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Landeshauptstadt: Räder statt Sterne

Der Astrophysiker Robert Piontek hat seinen Forscherjob an den Nagel gehängt. Nun baut der US-Amerikaner in einer Werkstatt in Babelsberg individuelle Fahrradrahmen

Robert Piontek hat viele Jahre gesucht, bis er wusste: „Ja, das ist es!“ Der promovierte Astrophysiker und gebürtige US-Amerikaner erforschte zuerst in seiner Heimat das Weltall. 2005 siedelte der Wissenschaftler mit seiner deutschen Frau Franziska, ebenfalls Astrophysikerin, nach Brandenburg um. Die beiden arbeiteten zunächst am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, dann für zwei Jahre in Hamburg in der Klimaforschung und kehrten wieder zurück in die Landeshauptstadt. „Ich wollte immer Wissenschaftler sein. Doch als ich es war, zweifelte ich, ob ich mein Leben lang am Computer sitzen möchte. Ich hatte einfach keinen Spaß an der Arbeit“, erinnert sich der 38-Jährige zurück und lacht verlegen.

Jetzt hat er Spaß.

Der dunkelhaarige, sportliche Dreitagebartträger steht in Babelsberg in einer kleinen Kellerwerkstatt, in der es nach Lösungsmitteln riecht. Robert Piontek hält einen rauschenden Lötbrenner in der rechten und einen Messingstab in der anderen Hand. Er trägt Blue Jeans, alte Sneaker, ein weißes T-Shirt mit dem blauen Aufdruck „Big Forest Frameworks“. Diese drei Worte sind Robert Pionteks Antwort auf die Sinnfrage, die er sich seit dem Studium immer wieder gestellt hat. Der Astrophysiker ließ die Sterne Sterne sein und kehrte auf die Erde zurück. Seit Anfang dieses Jahres baut Robert Piontek maßgeschneiderte Fahrradrahmen und verkauft sie unter dem Label „Big Forest Frameworks“ mit einem stilisierten Tannenbaum im Logo. Die Mountainbikes, Fixies und Single-Speed-Räder entstehen nach eigenen Entwürfen oder nach Kundenwünschen. Bislang hat Robert Piontek etwa zehn Stahlrahmen zusammengelötet und anschließend lackiert. Einige hat er in die USA verkauft und die anderen für sich behalten.

Am Montageständer der kleinen Werkstatt hängt ein Mountainbike-Rahmen, der von der Größe an ein BMX-Rad erinnert. An einer Wand lehnt ein fertiges blau lackiertes Rad mit braunem Ledersattel und einem gleichfarbigen Lenkerband. Der schlanke elegante Rahmen ähnelt auf den ersten Blick einem alten Renn- oder Bahnrad. Bei dem Big-Forest-Fixie, ein Rad mit einem Gang und einer starren Nabe, fällt jedoch das Oberrohr schräg nach vorne ab. Das Vorderrad ist eine Nummer kleiner als das Hinterrad. Sieht unkomfortabel aus. „Nein, es macht wirklich großen Spaß“, widerspricht Robert Piontek, der seine Räder „einfach, klassisch und modern“ nennt. Zwei, drei seiner Werke wird er bei den „Designtagen Brandenburg“ präsentieren, die vom 22. bis 24. November in Potsdam stattfinden. Und fürs nächste Frühjahr plant Robert Piontek die Teilnahme bei der Berliner Fahrrad-Schau-Messe.

Der Rahmenbauer liebt seinen Job aus mehreren Gründen. Er kann mit den Händen arbeiten und dabei besondere Räder bauen, die nach eigenen Vorstellungen und Wünschen entstehen und so garantiert nicht ein zweites Mal auf der Straße rollen. Die Leute sollen „Wow!“ sagen, wenn sie ein Big-Forest-Rad sehen. „Es ist ein tolles Gefühl, etwas zu schaffen, von dem du vorher nicht weißt, ob es klappt“, sagt Piontek, der sich gerne schwierigen Aufgaben stellt. So beteiligte er sich als Hobby-Radler an 24-Stunden-Rennen oder suchte mit dem Mountainbike in Gebirgsgegenden Wege, wo keine waren.

