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Erfolgreiche Flucht. Heute betreibt der 49-Jährige Ibrahim Khourshid drei Physiotherapiezentren in Potsdam, Geltow und Glindow. Doch um nach Deutschland zu kommen musste der gebürtige Iraker sein Leben aufs Spiel setzen. 25 Jahre ist es nun her, dass er vor dem Regime Saddam Husseins aus seiner Heimat fliehen musste.

© Andreas Klaer

Wie ein Iraker in Potsdam ein Zuhause fand: Ibrahims Wiedergeburt

Vor 25 Jahren kam der Potsdamer Ibrahim Khourshid aus dem Irak nach Deutschland. Er floh vor Krieg und Diktatur. Dass er lebend ankam, grenzt an ein Wunder.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Zwei Worte waren es, gesprochen von einer deutschen Grenzbeamtin. Zwei Worte, die Ibrahim Khourshid zeigten, dass er es geschafft hat. „Guten Abend“, hatte die Frau gesagt, die er nicht sah, sondern nur hörte, weil er in seinem engen Versteck in einem serbischen Lastwagen ausharrte. Die Worte bedeuteten, dass er in Deutschland war. Wohin er unter Einsatz seines Lebens wollte.

Zweimal war der junge Mann zu diesem Zeitpunkt dem Tod schon von der Schippe gesprungen: Einmal in seiner Heimat, dem Irak, einmal auf seiner Flucht nach Deutschland. Seit ziemlich genau 25 Jahren lebt der mittlerweile 49-jährige Ibrahim Khourshid nun hier, ist Potsdamer geworden, hat sich eine beachtliche Existenz mit mehreren Physiotherapiezentren aufgebaut. Seitdem feiert er seinen Geburtstag am Tag seiner Ankunft: dem 19. September 1991. Dem Tag, an dem er die beiden erlösenden Worte durch die Blechverschalung des Lasters hörte.

Seit seinem fünften Lebensjahr hatte Ibrahim in der irakischen Hauptstadt Bagdad gelebt. Dort besuchte er die Schule und die Universität. Gerade hatte er sein Studium der Allgemeinen Sportwissenschaften abgeschlossen, als der Zweite Golfkrieg ausbrach. Im Januar 1991 stand Bagdad in Flammen, eine US-geführte Koalition griff den Irak an. „Saddam Hussein verlangte, dass alle die Stadt gegen die Amerikaner verteidigen“, erzählt Ibrahim. Auch vor der Universität wurden Waffen verteilt, doch er lehnte ab. „Ich hatte von Waffen keine Ahnung, und ich habe den Krieg total abgelehnt.“

Stattdessen ging Ibrahim auf die Straße, um gegen Hussein zu demonstrieren – in der Annahme, die Befreiung durch die Amerikaner sei nah. „Doch 50 Kilometer vor Bagdad haben die Amerikaner umgedreht, sie haben uns im Stich gelassen.“ Saddam Hussein wollte Rache: „Es gab einen Befehl, dass jeder, der gegen Hussein demonstriert hat, auf der Straße erschossen werden sollte – und zwar egal von wem“, sagt Ibrahim. Weil alle gewusst hätten, dass er bei den Demonstrationen dabei war, habe er fliehen müssen, wollte er am Leben bleiben.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen schaffte Ibrahim es schließlich, sich nach Belgrad durchzuschlagen. Doch auch dort war die Stimmung angespannt, die Menschen demonstrierten auf der Straße, Jugoslawien war drauf und dran, zusammenzubrechen. Also kontaktierte Ibrahim von Belgrad aus seine Schwester und seinen Bruder, die bereits seit den 1970er-Jahren in West-Berlin lebten, und bat sie, ihm zu helfen, nach Deutschland zu kommen.

