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Stadtgeschichte Potsdam: Unterricht in Sichtachsen

Die Stüler-Stiftung saniert das Kutscherhaus am Pfingstberg. Sie will auch Kinder für Architektur begeistern. Ideengeber ist der Ur-Ur-Urenkel des preußischen Baumeisters.

Von Peer Straube

Nauener Vorstadt - Seine Referenzen sind beeindruckend: das Neue Museum und die Alte Nationalgalerie in Berlin, das Schweriner Schloss, das schwedische Nationalmuseum in Stockholm, die Akademie der Wissenschaft in Budapest. Und auch in Potsdam hat Friedrich August Stüler bedeutende Spuren hinterlassen: das Orangerieschloss in Sanssouci zum Beispiel, die Friedens- und die Bornstedter Kirche – und nicht zuletzt das Belvedere auf dem Pfingstberg. Doch trotz dieses bedeutenden Erbes steht der Name des preußischen Architekten und Baumeisters Stüler bis heute im Schatten der berühmteren Zeitgenossen Schinkel und Persius.

Stülers Ur-Ur-Urenkel will das jetzt ändern. Nur einen Steinwurf vom Belvedere entfernt hat Felix Müller-Stüler am Fuße des Pfingstbergs das abgesehen von der Villa Schlieffen letzte Gebäude übernommen, das dort noch seiner Sanierung harrt – das frühere Kutscherhaus der Villa Henckel zwischen der Villa Quandt und dem Lepsiushaus. Das kleine, noch aus der Zeit der russischen Besatzung des sogenannten KGB-Städtchens grau gestrichene Haus ist Sitz der neu gegründeten Stüler-Stiftung.

Die Stüler-Stiftung will vor allem Kinder an Architektur heranführen

Deren Ziel ist es, das Erbe Stülers und anderer großer Baumeister zu ehren, vor allem aber Kinder für Architektur zu begeistern und das Gefühl für die Bedeutung von Denkmalen bei ihnen zu wecken. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass ein solches Angebot im Unterricht fehlt“, sagt Müller-Stüler. Auf die Idee sei er bei einem Besuch in Hamburg gekommen, erzählt der 44-Jährige. Dort gebe es eine Stiftung, die gemeinsam mit Kindern kleinere Denkmale saniere, Brunnen zum Beispiel. So lernten die jungen Menschen unter fachkundiger Anleitung, ein Gefühl für Architektursprache, für Sichtachsen oder die Bedeutung des baulichen Erbes zu entwickeln. Etwas Ähnliches will Müller-Stüler auch in Potsdam auf die Beine stellen. Die Affinität zur Architektur liegt der Familie offenbar im Blut: Sein Großvater sei Architekt gewesen, der Vater ebenfalls, sagt Müller-Stüler. Zwar hat er selbst eine andere Laufbahn – die juristische – eingeschlagen, doch als Rechtsanwalt für Steuerrecht berät er deutschlandweit verschiedene Stiftungen. So lag es nahe, auch für seine Ziele eine eigene Stiftung zu gründen.

Den Ort hält Müller-Stüler dafür für geradezu prädestiniert. Jeden Tag sei er auf dem Weg zur Arbeit an dem Kutscherhaus in der Großen Weinmeisterstraße vorbeigefahren, erzählt er. Weil sich das nur 80 Quadratmeter große Haus perfekt für die Zwecke der Stüler-Stiftung eigne, habe er die Schlösserstiftung gefragt, ob es zu haben sei. „Die waren gleich ganz aufgeschlossen“, sagt Müller-Stüler. Schnell wurde man einig: Für 99 Jahre bekam die Stüler-Stiftung das Gebäude in Erbbaupacht übertragen und soll es nun auf eigene Kosten sanieren. Auf gerade mal 125 000 Euro schätzt Müller-Stüler den finanziellen Aufwand, um das Gebäude denkmalgerecht wiederherzustellen. So hätten mehrere Handwerkerfirmen bereits Interesse an einem Sponsoring von Arbeitsleistungen bekundet. Zudem habe ein befreundetes Architekturbüro unentgeltlich die Planung gemacht. Müller-Stüler hofft, im kommenden Jahr den Bauantrag fertig zu haben, 2017 soll das Haus eröffnet werden.

Das Kutscherhaus birgt ein Geheimnis

Noch bietet es allerdings einen traurigen Anblick: Vergitterte Fenster, ein Dach aus Wellasbest, innen blättert die Farbe von den Wänden. Im Boden des Erdgeschosses klafft ein Loch, der Blick fällt in einen niedrigen Keller voller Schutt. Und das Haus birgt noch ein Geheimnis – im Erdgeschoss gibt es einen vollständig ummauerten Raum. Was sich darin verbirgt, weiß niemand. „Ich bin selber gespannt, was sich dahinter verbirgt“, sagt Müller-Stüler.

Über die Geschichte des Hauses ist nur wenig bekannt. Errichtet wurde es wohl in den 1860er-Jahren, sagt Stefan Gehlen, der bei der Schlösserstiftung für Bauforschung zuständig ist. Im Zuge der Anlage des Parks der Villa Henckel wurden Wirtschaftsgebäude gebraucht – eines davon war das Kutscherhaus nebst benachbartem Stall, in dem die Besucher der Villa Henckel ihre Pferde und Kutschen unterstellen konnten. Im Kutscherhaus wohnte seinerzeit der Portier der Villa, die damals nur über die Große Weinmeisterstraße zu erreichen war. Der Stall verschwand irgendwann nach 1945, als die Rote Armee das Areal in Beschlag nahm. Heute befindet sich dort der Parkplatz des Lepsiushauses. Wie die Russen das kleine Kutscherhaus genutzt haben, ist heute unklar.

Auch DDR-Architektur will die Potsdamer Stiftung beleuchten

Die geheimnisumwitterte Geschichte nutzte Müller-Stüler denn auch gleich für das erste Projekt der Stiftung: Vor Kurzem beschäftigten sich die Fünftklässler der nahe gelegenen Evangelischen Grundschule mit dem Gebäude, vermaßen es und erforschten das Innere. Die Schüler seien begeistert gewesen, sagt Müller-Stüler. Doch nicht nur um Architekturdenkmale soll sich die Arbeit der Stiftung künftig drehen. Bei einem der nächsten Projekte sollen Kinder ihr Schulgebäude erforschen. Das könne durchaus auch eine DDR-Schule vom Bautyp „Erfurt“ sein, sagt Müller-Stüler. „Das ist schließlich auch eine ganz eigene Formensprache.“

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