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Ein wenig exotisch fühlt sich Christian Göttert in der Berufsschule schon manchmal. In seiner Klasse sitzen 22 Frauen – und nur zwei Männer. In einer Treptower Arztpraxis macht der 23-Jährige eine Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Landeshauptstadt: Der nächste, bitte!

Nur wenige Jungs lernen klassische Frauenberufe. Dabei freuen sich Ärzte, Anwälte oder Apotheker über männliche Azubis

Es kann passieren, dass Patienten wieder auflegen, wenn Christian Göttert ans Telefon geht. Weil sie denken, sie hätten sich verwählt. Wenn dann beim nächsten Versuch wieder eine weibliche Kollegin an den Apparat geht, sind die Anrufer beruhigt. Man könnte auch sagen: Ihr Weltbild ist wieder in Ordnung. Denn Christian Göttert gehört zu einer Minderheit: Der 23-Jährige macht eine Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten. Er wird also jene Tätigkeit ausüben, die früher Arzthelfer genannt wurde, beziehungsweise vor allem Arzthelferin. Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) haben im vergangenen Jahr 176 Männer die Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten begonnen – und eine gigantische Mehrheit von 14 519 Frauen.

Für den Gesundheitsbereich hat sich Christian Göttert seit seinem Zivildienst interessiert. Zunächst habe er darüber nachgedacht, Krankenpfleger zu werden, sich dann aber – auch wegen der familienfreundlicheren Arbeitszeiten – anders entschieden. Sein damaliger Freundeskreis ging eher in den handwerklichen Bereich. „Als ich erklärt habe, was ich beruflich machen will, wurde ich schon manchmal komisch angeguckt.“ Auch in der Berufsschule kommt sich Christian Göttert manchmal wie ein Exot vor: Gemeinsam mit einem zweiten männlichen Azubi sitzt er 22 Klassenkameradinnen gegenüber. „Für meine Mitschülerinnen bin ich so eine Art ruhender Pol“, sagt er. „Wenn die anderen am Rad drehen, behalte ich die Nerven – und die Ruhe.“

Christian ist eigentlich bei einem Bildungsträger angestellt, der Mut-Gesellschaft. Patienten, die ihn in der Treptower Praxis sehen, in der er ausgebildet wird, halten seinen derzeitigen Job oft nur für eine Zwischenstation. Nach der er dann doch sicherlich noch ein Medizinstudium absolviere! „Nur deshalb arbeiten sie doch hier, oder?“ Fragen wie diese hört er immer wieder. Dabei möchte der junge Berliner nach seiner Ausbildung auf jeden Fall ein paar Jahre Medizinischer Fachangestellter bleiben. Er könnte sich aber auch vorstellen, später einmal in einem Krankenhaus oder als Rettungssanitäter zu arbeiten. „Ich habe viele Möglichkeiten, das gefällt mir.“

Zu den gängigen Klischees über Männer gehört wohl auch, dass die meisten nicht gerade gesprächig sind. Früher traf das auch auf Christian Göttert zu, mittlerweile hat sich das geändert. „In diesem Job muss man permanent miteinander kommunizieren, sonst funktioniert das nicht.“ Der 23-Jährige findet es gut, wenn umgekehrt auch Mädchen einen klassischen Männerberuf ergreifen. Zumal in diesen hoch-technisierten Zeiten auch das Argument nicht mehr gelte, dass Frauen für manche Jobs einfach körperlich „zu schwach“ seien.

Harun Uzuner gibt dagegen offen zu, dass es ihm komisch vorkommt, wenn junge Frauen sich etwa zur Mechatronikerin ausbilden lassen. Für diesen Beruf hat sich der 19-Jährige früher auch interessiert. 385 Frauen haben im vergangenen Jahr diese Ausbildung angefangen, und 6385 Männer. Inzwischen arbeitet Harun Uzuner in einer Frauendomäne: In der Schinkel-Apotheke in Wedding lässt er sich zum Pharmazeutisch-Kaufmännischen Angestellten ausbilden. Nur 60 Männer haben 2010 diesen Berufsweg eingeschlagen. Und sind damit gegenüber den 1639 weiblichen Azubis eine kleine Minderheit. Wer sich für den Beruf entscheidet, wird sich in seinem Job-Alltag vor allem um die kaufmännischen Aufgaben in einer Apotheke kümmern. Also zum Beispiel ankommende Lieferungen annehmen und verbuchen, Bestellungen aufgeben oder Rechnungen bearbeiten. Und im Lager den Warenbestand prüfen.

Sein Berufsschullehrer hat zu Beginn seiner Ausbildung über die männlichen Azubis gestaunt. „In meiner Klasse sind wir vier Jungs, so viele männliche Schüler hat unser Lehrer noch nie gehabt“, sagt Harun Uzuner, dem seine Arbeit viel Spaß macht – und viele Möglichkeiten bietet. Nach der Ausbildung würde er erst einmal gerne weiter in der Apotheke arbeiten. Gefragt sind Pharmazeutisch-Kaufmännische Angestellte aber zum Beispiel auch in der Pharmaindustrie, in Drogerien oder in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens. Harun Uzuners Familie hat sich sehr mit ihm über den Ausbildungsplatz gefreut. „Und darüber, dass ich so einen schönen Beruf gefunden habe.“ Dumme Sprüche habe er nicht zu hören bekommen.

Die Juristin Claudia Frank, die auch Präsidentin des Verbands der Freien Berufe Berlin (VFB) ist, wünscht sich mehr männliche Azubis, die sich wie Christian und Harun für einen klassischen „Frauenberuf“ entscheiden.

Für die vielen Berufszweige des VFB brauche man mehr Jungs, die sich für einen Job bei einem Steuerberater, Anwalt, Arzt, Veterinärmediziner oder in einer Apotheke entscheiden. In diesen Branchen seien fast schon traditionell rund 85 Prozent der Azubis weiblich. Und obwohl etwa die Zahl der Anwälte immer weiter zunehme, stagniere die Zahl der Anwaltsgehilfen. „Junge Männer haben sehr gute Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten.“ Außerdem sind in diesen Bereichen auch neue Berufsbilder entstanden. Gesucht werden zum Beispiel Fachleute, die in den Praxen von Anwälten oder Steuerberatern Computertechnik und Software betreuen.

Wer sich für eine Ausbildung im Bereich der Freien Berufe interessiert, kann den Stand des VFB bei den „Tagen der Berufsausbildung“ besuchen: 23./24. September, 10–18 Uhr, Messe Berlin, Halle 26 a. Vor Ort sind Apothekerkammer, Ärztekammer, Tierärztekammer, Steuerberaterkammer, Architektenkammer und Berliner Anwaltsverein. Mehr Infos im Internet: www.freie- berufe-berlin.de/ausbildungsportal.html

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