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Reformationsjubiläum in Potsdam: „Beharrlich un-verschämt“

1000 Potsdamer feierten Reformationsjubiläum in der Nikolaikirche. Einige liefen danach auf einem Pilgerweg durch die Stadt.

Von Valerie Barsig

Potsdam/Nauener Vorstadt - Vor der Russisch-Orthodoxen Alexander-Newski-Kirche packen sie ihre Butterbrote aus. Sie werden aus Rucksäcken und Taschen geholt, die Pilger machen sich hungrig darüber her. Rund 70 Potsdamer waren von der Nikolaikirche losgegangen, weil sie Katholiken und Orthodoxen ihre Botschaft der Reformation überbringen möchten. „Es ist schön, dass es euch gibt“, wiederholt der pensionierte Pfarrer Wolfgang Hering an diesem Tag immer wieder. Auch dem Erzpriester Anatolij Koljada überbringt Hering die Botschaft – noch vor den Butterbroten. Die sind Stärkung für den Weg, der dann noch kommt: bis zur Friedenskirche. Am Reformationsjubiläum ist es zwar nur ein kleiner Spaziergang für die Pilger. Die Newski-Kirche ist aber für viele der Höhepunkt des Weges.

Davor hatten sich nicht nur die Pilger, sondern insgesamt rund 1000 Besucher zum Festgottesdienst zum Reformationsjubiläum in die Nikolaikirche gedrängt. Sogar im Vorraum, hinter den Glastüren stehen sie: Es ist proppenvoll. Stühle müssen hereingetragen werden, am Ende stehen trotzdem viele hinter den Bankreihen auf dem Gang und lehnen sich an die geweißten Säulen, um die anderthalb Stunden Gottesdienst auch im Stehen genießen zu können. Feierlich ist die Stimmung, ein aus Sängern des ganzen Kirchenkreises zusammengesetzter Chor singt „wunderschön“, wenn es nach den Besuchern geht. Die kürzlich geweihte große Orgel ertönt, dann folgt die Predigt von Altbischof Wolfgang Huber. Er erinnert an Luthers „beißende Kritik“ am Ablasshandel und Ungleichheit in der katholischen Kirche. Diese habe zwar schon lange existiert, sei „aber nicht unfehlbar“. Auch der Streit innerhalb der Kirche, wer denn nun Jesus besser verstanden habe, der sei schon lange bekannt gewesen, als die Reformation kam. Umso wichtiger sei es, sich des Evangeliums nicht zu schämen, wie es auch Luther kurz vor seinem Lebensende gesagt habe, betont Huber. Gerade in Zeiten, in denen das Niedermachen und die Verachtung bei Demonstrationen oder in Internetforen an der Tagesordnung stünden, erwarte er von den Gläubigen, dass sie sich gegen diese gnadenlosen Zustände wehren. „Wir müssen einstehen für das, was wichtig ist. Wir müssen beharrlich un-verschämt sein“, mahnt er.

„Wir laufen dem Herrn Jesus hinterher“

Beharrlich un-verschämt sind an diesem Tag auch die Pilger, die vor allem die Einheit des Glaubens – trotz der Trennung der Kirche durch Luthers Thesen von 1517 – betonen möchten. Hering, der Vorsitzende des 2011 gegründeten Vereins Potsdamer Pilgerwege, ist gerade von einer Pilgerfahrt aus Israel zurück. Ob die Füße noch schmerzen? Hering muss lachen. „Eigentlich sind wir ziemlich viel gefahren“, gibt er zu. Nazareth, Bethlehem, Jerusalem – das war der Weg der 36-köpfigen Reisegruppe. An diesem Jubiläumstag spielen die Kilometer dagegen keine Rolle. Hinter dem kleinen Holzkreuz mit dem vergoldeten Jesus soll es zunächst über den Platz der Einheit und den Bassinplatz Richtung Kirche St. Peter und Paul gehen. Den Schluss bildet die Friedenskirche – also kein langer Weg. Das sei beim Pilgern aber auch nicht relevant, sagt Hering. Der Pilgerweg wird an diesem Tag zum ersten Mal gegangen – und auch das einzige Mal. Als etwas Besonderes zum Reformationsjubiläum.

Hering, der einen kleinen blau-weißen Wimpel mit der Aufschrift „Pilgerverein Potsdam“ trägt, muss vor der Nikolaikirche nach Gottesdienst-Ende aber zunächst viele Hände schütteln. Die Pilger kennen sich, freudig werden Bekannte begrüßt. Eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm spricht Hering an. Ob er dem Jungen erklären könne, was denn hier passiere. „Wir laufen dem Herrn Jesus hinterher“, sagt Hering zu dem Jungen. „Und wir bringen der katholischen Nachbargemeinde einen Gruß.“

Weiter zum Nauener Tor und Richtung Russische Kolonie

Mit dabei sind auch Eberhard Rutkowsky und Regina Pawlitzky. Eine dicke Jacke und ein Stirnband sollen Pawlitzky gegen die kühle Witterung schützen. „In Israel war es dagegen heiß“, erzählt sie. Auch sie war auf der Reise dabei. Warme Gedanken helfen an diesem Tag. „Das tägliche Laufen und auch die Beschwerlichkeit lassen die alltäglichen Zwänge zurücktreten. Das Leben wird gehalten, das merkt man“, erklärt Rutkowsky, als die Truppe kurz vor der Kirche St. Peter und Paul steht.

Drinnen wird gemeinsam mit einigen dort wartenden Katholiken gebetet und gesungen. „Früher war Pilgern für Protestanten verpönt“, sagt Hering zu den Kirchenbesuchern. Und zu den Katholiken: „Ihr habt es aufbewahrt, wie so vieles. Danke dafür.“ Noch ein Psalm, ein Gebet, dann geht es weiter gen Nauener Tor und Richtung Russische Kolonie. Unter den Füßen der Pilger raschelt das Herbstlaub, es geht einen Trampelpfad unter den Bäumen nach oben, zur Newski-Gedächtniskirche. Kurz vorher gibt Hering noch ein paar Anweisungen. „Erzpriester Anatolij ist die Augenhöhe wichtig, das Geachtet-Werden.“

Butterbrote als Stärkung, bevor es mit der Botschaft gen Friedenskirche weitergeht

Ein wenig ehrfürchtig ist die Truppe also, als sie vor dem Kirchentor einen Halbkreis bildet und „Christus meine Zuversicht“ singt. Erzpriester Anatolij Koljada tritt aus der Kirchentür und lächelt. Er trägt ein schwarzes Gewand und eine blaue Samtmütze. „Ich wünsche ihnen alles Gute, Gottes Segen, viel Kraft und Gesundheit an diesem Tag.“

Die Pilger klatschen, der Bann ist gebrochen. Auch hier betonen Hering und seine Mitstreiter die Gemeinsamkeiten des Glaubens, das Dankbarsein, dass die anderen da sein. Nur in die Kirche geht niemand während der anschließenden kleinen Feier. Stattdessen gibt es Butterbrote als Stärkung, bevor es mit der Botschaft gen Friedenskirche weitergeht.

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