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Landeshauptstadt: „Ich hatte keine Vorstellung “

Potsdamer Schüler in Auschwitz-Birkenau / Gedenkstättenfahrt des Brandenburg gegen Rechts e. V.

Potsdamer Schüler in Auschwitz-Birkenau / Gedenkstättenfahrt des Brandenburg gegen Rechts e. V. „Ich habe keine Vorstellung von dem, was mich hier erwarten wird,“ erzählt Monique. Die 15-Jährige plagt ein Gefühl von Übelkeit. In den kommenden sechs Stunden wird sich die Potsdamer Schülerin der Pierre-de-Coubertin-Gesamtschule die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau anschauen. Mit 22 Mitschülern aus der achten Klasse nimmt sie an der „Gedenkstättenfahrt“ vom Verein „Brandenburg gegen Rechts“ teil. Seit seiner Gründung im Jahr 2001 finden mehrmals jährlich Fahrten, die vom Bildungsministerium des Landes gefördert werden, statt. Die Fahrten richten sich an Schüler und Jugendliche bis zum 27. Lebensjahr. In der vergangenen Woche nahmen achtzig Jugendliche aus Lübben, Cottbus, Falkensee und Potsdam das Angebot wahr. Die Anspannung bei Monique und ihren Mitschülern steigt. Mit zwei Reisebussen geht es vom Krakauer Hotel über Land. Noch feixen einige Jungs, machen Witze, planen die nächtliche Party. Der Weg führt vorbei an saftigen Wiesen und gepflegten Gärten. Das Grau der Dörfer wird durchbrochen von farbenfrohen Fassaden. Verkehrsschilder weisen auf Oswiecim (Auschwitz) im Südosten von Krakau. Vor der Gedenkstätte, dem Stammlager , sammeln sich Reisegruppen aus allen Teilen der Welt. Vor dem Beginn der Führung erhalten die Potsdamer Schüler Arbeitsaufträge. Sie sollen Antworten finden auf Fragen, ab wann im Konzentrationslager Massenvernichtungen durchgeführt wurden oder auch wie viele Menschen an diesem Ort ihr Leben verloren. Einige Schüler kauften sich vorab zarte Rosen, um sie an Plätzen niederzulegen, an denen sie besonders berührt sind – um den zu Tode gequälten, vergasten und verhungerten Menschen zu gedenken. Im Rahmen eines dreimonatigen Projektes hatten sich die Mädchen und Jungen mit der Tradition und Religion des Judentums und dem Holocaust beschäftigt, erzählt Lehrerin Elke Zühlke. Bereits zum dritten Mal begleitet sie Schüler auf dieser Fahrt, zu der auch die Erkundung des jüdischen Lebens im Krakauer Stadtteil Kazimiers gehört. „Die direkte Konfrontation mit Geschichte bringt mehr als die Geschichtsstunden, in denen der Nationalsozialismus besprochen wird“, meint Zyhlke. „Doch Schuldgefühle sollen auf der Fahrt nicht vermittelt werden.“ In zwei Gruppen werden die Potsdamer über das Gelände geführt und das mit einer Routine und Schnelligkeit, die zum Nachdenken und Innehalten kaum Zeit lässt. Ehemalige polnische Artilleriekasernen bildeten den Kern des Stammlagers Auschwitz, dass zunächst als Quarantäne- und Durchgangslager geplant war und innerhalb von viereinhalb Jahren zum größten Vernichtungskomplex der Nationalsozialisten ausgebaut wurde. Am 14. Juni 1940 ging Auschwitz in Betrieb. Ab 5. September 1941 fanden erste Massentötungen im Stammlager, im Untergeschoss des Strafblocks, dem Block 11, statt. 900 sowjetische Kriegsgefangene wurden ermordet. An der angrenzenden Todeswand legen einige Schüler bestürzt und schweigend Rosen nieder. Der Weg über das Gelände mit den zweistöckigen Backsteinbaracken, umzäunt von einem Todesstreifen bestehend aus zweireihigem Stacheldraht, führt vorbei an Galgen, Appellplatz und Krematorium. Langsam sind die Grausamkeiten zu erahnen, die bis Januar 1944 hier stattfanden. Unzählige Emailletöpfe und Bürsten, tausende Paare von Schuhen, Koffern und Körben, zerbrochenen Puppen und Unmengen von Menschenhaar, das für die Teppichindustrie genutzt wurde, geben der anonymen Masse von unzähligen Toten eine Seele, etwas Persönliches. Monique ist bestürzt. Ihr blasses Gesicht, scheint noch blasser. „Als ich die unzähligen Haare und das Spielzeug gesehen habe, musste ich an meinen Bruder denken. – Das hätten wir sein können.“ Abends nach der Auswertung wird sie über ihre Trauer, Tränen und das immer stärker werdende Unwohlsein in der Gedenkstätte sprechen. Am kommenden Tag, nach einer Stadtführung auf den Spuren des jüdischen Lebens in Krakau, werden sich einige Jungs „Anti-Nazi“-Aufnäher kaufen. Elke Zühlke hofft, dass ihre Schüler von der Reise etwas mitnehmen. „Mögen sie kritisch sein, sich einsetzten und sich nicht einfach etwas aufschwatzen lassen.“

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