Martin Heinze wurde in den frühen Morgenstunden des 20. August 1995 durch den Messerstich eines von ihm gestellten Diebes getötet. Der 46-jährige Potsdamer hinterließ Sabine Heinze in langjähriger Trauer, ebenso seine beiden Töchter, damals sieben und 15 Jahre alt. Im zehnten Jahr nach der Ermordung Martin Heinzes gedachten gestern hunderte Polizisten aus der ganzen Bundesrepublik ihrer toten Kollegen. Zum Klang der Glocken der Friedenskirche verlasen sie 74 Namen der im Dienst zu Tode Gekommenen. Darunter der von Polizeikommissar Michael Newrzella, der 1993 in Bad Kleinen bei der tragisch endenden Festnahme des RAF-Terroristen Michael Grams erschossen wurde. Von den Deckengewölben der Friedenskirche schallen auch die Namen von getöteten Polizistinnen wieder: Corinna Richter, Jutta Greb, Manuela Markowski Und es fällt der Name von Polizeihauptmeister Martin Heinze. Seine Witwe und seine Töchter hören ihn. „Hinter jedem Namen steht ein abgebrochenes Leben, das Schicksal einer ganzen Familie“, sagt Landespolizeipfarrer Rainer Graupner. Er fordert die Beamten auf, jeder solle eine Kerze entzünden, „denn es ist besser, ein Licht zu entzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen“. Bankreihe für Bankreihe erheben sich die Kollegen der Getöteten, gehen zum Altarraum, um ihr Licht zu entzünden, darunter junge Polizisten und gestandene, hohe Dienstgrade und untere Ränge, Uniformierte und Polizisten in Zivil, Männer und Frauen. Pfarrer Graupner und die Trauernden „beten heute für alle, die Verantwortung tragen im Verborgenen und in der Öffentlichkeit, für die, die in Sorge leben, für Menschen, die allein stehen, die mit der Zeit nicht fertig werden, mit allen, die Opfer wurden von Gewalt und Rücksichtslosigkeit, für die Flüchtlinge ohne Land und Name, für die Polizeibeamten und -beamtinnen, dass sie nicht verhärten durch das, was sie erleben.“ Der Seelsorger beendete seine Andachtsrede mit dem Satz: „Gott, gedenke ihres Namens, bewahre ihr Leben.“ Pfarrer Graupner hielt nach dem Unglückstag regelmäßigen Kontakt zu Sabine Heinze. „Sie hat fünf Jahre gebraucht, bis sie wieder Zugang zum Leben gefunden hat“, erklärte er nach der Gedenkfeier in kleiner Runde. Die Töchter Heinzes haben sich gut entwickelt, die große macht ihr Examen als Logopädin, die jüngere ihr Abitur. Graupner erklärte, die Familie fiel nach der Beerdigung Martin Heinzes in ein „schwarzes Loch“. Von den Kollegen sei kaum mehr einer vorbei gekommen. Sabine Heinze habe den Mut finden müssen, ein Leben mit der Lücke zu führen. Der Landespolizeipfarrer versteht die Perspektive der Beamten: „Polizisten müssen es wieder verdrängen, sonst würden sie gar nicht mehr zum Dienst erscheinen können“. Die Balance zwischen Verdrängung und Anteilnahme sei eine schwierige Sache. „Vergessen kann man es nicht“, sagt Sabine Heinze. Während der Gedenkfeier in der Kirche am Grünen Gitter hat sie „gemerkt, dass ich noch mehr damit zu tun habe, als ich dachte“. Ihr gehe es heute gut, sie habe aber lange gebraucht, um damit leben zu können, dass ihr Mann nicht mehr da ist. Der Mörder von Martin Heinze ist der damals 44-jährige Pole Ryszard Lominski. 1996 wird er zu 14 Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Später, während der Haftzeit, lässt er sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Neuruppin Gefangenenmeuterei und Körperverletzung zu Schulde kommen lassen. Seine Strafzeit wird auf 15 Jahre erhöht, die Höchststrafe im deutschen Strafrecht. Im August dieses Jahres hätte er Zweidrittel seiner bis 2010 gehenden Haftzeit verbüßt. Ob er das Gefängnis vorzeitig verlassen darf, wird derzeit noch geprüft. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ist „wegen der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit“ dagegen, sie hält Lominski für gefährlich. Sabine Heinze erklärt, sie wolle nicht wissen, was mit dem Täter ist, ob er frei kommt oder nicht. Was auch mit ihm geschieht, ihr Mann werde nicht wieder lebendig.

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