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Kultur: Ergreifendes Zeichen der Erinnerung Das „Potsdam Requiem“ in der Nikolaikirche

Um der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945 musikalisch zu gedenken, hatte Nikolaikantor Björn O.

Um der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945 musikalisch zu gedenken, hatte Nikolaikantor Björn O. Wiede vor zwei Jahren sein „Potsdam Requiem“ auf Texte der Bibel, der Liturgie und Dichtungen zur bewegenden Uraufführung gebracht. In diesem Jahr, zum 70. Gedenken an diesen Tag, an dem die Royal Air Force das historische Zentrum Potsdams in Schutt und Asche legte, erfuhr es in St. Nikolai erneut seine Aufführung. Und zwar in einer überarbeiteten Fassung.

Vor allem textlich habe er einige Aktualisierungen vorgenommen, so Wiede. „Die heutige Gespaltenheit, die man in der Stadt allenthalben spürt, wollte ich darin nicht außer Acht lassen.“ Doch leider wirken diese Textsequenzen reichlich vordergründig, behauptend. Manifestiert sich das „gespaltene Potsdam“ etwa durch den „armseligen Geist neben dem Geist der Verneinung heute“, durch Phrasenhaftes wie „Lehren und Kenntnisse einsetzen und umsetzen, gute Planungen in die Zukunft auf der Basis der Vernunft“, um Dinge zu verbessern?

Leider wirken diese Textsequenzen wie Fremdkörper in einem ansonsten Herz und Sinne gleichermaßen ansprechenden Opus. Und auch bezüglich der Instrumentierung sei „manches korrigiert und neu entstanden“, so der Komponist. Veränderungen, die nicht immer an die Dichte der musikalisch-textlichen Aussage des Originals heranreichen.

Insgesamt jedoch offenbart sich das „Potsdam Requiem“ nach wie vor als ein ergreifendes, in schlichte Melodien gegossenes Erinnerungszeichen. Oder wie es Cornelia Radeke-Engst, Pfarrerin der Nagelkreuzkapelle an der Garnisonkirche, bei ihrer Begrüßung ausdrückte: „Im Gedenken geben wir der Zukunft ein Gedächtnis!“ Volles Glockengeläut eröffnet das Konzert mit 170 Mitwirkenden, bei dem zunächst Felix Mendelssohn Bartholdys Chorsatz „Verleih uns Frieden gnädiglich“ erklingt, zur Orgelbegleitung von der Singakademie Potsdam unter Leitung von Thomas Hennig angestimmt. Weich getönt, getragen und voller Innigkeit verbreitet sich die klangschön und zunehmend dringlicher werdende Bitte um Aussöhnung. Unter erneutem Glockenklang nehmen die Mitglieder der Neuen Potsdamer Hofkapelle vor und der Nikolaichor auf den Altarstufen ihre Plätze ein. Mit solchem Geläut beginnt und endet auch Wiedes zeitgenössische, sich weitgehend modernistischer Zutaten enthaltende Totenklage, die sich formaler Anleihen bei Benjamin Brittens „War Requiem“ bedient. Tonmalerische, emotionsgeladene Akzente durch Orgel, Klavier und Schlagwerk sowie instrumentale Interludien können den überwiegend ruhigen, tröstlichen, bittenden und klagenden Gestus des Werkes nicht stören und aufhalten.

Die prunklosen, aber sehr eindrucksvollen Chorsätze werden vom teilweise im Raum verteilten Nikolaichor mit gelegentlicher Singakademie-Unterstützung sehr sauber, prägnant und präzise vorgetragen. Die frischen Stimmen des Kinder- und Jugendchores der Singakademie (Leitung: Konstanze Lübeck) tönen von Hoffnungsfreude. Sachlich lesen Harald Geywitz und Martin Vogel ergreifende Zeitzeugenberichte und Bibelpassagen. Namen von Bombenopfern verkünden Nikolaichoristen, die nacheinander weggehen. Die entstandenen Lücken sagen mehr aus als manch klanggewaltige Geste. Den solistischen Part hat Altus Alex Potter übernommen, der den 84. Psalm mit leicht unsicherer Tiefe, aber sattelfester Höhe singt. Die originelle jazzige Textdeutung von „Ganz ohne Antwort fühle ich mich leer“ trägt der singende Komponist am Klavier mit Unterstützung von Altsaxophon und Kontrabass vor. Zum Schluss dankt ergriffenes Schweigen den Mitwirkenden. In Stille geht man auseinander.Peter Buske

Peter Buske

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