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Potsdamer Russen zu Olympia: Sotschi ist weit weg

Verfolgen die Potsdamer Russen die Olympischen Spiele in ihrer Heimat? Kommt ganz drauf an!

Wildgänse ziehen über die russisch-orthodoxe Kirche an der Alexandrowka hinweg. Gleich hinter der Eingangstür des zwiebeltürmigen Sakralbaus sitzt eine freundliche Dame an einer Art Verkaufstresen und spricht mit unverkennbar russischem Akzent. Auf dem Kopf trägt Sie eine Pelzmütze. „Nein, entschuldigen Sie bitte“, sagt sie, „ich schaue kein Olympia.“ Ihr gehe es viel mehr um arme Menschen, Leute, „die nicht genug Geld haben, um sich etwas zu Essen zu kaufen“. Hadert sie mit den vielen Milliarden, die die Winterspiele in Sotschi kosten? Sie hält eine Hand an ihre Herzgegend: „Ja, das tut weh, wenn man hört, was die Spiele gekostet haben.“ Sie schaut verlegen hoch, schlägt die Augen wieder nieder, blickt wieder auf: „Entschuldigen Sie bitte “

Wie empfinden die in Potsdam lebenden Russen die olympischen Winterspiele in Potsdam? Sind sie stolz, fiebern sie mit dem russischen Team? Die russisch-orthodoxe Kirche auf dem Kapellenberg ist eine mögliche Anlaufstelle in Potsdam, um Russen nach ihrem Olympiade-Fieber zu fragen, der russische Lebensmittelladen am Kanal eine weitere. Eine Verkäuferin winkt ab, sie spreche kaum deutsch, verweist aber auf ihre Kollegin, die sei gut in Deutsch. Und tatsächlich, Irina Migulin ist bereit für ein Gespräch mit jemandem, der sich kaum noch an seinen Russisch-Unterricht erinnern kann und daher auf Deutsch fragen muss. Die aufgeschlossene Frau mit den rotgefärbten Haaren wird nicht zum ersten Mal befragt, denn wann immer Journalisten in Potsdam ein russisches Thema beackern, landen sie zunächst bei ihr in dem kleinen russischen Geschäft.

Ihr gefielen die Spiele in Sotschi sehr, sagt Irina Migulin, weil Deutschland erster sei in der Medaillenwertung. Sie sei selbst Deutsche, schon die Großeltern seien Deutsche gewesen, wenn sie selbst auch in Kasachstan geboren ist. Hat Kasachstan schon eine Medaille gewonnen? Irina Migulin weiß es nicht so genau, dafür aber eine deutsche Kundin, die meint, doch, doch, Kasachstan habe sogar schon eine Goldmedaille gewonnen: „Da hab ich noch gedacht: prima!“ Allerdings wisse sie nicht mehr, in welcher Wintersportart, aber das könne der Journalist ja leicht selbst googeln. Das hat er dann auch getan – und fand eine Bronzemedaille für Denis Ten im Eiskunstlauf, der die erste olympische Eiskunstlaufmedaille überhaupt für Kasachstan gewann. Das kann man gelten lassen, das ist so gut wie Gold.

Irina Migulin weiß, dass sich Russen in Potsdam insbesondere bei Eishockey-Spielen der russischen Mannschaft zusammensetzen und gemeinsam am Fernseher mitfiebern – und vorher bei ihr im Laden Bier kaufen. „Eishockey“, sagt sie, „ist ein Männersport.“

Ein älterer Mann steht an der Kasse. Er will durchaus etwas sagen zu Olympia, kann aber kein Deutsch, die Kassiererin übersetzt. „Zu warm“, sagt sie, es sei zu warm in Sotschi, finde der Mann. Draußen, vor dem Laden, überträgt ein kleiner Lautsprecher ein russisches Radio-Programm auf den Trottoir, in den Nachrichten fällt der Name Sotschi, ganz klar, dann gibt es russischen Rock, sehr emotional und dramatisch, es geht wohl um Liebe. Dann kommt der Mann, dem es in Sotschi zu warm ist, aus dem Laden, lacht, tippt zwei Finger an die Mütze und grüßt: „Tschüss!“

Eine junge Frau, die mit ihren drei Kindern Russisch spricht, winkt lachend ab: „Wir gucken nicht“, sagt sie, „keine Zeit“. Sie verbinde mit den Spielen in Sotschi keine Emotionen. Sie stamme aus der Ukraine und blicke dieser Tage vielmehr sorgenvoll nach Kiew: „Wie kann unser Präsident bloß auf Menschen schießen lassen?“ Sie habe Freunde, die auf dem Kiewer Maidan-Platz dabei sind. „Wir wissen hier wenig darüber, was passiert“, sagt sie, während sie an ihren Jungs Moskauer Konfekt verteilt, „ich hoffe, es endet gut.“

„Idi zu da“, ruft ein Mann an der alten Feuerwache in der Seelenbinder-Straße seiner kleinen Tochter zu, „komm her“ – und verrät damit seine russischen Wurzeln. Er wolle seine Tochter zum Russisch-Unterricht in die Jüdische Gemeinde bringen, sagt er. Er und seine Frau, die kurz aus der Gemeindetür schaut, verfolgten die Spiele dank der Internetseiten russischer Fernsehsender. Die deutschen Sender zeigten nicht alles, zum Beispiel wenig Eiskunstlauf. „Sie bringen nur das, worin die Deutschen gut sind“, sagt er, und „im Eiskunstlauf haben sie wenig Chancen.“Guido Berg

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