Die Rahmenbau-Idee entstand ebenfalls aus diesem Faible, sich selbst zu herauszufordern. Auslöser war eine Bauanleitung, die ihm in Deutschland in die Hände gefallen war. „Das wäre cool“, dachte der Radfan. Während eines längeren USA-Urlaubs vor vier Jahren verwirklichten Piontek junior und senior das Rad-Projekt gemeinsam in der elterlichen Werkstatt in der Nähe von Detroit, wo Robert aufgewachsen ist. Vater und Sohn sind ein eingespieltes Team. Schon als Vierjähriger half Robert seinem Papa, einem Ford-Ingenieur, beim Restaurieren alter Wagen und lernte schleifen, lackieren und mit Metall zu arbeiten.

Diese Fähigkeiten waren die Voraussetzungen dafür, eine eigene Rahmenbaufirma auf die Beine zu stellen. Zurück in Potsdam reifte die Gründungsidee. Robert Piontek kaufte Werkzeuge, richtete sich eine Werkstatt ein, absolvierte einen Lötkurs und legte los. Anfängliche Bedenken, ob der zehnte Rahmen immer noch Spaß machen würde, zerstreuten sich. Inzwischen lötet Robert Piontek in drei Tagen die zehn Stahlrohre zusammen, aus denen ein Fahrradrahmen in der Regel besteht. Ein weiterer Tag geht fürs Lackieren drauf. Von der Rahmenform über die Farbe bis zu den Anbauteilen am fertigen Rad lässt Robert Piontek seiner Fantasie freien Lauf. „Ich bin für alles offen.“

Wunschräder nach Maß fertigen in Deutschland gut 20 meist kleinere Manufakturen. Robert Piontek geht einen Schritt darüber hinaus. Er veranstaltet auch Rahmenbaukurse und besetzt damit eine ganz kleine Nische, in der sich hierzulande höchstens eine Handvoll Anbieter bewegen. In fünf Tagen kann jeder bei „Big Forest Frameworks“ seinen maßgeschneiderten Rahmen selbst bauen. Dafür muss man nicht bei einem engagierten Schrauber wie Daddy Piontek in die Lehre gegangen sein. Löten, Feilen, Schleifen seien auch für Anfänger beherrschbar, sagt Robert Piontek. Seine vier Schüler mussten vor allem die Augen-Hand-Koordination hinbekommen.

Vor dem Gang an die Werkbank berechnet ein Computerprogramm aus den Körpermaßen die ideale Rahmengeometrie. Die Stahlrohre werden entsprechend zugeschnitten und in einer speziellen Lehre, die Robert Piontek ebenfalls selbst angefertigt hat, zusammengelötet. Anschließend werden die Messingnähte so lange rund gefeilt, bis die Verbindungen hübsch aussehen. Robert Piontek verarbeitet nur Stahl, weder Aluminium noch Carbon.

Als Kursgebühren plus Materialkosten für Rahmen und Gabel veranschlagt Robert Piontek etwa 1100 Euro. Wer sich auch das Lackieren zutraut, gewissermaßen die Kür des Rahmenbaus, muss einen Arbeitstag mehr rechnen und weitere 150 Euro auf den Tisch legen. Für ein komplettes Rad verlangt Robert Piontek ungefähr 2500 Euro. Der Preis hängt etwa ab von der Stahlqualität, vom Arbeitsaufwand, von den Komponenten.

Auch wenn Robert Piontek bislang wenig Rahmen verkauft hat, ist er zufrieden. „Die Richtung stimmt und das Feedback ist gut. Alles andere wird sich ergeben.“ Der Rahmenbauer klingt euphorisch, denn er weiß: „Ja, das ist es!“

Thomas Joerdens

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