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Julius H. Schoeps über "Welches Land wollen wir sein": „Die deutsche Gesellschaft ist heute gefährdet“

Am Donnerstag debattiert er bei „Welches Land wollen wir sein“ am Hans Otto Theater: Ein Gespräch mit Historiker Julius H. Schoeps über den Begriff Heimat.

Herr Schoeps, bei der Debattenreihe des Hans Otto Theaters zum Thema „Welches Land wollen wir sein“ geht es am Donnerstag speziell um den Begriff Heimat. Der hat etwas Dunkles, Völkisches.

Er erinnert in der Tat auch an die dunklen Seiten der deutschen Geschichte. Die Völkischen liebten den Begriff Heimat. Sie überdehnten ihn in ihrer Ideologie mit der Folge, dass Menschen, die nicht ins Weltbild passten, ausgeschlossen wurden.

Ist der Begriff heute noch zeitgemäß?

Ich halte es immer mit dem Wort: Ibi bene ibi patria – wo es mir gut geht, ist meine Heimat. Das finde ich eine akzeptable Definition. Aber gerade heute, in der Debatte um die Flüchtlinge, ist Heimat schon ein Thema, mit dem man einiges anfangen kann. Ich selbst bin als Flüchtlingskind geboren – meine Eltern flüchteten aus Deutschland nach Schweden. Und ich weiß sehr genau, wo die Probleme liegen, das ist heute nicht viel anders als damals.

Wie war es damals?

Es war sehr schwierig für meine Eltern, in Schweden Fuß zu fassen. Es gab keine Arbeit – weil man dafür einen Wohnsitz nachweisen musste. Den wiederum bekam man nur, wenn man Arbeit hatte. Das war damals nicht viel anders als heute. Insofern habe ich große Sympathien für die Haltung der Bundeskanzlerin. Ihr gilt mein Respekt, insbesondere wie unbeirrt sie in dieser Frage ist und dass sie durchaus Verständnis für die Situation der Flüchtlinge hat. Dass manches schiefgelaufen ist, dass die Länder und Kommunen mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert sind, ist unbestritten.

Hätten Sie das vorher von der Bundeskanzlerin erwartet?

Ich weiß nicht, was sie bewegt, welche Erfahrungen sie hat. Aber: Von allen Politikern in Deutschland scheint sie mir mit ihren Worten „Wir schaffen das!“ am überzeugendsten zu sein. Nach meiner Ansicht verhält sie sich richtig.

Trotzdem hat sie viel Gegenwind – und manche der Gegner spielen mit dem Heimatbegriff, besetzen ihn mit der Angst, dass die Heimat ihnen weggenommen werden könnte.

Ja, diese Angst, jemand könnte uns etwas wegnehmen. Aber was ist Heimat? Sie ist eine Sozialisationserfahrung: Der Ort, wo man geboren ist, die Sprache, die Mentalität, die Religion, die Überzeugungen. Auch die Landschaft prägt. Den Brandenburgern sagt man nach, sie seien bodenständig, vielleicht auch etwas schwerfällig. Da ist etwas dran.

Die Geografie prägt den Menschen?

Ja. Grundsätzlich ist es aber so: Der Flüchtling, der kommt, will auch an seiner Herkunft, an seinem Heimatbegriff festhalten, klar. Unsere Gesellschaft fordert, dass man sich anpasst, dass man die Wertevorstellungen dieser Gesellschaft akzeptiert. Man muss allerdings sehr genau hinsehen, finde ich. Diese Forderung darf nicht dazu führen, dass jemand gezwungen wird, seine Herkunft zu verleugnen und seine Identität aufzugeben. Denn wie weit und wohin soll das führen? Ich appelliere an alle, in dieser Frage lockerer zu sein. Ich möchte alle auffordern, daran zu denken, was einem selbst geschehen würde, wenn der Fall eintritt, dass man sein Heimatland verlassen muss.

Was also darf man erwarten, von Menschen, die hierherkommen?

