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Kultur: Fotografieren zwischen Stromsperren und Bombenalarm

70 Jahre „Führerauftrag Monumentalmalerei“: In 480 Gebäuden entstanden während des Krieges rund 40 000 Farbdia-Aufnahmen

„Der Führer wünscht, daß ... im Hinblick auf die durch feindliche Luftangriffe hervorgerufenen Zerstörungen ... von sämtlichen wertvollen Deckengemälden ... Farbfotos angefertigt werden.“ So steht es in einem Brief des Propagandaministeriums vom 6. April 1943 an den Leiter Bildende Kunst. Einen Tag zuvor hielt sich Hitler in der Umgebung von Linz auf und besichtigte Kulturstätten, wie das Stift St. Florian. Gesprochen hatte man auch mit Gauleitern über den „totalen Krieg“ und möglicherweise über die Gefährdung von Kunstwerken.

Offensichtlich war der zunehmende Bombenkrieg der Auslöser für diese in der Folge beispiellose Fotokampagne, in der in rund 22 Monaten unter schwierigen Umständen 40 000 Aufnahmen von Decken- und Wandgemälden in 480 kulturhistorisch bedeutenden Bauwerken gemacht wurden, darunter auch im Stadtschloss Potsdam und im Schloss Sanssouci. Da von jeder Aufnahme fünf Abzüge angefertigt werden mussten und diverse Probeaufnahmen erforderlich waren, kann man von einer Millionen Fotos ausgehen.

Ob der Hobbykunstmaler Hitler selbst die Idee hatte oder seine Berater ihn dazu drängten, blieb im Dunkeln. Sicher ist, dass nur wenige Wochen nach Erteilung des „Führerauftrages“ die ersten Motive für erste Tests ins gleißende Licht gesetzt wurden. Bis zum 13. Mai entstanden Probeaufnahmen – 100 Kleinbild-Dias, gefertigt auf Agfacolor-Kunstlichtfilm und eine Mappe mit 12 Farbabzügen nach dem Duxochrom-Verfahren – für das Propagandaministerium, unter anderem von der Staatsoper Dresden und dem Schloss Charlottenburg. Joseph Goebbels äußerte sich „sehr anerkennend“ und leitete die Aufnahmen umgehend an das Führerhauptquartier weiter. Schließlich entschied man sich vor allem aus Kostengründen für den Agfacolor-Kunstlicht-Kleinbildfilm.

Von den Denkmalämtern der „Reichsgaue“ des „Großdeutschen Reichs“ wurden etwa 1200 Schlösser, Kirchen und sonstige Baudenkmäler ausgewählt. Einbezogen waren neben Österreich, Böhmen und Mähren auch die besetzten Gebiete Polens und Russlands. Rund 50 Fotografen aus ganz Deutschland wurden mit der Aufgabe betraut. Mit der Herstellung und Lieferung des Aufnahmematerials, des Kleinbild-Kunstlichtfilms, wurde die Agfa Filmfabrik Wolfen beauftragt.

Im Sommer 1943 lief das Projekt „Führerauftrag“ zwar an, doch führten kriegsbedingte Probleme zu Lieferengpässen und Qualitätsmängeln, die zunehmend größer wurden, je länger der Krieg dauerte. In einer Beratung am 17. Dezember 1943 im Reichspropagandaministerium wurden die Probleme besprochen und die Agfa Filmfabrik Wolfen mit der Bereitstellung von 3500 Filmen pro Monat beauftragt. Am 29. Januar 1944 wurde die Entwicklungsanstalt in Berlin bei einem Bombenangriff schwer beschädigt, sodass ein Teil der Filme nunmehr im Studio Prag entwickelt werden musste, eine weitere logistische Herausforderung.

Aber auch die Fotografen vor Ort hatten mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Aufnahmen hatten ausschließlich mit Kunstlicht zu erfolgen. So mussten zur Vermeidung von Mischlicht die Fenster abgedunkelt werden. Die Elektrik in den Objekten war für den erforderlichen hohen Strombedarf zur optimalen Ausleuchtung nicht ausgelegt. Schließlich hatte der verwendete Film nur eine geringe Lichtempfindlichkeit.

Wegen zunehmender Stromsperren und Bombenalarm mussten die Aufnahmen immer öfter unterbrochen werden. Die Errichtung gewagter Gerüste zur optimalen Positionierung der Lampen, Fototechnik und Fotografen für die bis zu etwa 12 Meter hohen Deckengemälde in Kirchen ließen die Aufnahmen in vielerlei Hinsicht zu Kunstwerken werden, die großen Aufwand erforderten. Bis zum Februar 1945 entstanden Kosten in Höhe von 1,5 Millionen Reichsmark. Mit dem Einmarsch der Alliierten kam das Projekt zum Erliegen. Schließlich wurde mit 480 Gebäuden nur ein Teil der zum Start der Kampagne vorgesehenen Objekte fotografiert und oft auch nur die kulturhistorisch wichtigsten Decken- und Wandgemälde. Entstanden waren rund 40 000 Farbdia-Aufnahmen, die verstreut an verschiedenen Standorten in Deutschland aber auch im Ausland aufbewahrt wurden. Die meisten Aufnahmen wurden mit 6700 Dias in Bayern gemacht. Als kulturhistorisch besonders interessant wurde offensichtlich Wien betrachtet: Dort entstanden in 18 Objekten 3568 Farbdias. In Berlin und Potsdam waren es 1914 Aufnahmen in 13 Gebäuden, so im Berliner Stadtschloss, im Schloss Charlottenburg, im Stadtschloss Potsdam und Schloss Sassouci. 1956 erhielt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München den Auftrag, die Kleinbild-Diapositive zu einer Sammlung zusammenzuführen und als Kulturgut zu archivieren. Die 40 000 Diapositive wurden mit spezieller Scantechnik digitalisiert und sind nun über das Internet jedem zugänglich.

Die Dias sind oft die einzigen Farbfotografien der in Schutt und Asche versunkenen Kulturdenkmäler. Die Dias zeugen somit einerseits vom ehemaligen Glanz zerstörter Kultur und sind andererseits wichtige Bilddokumente für den weitgehend originalgetreuen Wiederaufbau von Gebäuden wie die Stadtschlösser in Berlin und Potsdam. Ehrhard Finger

www.zi.fotothek.org.

Ehrhard Finger

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