„Sie haben mir Geld geschickt und den Kontakt zu einem gewissen Miro gegeben“, sagt Ibrahim. Dieser bot an, ihn gegen Geld mit seinem Lastwagen nach Deutschland zu bringen, in einem kleinen Verschlag unter dem Sitz. „Der Schacht war wie ein Sarg“, erinnert sich Ibrahim und der drahtige Mann springt auf, um zu zeigen, in welcher Körperhaltung er ausharren musste: Halb liegend, halb sitzend, mit den Armen eng am Körper. Sie hatten vereinbart, dass Miro keinesfalls anhalten sollte, komme was wolle. „Wenn ich gestorben wäre, hätte er mich irgendwo am Straßenrand abgelegt, so hatten wir es ausgemacht.“

Schon kurz nach Beginn der Fahrt glaubte Ibrahim wirklich, dass er sie nicht überleben würde. Denn der Fahrer, hatte die Heizung angeschaltet und offenbar nicht bedacht, dass die heiße Luft direkt in Ibrahims Schacht gelangte. Bereits nach wenigen Minuten hatte er das Gefühl, an der heißen Luft und dem Ruß zu ersticken, er klopfte und hämmerte, doch Miro fuhr und fuhr. Erst nach Stunden hielt er zu einer ersten Pause an und öffnete den Verschlag – in der festen Annahme, der blinde Passagier sei tot. Doch Ibrahim sprang heraus, rußgeschwärzt und nur in Unterhose – die restlichen Kleider hatte er trotz der Enge irgendwie geschafft, abzustreifen. „Dass ich das überlebt habe, ist ein Wunder“, sagt er heute. Er erinnert sich, dass er irgendwann so flach wie möglich geatmet und sich nicht mehr bewegt habe. „Alle Körperfunktionen waren heruntergefahren.“

Nach der Pause stieg Ibrahim wieder in den Verschlag, diesmal ließ Miro die Heizung ausgeschaltet. Einige Stunden später fielen dann die bereits erwähnten erlösenden Worte an der deutschen Grenze, in West-Berlin schließlich setzte Miro seinen blinden Passagier ab. Orientierungslos sprach Ibrahim eine junge Frau auf der Straße an und bat um Hilfe. Sie rief seinen Bruder an, der holte ihn ab.

Die ersten Wochen verbrachte er in der Wohnung des Bruders am Kottbusser Tor, traumatisiert von den Ereignissen in Bagdad und auf der Flucht. „Ich hatte ständig das Bedürfnis, alles anzufassen: die Wände, die Möbel, meinen Bruder. Ich konnte einfach nicht fassen, dass ich überlebt habe.“

Schon bald wurde Ibrahim mit der deutschen Bürokratie konfrontiert. So bekam er zu seinem großen Erstaunen Sozialhilfe – „obwohl ich nicht gearbeitet hatte!“ – und musste sich eine Identität „ausdenken“. Wie in seiner Heimat üblich hatte er keinen Nachnamen, Khourshid suchte er sich schließlich aus, weil sein Großvater so mit Vornamen hieß. Auch ein genaues Geburtsdatum konnte er nicht nennen, nur das Jahr: 1967. „Mein Vater konnte mir nur sagen, dass ich etwa zur Gurkenernte geboren sein musste.“ Also suchte er sich einen Tag aus – und zwar den, an dem sein neues Leben in Deutschland begann.

Schon bald zog er von Berlin nach Potsdam und fing an zu arbeiten – in einer Heizungsfirma, einer Wäscherei, auf der Baustelle. 1996 begann Ibrahim eine Ausbildung zum Physiotherapeut, die er drei Jahre später abschloss – mit „sehr gut“, wie er nicht ohne Stolz erzählt. In Teltow fand er eine Stelle, sollte schon bald eine eigene Filiale aufbauen, die er schließlich selbst übernahm.

Heute leitet Ibrahim drei Therapiezentren in Potsdam, Geltow und Glindow, prominente Patienten schwören auf seinen Therapieansatz, der vor allem auf eine ausführliche Anamnese vor der Behandlung setzt, wie er sagt. Auch eine Apotheke betreibt Ibrahim Khourshid – insgesamt beschäftigt er 34 Mitarbeiter. Und er will noch weiter wachsen, ein sogenanntes Nicht-Operatives Zentrum ist bereits in Planung, bei dem Alternativen zu chirurgischen Eingriffen ausgelotet und angeboten werden sollen.

Parallelen zwischen sich und den Flüchtlingen, die heutzutage nach Deutschland kommen, will Ibrahim übrigens nicht erkennen. Fast hat man den Eindruck, er gönnt es den Menschen nicht, dass ihnen hier geholfen wird, es ein mehr oder weniger funktionierendes Netz für Asylsuchende gibt, wo er selbst doch so viel aus eigener Kraft schaffen musste. Ibrahim war damals schließlich einer der ersten Iraker, die in Deutschland Asyl beantragten. Am 19. September 1991.

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