Nun, wenn ich hier leben will, muss ich die Sprache können, das ist klar. Also ist es notwendig, Sprachkurse anzubieten. Sie sind wichtig. Wie das mit den Wertevorstellungen ist, ist eine andere Frage, die zu erörtern ist. Muss man die Werte der Aufnahmegesellschaft verinnerlichen oder reicht es aus, sie zu akzeptieren? Natürlich muss unser Grundgesetz als Maßstab gelten – aber so ganz einfach ist das alles nicht. Das Grundgesetz ins Arabische zu übersetzen und darauf hoffen, dass der Flüchtling, der die Übersetzung dann in die Hand nimmt, Bescheid weiß, wie man in Deutschland denkt, funktioniert nicht. Der Kontext muss vermittelt werden. Dem Flüchtling, der hierherkommt, ist verständlicherweise manches fremd. Ihm müssen die Wertevorstellungen erklärt werden, was nicht ganz einfach ist.

Und wie soll das geschehen?

Nun, die Integrationskurse, die angeboten werden, sollte man viel genauer unter die Lupe nehmen, sich ansehen, was da eigentlich an Inhalten vermittelt wird. Was sind hier die Kriterien für die Integration? Kann der Flüchtling, der aus einem islamischen Land kommt, sie überhaupt verstehen? Muss sich nicht auch das deutsche Selbstverständnis ändern? Deutschland begreift sich immer noch nicht als Einwanderungsland – ist aber längst eines geworden.

Apropos Werte: Einige warnen vor einem importierten Antisemitismus.

Das ist ein Problem, mit dem ich mich gerade beschäftige: Flüchtlinge aus den arabischen Staaten haben bestimmte Vorurteilsbilder, die sie mit hierher bringen. Sind damit Gefährdungen verbunden? Ich halte das für ein wichtiges Thema, mit dem man sich beschäftigen sollte. Das nicht ganz einfach ist, denn wir alle wissen, dass wenn jemand ein Vorurteil hat, dass er dann damit bestens zufrieden ist. Warum also sollte er sich von diesem Vorurteil lösen?

Was kann man dann überhaupt tun?

Vermitteln, dass es in unserer Gesellschaft Werte und Schranken gibt, die man nicht ungestraft aushebelt oder überschreitet. Dazu gehört auch, dass man Frauen nicht angrapscht. Aber das ist, wie wir wissen, nicht so ganz einfach. Grapschereien gibt es auch in unserer einheimischen Gesellschaft. Der gerade zu Ende gegangene Karneval ist ein gutes Beispiel dafür. Man begrapscht sich unter Juchzen und großem Gelächter bei Umzügen – und findet das ganz toll. Das, was sich im Schatten des Kölner Doms abspielte, war eigentlich nichts anderes, nur mit dem Unterschied, dass die Grapscher nicht Deutsche, sondern Ausländer, zumeist aus den Magreb-Staaten, waren.

Liegt nicht da auch das Problem des Heimatbegriffs – dass er immer eine Grenze zieht. Hier das, was wir machen, dort das Fremde?

Ein bisschen was hat sich ja schon getan: Früher las man, wenn man über die Dörfer fuhr, Schilder, auf denen zu lesen stand: „Fremdenzimmer“ – heute heißt das „Gästezimmer“. Das ist doch schon Fortschritt. Aber letztlich ist es egal, wie man es nennt. Es kommt im Einzelfall immer darauf an, wie ich mich definiere. Heimat heißt ja Identität. Definiere ich mich also als Potsdamer, als Brandenburger und deutscher Staatsbürger, oder als Türke, der in Potsdam lebt und im Islam verankert ist? Ein Mensch kann verschiedene Identitäten besitzen. Warum auch nicht?

Wie definieren Sie denn ihre Heimat?

Ich bin und fühle mich in der deutschen Kultur beheimatet. Da spielen Sprache und Landschaft, Licht und Farben, eine gewisse Rolle. Ich liebe die brandenburgische Landschaft, die Seen, die Wälder, den Typus Mensch. Sie sind ein Teil von mir. Meine Identität wird unter anderem bestimmt durch Leseerlebnisse, etwa die Bücher Theodor Fontanes, die ich sehr schätze.

