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Kultur: Luftgeist und Erdgeist auf der Violine

„Cross Over“ mit Gilles Apap und Dr. L. Subramaniam sowie den Brandenburger Symphonikern

„Cross Over“ mit Gilles Apap und Dr. L. Subramaniam sowie den Brandenburger Symphonikern Mit dem Vorspiel aus Bizets „Carmen“ setzten die Brandenburger Symphoniker ein spritziges ironisches Anfangszeichen. Das leicht bizarre, zeitgenössische Programm aus westlicher und östlicher, traditioneller und moderner Musik konnte die meisten Zuhörer im gut gefüllten Nikolaisaal begeistern. Aufgeschlossen folgten sie Gilles Apaps Geigenkunststücken und Dr. L. Subramaniams symphonischen Ragas auf der indischen Violine. Kein Geringerer als Yehudi Menuhin nannte Gilles Apap einen „Geiger des 21. Jahrhunderts“. Der Ruf eines exzentrischen Bohemians eilt ihm voraus, doch im Nikolaisaal tritt er eher zurückhaltend auf. Die Seitentür öffnet sich, es erklingen Geigentöne, mit denen der Musiker auf die Bühne schlendert. Aus den improvisiert wirkenden Doppelgriffen und Skalen entsteht ein stampfender Tanzrhythmus. Der Auftritt wirkt, als wollte Gilles Apap sagen, ich bin nur ein einfacher Musiker und möchte euch die Zeit vertreiben. Beinah beiläufig flitzt sein Bogen über die Saiten in Camille Saint-Saens’ „Havanaise für Violine und Orchester“, eine ausladende Fantasie über Täler und Höhen des Geigenklangs. Das Paradestück aller Virtuosen, Pablo de Sarasates „Zigeunerweisen“, klingt bei Apap mit zeitloser Attitüde, ein Klassiker und eine schwindelerregende Gratwanderung zugleich. Glissandi schleifen aufreizend über die Saiten, Zupfen und Streichen im Synchronmaß wie einst bei Paganini und bei den Vibrati wird nicht mit Zuckerglasur gespart. Doch die Süße verflüchtigt sich rasch, wenn ein Bluegrasslied und eine Hora ausgelassen über die Bühne hopsen. Mit ansteckender Lockerheit lässt Apap den Bogen springen und singen, ergeht sich in orientalischen Skalen und endet mit spukhaftem Flageolettsäuseln. Wenn Gilles Apap ein waghalsiger Luftgeist der Geige ist, so ist Dr. L. Subramaniam ein virtuoser Erdgeist auf der indischen Violine. Bei dem von ihm komponierten Doppelkonzert für zwei Violinen drängen sich die Vergleiche auf. Groß sind die Gegensätze: Herr Subramaniam spielt im Yogasitz, wobei die „Schnecke" auf dem Fußgelenk ruht und der Korpus an die Schulter gelehnt wird. Der linke Arm wird dabei noch mehr belastet als bei traditioneller Spielweise. Zugleich fällt so das Bogengewicht auf den Saiten weg, eines der wichtigsten Mittel der Klangerzeugung. Das dreiteilige Konzert scheint ganz nach westlichem Modellen aufgebaut zu sein, bis auf die improvisatorischen Wechselreden von indischer Violine und den beiden Tablaspielern. Dr. Subramianiams furiose Solokadenzen erklingen mit leisen Borduntönen einer Sitar – doch kein solches Instrument ist zu sehen. „Cross over" heißt hier wohl auch: Originalklang und Reproduktion zusammen. Sehr behutsam flicht Gilles Apap seine Töne in das hybride Netzwerk ein. Doch was Europäer an der indischen Ragamusik lieben, die rhythmisch-metrische Ungebundenheit, die Aura eines Schwebens im Nirwana, findet sich in der symphonischen Übertragung leider nicht wieder. Schmetternde Blechbläserfanfaren, Paukenwirbel und süße Streicherwogen lösen Assoziationen an Neoromantik, Jazz und Filmmusik aus. Motive und Instrumentaleinsätze wirken aneinandergereiht, ohne inneren Zusammenhang. Der langsame Satz – ein farbiges Notturno aus einem Bollywood-Film, Schellenklang, gedämpfte Violinen im Orchester, massives Tremolo, Harfe, Flöte (die zu tief gestimmt war) und Fagott leiten zum Solo der Geigen über. Ein Lob den Brandenburger Symphonikern unter Michael Helmrath, die den musikalischen Faden nicht verloren. Kaum anders erklang das Konzert „Shanti Priya“ für Violine und Orchester, das für das Orchester des Kirovtheaters komponiert wurde. Die Umsetzung von indischen Ragas in die Tonsprache des klassischen Symphonieorchesters löst ästhetische Brüche und Zweifel im Kopf des Zuhörers aus, doch sie überzeugt nicht – eine eklektizistische Stilmischung, in der individuelle Besonderheiten verloren gehen. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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