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Kultur: Mit vielen Klangfarben

Der 20-jährige Geiger Fédor Roudine in der Friedenskirche

Kleine Privatagenturen haben es naturgemäß schwer, sich im Klassikgeschäft zu behaupten. Sie erhalten meistens keinerlei öffentliche Fördermittel, haben es demzufolge schwer, gute Musiker zu finden, und sind darauf angewiesen, ausschließlich Best-of-Programme zu gestalten, die hoffen lassen, dass sich die Ausgaben mit den Einnahmen wenigstens die Waage halten. In Potsdam haben solche Privatmusikvereine noch gute Chancen, ein dankbares Publikum zu finden, herrscht hier doch nicht gerade ein Überangebot an professionellen Konzerten. Aber unter den wachsamen Augen der lokalen Musikfürsten kommen nicht viele freie Veranstalter in die so gern als „bedeutender Kulturstandort“ bezeichnete Metropole.

Trotzdem blieben leider ziemlich viele Plätze leer, als der „Berliner Klassiksommer 2012“ am Freitagabend in der Friedenskirche Station machte. Dabei enthielt das Programm wahrlich Ohrwürmer der ersten Garde: Mit Vivaldis „Jahreszeiten“, Sarasates „Carmen-Fantasie“ und Dvoráks Es-Dur-Serenade wurden auch ungeübtere Hörer gut bedient. Der Abend begann auch sehr vielversprechend: Der russisch-französische Geiger Fédor Roudine, gerade mal zwanzig Jahre alt, darf sich schon zu den etablierteren Solisten zählen; er gewann mehrere bedeutende Wettbewerbe und trat schon als Junge in Orchesterkonzerten auf.

Die russische Schule kann der als Fjodor Rudin geborene Neufranzose indes auch als Pariser Einwohner nicht verbergen: Sein Vivaldi schmachtet mit edlem, dunklen, satten Ton. Die Stradivari-Kopie lässt unglaublich viele Klangfarben zu, die Roudine sehr weitschweifig nutzt; er spielt Akzente deutlich aus, lässt Vorhalte effektvoll stehen und kostet Fermaten aus, wie sie nur ein Romantiker setzt. Auch das überaus starke Vibrato und die Temposchwankungen mitten in einer Phrase weisen auf sehr seelenverbundene Lehrmeister hin. Mit Vivaldi hat das musikhistorisch nicht eben viel zu tun, aber es ist konsequent und durchaus hervorragend musiziert. Der unbedingte Gestaltungswille lässt die etwas unentspannte Technik vergessen, Roudine macht es sich mit seiner Bogenführung eher noch schwerer. Und kompliziert ist dieser vertrackte Vivaldi genug, auch wenn er sich leicht hören lässt. Aus diesem Widerspruch entstehen oft populäre Missverständnisse, die „Jahreszeiten“ werden nicht recht ernst genommen, und doch sind gerade sie besonders interessant, weil Vivaldi hier mit vielen verschiedenen musikalischen Effekten experimentiert. Diese Besonderheiten teilen sich durch die zwölfköpfige Orchestergruppierung „Berliner Camerata“ nicht mit. Die hier immerhin noch homogen spielenden Streicher bleiben mitsamt einer viel zu zurückhaltenden Cembalostimme routiniert.

Eher abenteuerlich wird es nach der Pause, denn Sarasates „Carmen-Fantasie“ ist nun mal für großes Orchester gedacht und in diese Kammerbesetzung ziemlich schlampig übertragen worden. Die Vielfarbigkeit der andalusischen Leidenschaften ist mit sechs nicht gerade im Einklang befindlichen Violinen, zwei eher grotesk gegeneinander radebrechenden Bratschen, einem verlorenen Kontrabass und zwei ziemlich ambitioniert aufspielenden Cellisten nicht darstellbar. Angesichts der schier grenzenlosen Kompliziertheit dieses Wettbewerbsstücks lässt Roudine galant einige Töne weg und ein paar andere im Nirvana undefinierter Höhe verschwinden. Wieder einmal besticht aber sein wunderbares Instrument mit seiner grandiosen Klangvielfalt.

Die Dvorák-Serenade versinkt dann ohne Solistenbeteiligung leider im völligen Nebel. Die Intonation geht völlig baden, und sinnvoller ist es schon, wenn man sich in dieser dünnen Besetzung nicht binnen eines Satzes dreimal beim Einsatz verzählt. Laute Passagen klingen übersteuert, die Saiten klirren. Die tiefen Streicher zeigen eine deutlich größere Einheit, während die hohen wirklich inakzeptabel unsauber werden. Auch dieses schöne Stück verdiente, ernst genommen zu werden. Christian Schmidt

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