Sie sagen, es war für Sie, für Ihre Eltern, schwer damals als Flüchtlinge in Schweden – was leiten Sie daraus ab für die heutige Debatte?

Ganz klar und eindeutig: Man muss lebenswerte Bedingungen für die Menschen schaffen, die zu uns kommen. Das bedeutet, menschenwürdiger Wohnraum muss zur Verfügung gestellt werden und die Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis einzugehen, muss geschaffen werden. Das ist zu schaffen. Man muss einfach die Ärmel hochkrempeln und die Probleme angehen. Wenn man will, geht es.

War die Situation in Schweden, als Sie dort als Flüchtlinge lebten, anders als die Lage der Flüchtlinge in Deutschland heute?

Nein. Die Schweden haben Ende der 1930er-Jahre nur bedingt Flüchtlinge aufgenommen. Die Grenzen waren so gut wie dicht. Das erinnert an die heutigen Abwehrmaßnahmen. Es sind also immer dieselben Mechanismen. Man könnte, wenn man wollte, aus der Geschichte einiges lernen. Aber will man das überhaupt?

Was genau?

Dass man solidarisch mit Asylanten sein muss. Es gilt, ihnen die Hand entgegenzustrecken und nicht den Rücken zuzukehren. Was mir überhaupt nicht gefällt, ist, dass man sich wieder abzuschotten beginnt und das Fremde als bedrohlich empfindet.

Wie groß ist in Ihren Augen die Gefahr, dass sich historische Fehler wiederholen?

Die deutsche Gesellschaft ist heute gefährdet. Das sehen wir gerade an den politischen Entwicklungen, dem Erstarken der AfD, den Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte. Da manifestiert sich eine Protesthaltung, die zu Besorgnis Anlass gibt. Die Parteien, so meine ich, müssen hier eine grundsätzliche Debatte führen. Diese vermisse ich bisher. Als was verstehen wir uns, was ist das für ein Land? Wir wissen alle nicht, welche Folgen das sich aufbauende Protestpotenzial noch haben wird. Jede Woche brennen in Deutschland zwei oder drei Flüchtlingsheime. Ohne, dass das die Menschen sonderlich kümmert. Wir haben uns bereits angewöhnt, mit diesen Nachrichten zu leben. Das gibt mir zu denken.

Was kann man tun?

Aufklären und nochmals aufklären. Wird ein Täter dingfest gemacht, dann sollte er auch rechtlich belangt werden. Aber oft lese ich in der Zeitung, wenn wieder ein Heim angesteckt wurde: „Es sei nicht bewiesen, dass es sich um eine politische Tat handelt.“ Um was denn, frage ich mich? Sind das etwa Dumme-Jungen-Streiche oder die Aktivitäten betrunkener Rowdies, die zu entschuldigen sind?

Sie haben selbst vorhin gesagt, Vorurteile sind kaum aus den Köpfen herauszubekommen – hilft da aufklären allein?

Mir fällt nicht viel anderes ein. Notwendig ist es, die Regeln des Rechtsstaates zu vermitteln, an die man sich zu halten hat. Das gilt für Flüchtlinge wie Einheimische gleichermaßen. Man sollte in der öffentlichen Debatte niemanden ausgrenzen, man muss mit allen reden, selbst mit AfD-Vertretern, auch wenn man deren Ansichten nicht teilt.

Werden die Probleme von der Mehrheitsgesellschaft ernst genug genommen?

Bis jetzt anscheinend nicht. Die Debatte fängt gerade erst an – so hoffe ich jedenfalls.

Das Interview führte Ariane Lemme

„Welches Land wollen wir sein? #3 Neue Heimat“ mit Marina Naprushkina, Julius H. Schoeps und Harald Welzer am Donnerstag, dem 25. Februar, um 19 Uhr in der Reithalle an der Schiffbauergasse.

ZUR PERSON: Julius H. Schoeps, 1942 geboren, ist Gründungsmitglied der Universität Potsdam sowie Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (MMZ).

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