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Holocaust-Mahnmal in Berlin. Rechte „Historiker“ bestreiten bis heute den Völkermord an den Juden.

© Mike Wolff

Homepage: Wenn Hass zur Politik wird

Ein Forschungsband des Moses Mendelssohn Zentrums beleuchtet alten und neuen Antisemitismus

Mit einer Riege junger Sozialwissenschaftler und Zeithistoriker hat das Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) seit 2005 den Forschungsschwerpunkt „Rechtsextremismus und Antisemitismus“ etabliert. Anfangs stärker mit regionalen und zeitnahen Erscheinungen - wie Rechtsextremismus in Brandenburg - beschäftigt, arbeiten die Wissenschaftler längst auf interdisziplinärer Grundlage und untersuchen auch verwandte Phänomene wie Rassismus und völkische Ideologien. Mit dem nun veröffentlichten Sammelband „Politik des Hasses - Antisemitismus und radikale Rechte in Europa“ richten Gideon Botsch, Christoph Kopke, Lars Rensmann und Julius H. Schoeps den Fokus wiederum auf das weite Feld organisierter Judenfeindschaft. Antisemitismus gilt ihnen dabei als gemeinsamer Nenner, über den sich die verschiedenen Hassobjekte der radikalen Rechten brechen lassen - mit dem klaren Bestreben, Hass in Politik umzusetzen.

Neben allgemeinen theoretischen Betrachtungen belegen in dem neuen Band 22 Nachwuchswissenschaftler mit ihren eigenen Studienergebnissen, dass der nationalsozialistische Holocaust kein „Betriebsunfall“ der Geschichte war, sondern ein Zivilisationsbruch mit Folgen. Botsch und Kollegen wollen aber auch Kontinuitäten und neue Spielarten eines historisch gewachsenen Antisemitismus zeigen, welcher sich - absurd genug - auch in Ländern mit geringer oder völlig fehlender jüdischer Bevölkerung erstaunlicher Popularität erfreut. Konsequenterweise bilden Beiträge zur Judenfeindschaft im „Dritten Reich“ nur ein Viertel des Buches. Daneben werden antijüdische Denk- und Verhaltensmuster quer durch verschiedene Epochen und Gesellschaftsschichten beleuchtet - bis hin zum theologischen Antisemitismus in neuheidnischen Hexenbildern. Ein weiteres Kapitel skizziert, wie Judenhass auf deutschem Boden nach 1945 „überleben“ konnte. Damit thematisch eng verbunden ist der vierte Themenblock, welcher internationale Dimensionen des heutigen Antisemitismus anhand von Beispielen aus Russland, Ungarn und Ägypten verdeutlicht. In einem scharfsinnig gefassten Beitrag macht der Historiker Christian Mentel dagegen vertraut mit den pseudo-wissenschaftlichen Kniffen bekannter Revisionisten wie Robert Faurisson und Johannes Peter Ney, welche selbst den Protokollen der berüchtigten „Wannsee-Konferenz“ vom Januar 1942 noch genozidale Absichten der Nazis abgesprochen haben.

Erhält der interessierte Leser somit einen soliden ersten Einblick in die geistige Welt und praktizierte Hass-Politik früherer und heutiger Rechtsextremisten, erstaunen vor allem diejenigen Aufsätze, die antisemitische Infiltrationen in unverdächtig wirkenden gesellschaftlichen Milieus erfassen. So beschreibt etwa der Historiker Hansjörg Buss, wie die Leitungsebene der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lübeck im „Dritten Reich“ zu einem willigen Instrument antisemitischer NS-Politik verkam und schrittweise die eigenen Gemeindemitglieder jüdischer Herkunft von kirchlicher Tätigkeit und vom Gemeinschaftsleben ausschloss. Eine ähnlich schockierende Studie legt der Politologe Thomas Irmer vor, die sich mit der Entstehung des „ersten antisemitischen Denkmals Deutschlands“, jenem für den Verleger und Politiker Theodor Fritsch (1852-1933) in Berlin Zehlendorf, befasst hat. Fritsch’s berüchtigtes „Handbuch zur Judenfrage“ erlebte von 1907 bis 1945 fast 50 Auflagen und wird auch heute noch von Neonazis und Revisionisten verehrt. Die von dem Zehlendorfer Bildhauer Arthur Wellmann im Jahre 1935 geschaffene und öffentlich gefeierte Bronze-Plastik zeigte Fritsch als muskulösen jungen Mann, welcher mit schwerem Hammer auf den fratzenhaften Kopf einer drachenförmigen, am Boden liegenden Figur zielt, darunter die Inschrift: „Keine Gesundung der Völker vor der Ausscheidung des Judentums.“

Derartige Begebenheiten aus den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur mögen heute nicht nur inhuman, sondern auch völlig irreal und absurd wirken. Doch betonen die MMZ-Forscher, dass Antisemitismus ein gefährliches europäisches Phänomen geblieben sei. Es verwundert daher weniger, wenn sich ein Beitrag des Politologen Christoph Busch am Ende des Bandes explizit mit transnationalen Vernetzungen der heutigen radikalen Rechten auseinandersetzt. Alles in allem dürfte „Politik des Hasses“ nicht nur Wissenslücken bei historisch und politisch interessierten Lesern schließen, sondern auch neue Diskussionen über die Konsistenz unterschiedlicher, doch weithin verbreiteter antisemitischer Stereotype entfachen.

Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hg.), Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa. Olms Verlag, 2010, 348 Seiten, 29,90 Euro, ISBN-10: 34 87 14 43 87

Olaf Glöckner

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